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Experte über VW-Krise: «Es sieht eher aus wie ein Krieg»

28.10.2024, Sachsen, Zwickau: Besch
Die Volkswagen-Mitarbeiter sagen dem Management den Kampf an.Bild: keystone

Experte über VW-Krise: «Es sieht eher aus wie ein Krieg»

VW plant offenbar Werkschliessungen und den Abbau zehntausender Stellen in Deutschland. Doch am Ende dürfte es weniger dramatisch kommen. Eine Übersicht.
29.10.2024, 12:3429.10.2024, 14:06
Christopher Clausen, Mauritius Kloft / t-online
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Ein Artikel von
t-online

Beben bei Volkswagen: Der Autokonzern plant nach den Worten der Chefin der Arbeitnehmervertretung den Abbau Zehntausender Stellen und droht mit deutlichen Gehaltseinbussen.

Daniela Cavallo sagte am Montag bei einer Informationsveranstaltung in Wolfsburg, der Vorstand wolle in Deutschland mindestens drei VW-Werke dichtmachen und sich zudem von Abteilungen und Bereichen trennen. «Niemand von uns hier kann sich noch sicher fühlen», sagte sie.

Doch was bedeutet das genau? Wie konnte es so weit kommen? Und wie liesse sich die Krise womöglich noch verhindern? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was plant VW laut Arbeitnehmervertretung?

«Der Vorstand will in Deutschland mindestens drei VW-Werke dichtmachen», sagte die Chefin der Arbeitnehmervertretung Daniela Cavallo bei einer Informationsveranstaltung für die Belegschaft in Wolfsburg. Laut Cavallo plant VW neben den Werkschliessungen auch einen Kapazitätsabbau an allen verbleibenden Standorten. Früheren Konzernangaben zufolge fehlen VW rund 500'000 Fahrzeuge pro Jahr, um alle Standorte auszulasten.

epa11688835 Daniela Cavallo, Chairwoman of the General and Group Works Council of Volkswagen AG participates in an informational event organized by the General Works Council of Volkswagen AG at the co ...
Betriebsratschefin Daniela Cavallo warnt vor Massenentlassungen. Bild: keystone

Zudem plane der Vorstand betriebsbedingte Kündigungen, so Cavallo weiter. Ganze Abteilungen sollen geschlossen oder ins Ausland verlagert werden. Für die verbleibenden Mitarbeiter wolle VW den Haustarif pauschal um zehn Prozent kürzen und fordere 2025 und 2026 jeweils Nullrunden. Am Mittwoch kommen Konzern und die Gewerkschaft IG Metall zu ihrer zweiten Verhandlungsrunde über den VW-Haustarif zusammen.

Kommt es wirklich so schlimm?

Für Branchenexperte Jürgen Pieper sind die Angaben des Betriebsrats bzw. der Arbeitnehmervertretung übertrieben. «Es klingt, als würde hier die grosse Keule geschwungen, um Zugeständnisse zu bekommen», sagte er im Gespräch mit watson-Medienpartner t-online. Er halte es zwar für realistisch, dass VW mehr als 10'000 Mitarbeiter einspart – aber eher, indem Mitarbeiter freiwillig gehen oder früher in den Ruhestand geschickt werden. Mehr als ein Werk, glaube er, sei ohnehin nicht von der Schliessung bedroht. «Und selbst die Wahrscheinlichkeit dafür liegt nur bei 30 bis 40 Prozent.»

Welche Werke könnten schliessen?

Bislang gibt es nur Spekulationen dazu. Als gefährdet gilt etwa das kleine Werk in Osnabrück, das kürzlich einen erhofften Folgeauftrag von Porsche verloren hat.

Volkswagen hatte den Standort nach der Insolvenz des Zulieferers Karmann übernommen und Nischenmodelle in Kleinserien gefertigt. Diese Modelle sind jedoch grösstenteils aus dem Programm verschwunden. Auch die Gläserne Manufaktur mit rund 300 Mitarbeitern gilt als gefährdet, ebenso wie das Werk in Chemnitz. In beiden baut VW E-Autos.

VW-Standorte in Deutschland.
VW-Standorte in Deutschland.Grafik: t-online

Experte Jürgen Pieper tippt hingegen darauf, dass das Werk in Zwickau am ehesten geschlossen wird: «Es ist einfach nicht gut ausgelastet.» Erst danach würde VW Osnabrück schliessen. Das Werk sei so klein, dass ein Aus nur symbolisch wäre. Bei einer Schliessung des Werks in Emden würde sich die niedersächsische Landesregierung querstellen. Wolfsburg hätte als VW-Stammwerk ohnehin eine zu grosse Bedeutung, um geschlossen zu werden.

Die letzte Schliessung eines Produktionsstandorts liegt bei VW mehr als 30 Jahre zurück: 1988 hatte VW seine Fabrik in Westmoreland in den USA dichtgemacht. Die Tochter Audi hatte jüngst bereits ihr Werk in Brüssel auf den Prüfstand gestellt. In Deutschland wurde noch nie ein VW-Werk geschlossen.

Wie konnte es so weit kommen?

Volkswagen steckt wie die anderen deutschen Autobauer in einer tiefen Krise. Hintergrund ist die aktuell niedrige Nachfrage nach E-Autos. Anders als etwa Toyota hat VW radikal auf E-Autos statt Hybrid-Autos gesetzt, was langfristig sinnvoll erscheint, sich in der aktuellen Situation aber als Hemmnis erweist. Die Kunden kaufen derzeit vor allem Hybride, was Toyota beflügelt und VW in die Krise stürzt.

Gleichzeitig kämpft VW mit einer zunehmenden Konkurrenz aus China, deren E-Autos oftmals deutlich günstiger sind als die hiesigen.

«Die Lage bei VW ist ernst, sehr ernst», sagt der Autoexperte. «Und jetzt macht die IG Metall durch die Ansage, dass drei Werke geschlossen werden, öffentlichen Druck auf VW. Es sieht eher aus wie ein Krieg, statt eine Lösung zu suchen.»

VW hatte im September die seit mehr als 30 Jahren geltende Beschäftigungssicherung aufgekündigt. Ab Mitte 2025 wären betriebsbedingte Kündigungen möglich. Auch Werkschliessungen hatte VW in den Raum gestellt, bisher aber keine Zahl oder Standorte genannt. Damals hatte Branchenexperte Jürgen Pieper t-online gesagt: «Dass VW die Beschäftigungsgarantie aufkündigt, zeigt, wie tief der Konzern in der Krise steckt.» Es sei «ein einmaliger Schritt in der Konzerngeschichte».

Heute sagt der Experte: «Lange herrschte in der deutschen Autoindustrie Überheblichkeit.» Viel zu lange habe man weiterhin auf den Bereich gesetzt, den sie so lange beherrschte: Benzin- und Dieselautos. So lange, dass Tesla und chinesische Hersteller in vielen Bereichen an den deutschen Herstellern vorbeigezogen seien. «Die bisherigen E-Produkte von VW und anderen Herstellern wie Mercedes waren nicht besonders gelungen, einfach kein grosser Hit.»

Die Kernmarke Volkswagen hat seit Jahren mit hohen Kosten zu kämpfen und liegt bei der Rendite weit hinter Konzernschwestern wie Skoda, Seat und Audi zurück. Ein 2023 aufgelegtes Sparprogramm sollte hier die Wende bringen, das Ergebnis bis 2026 um zehn Milliarden Euro verbessern. Unter anderem sollen die Personalkosten in der Verwaltung um 20 Prozent sinken.

Beim Personalabbau setzte VW bisher auf Altersteilzeit und Abfindungen, entsprechende Programme wurden im Frühjahr noch einmal ausgeweitet und 900 Millionen Euro für Abfindungen von bis zu 474'000 Euro für besonders altgediente Mitarbeiter zurückgelegt.

Was können Politik und Gewerkschaften tun?

Einiges. «Niedersachsen sitzt im VW-Aufsichtsrat und könnte gemeinsam mit dem Betriebsrat Schliessungen blockieren», sagt Experte Pieper. Das VW-Management könne wahrscheinlich nicht allein über die Schliessung von Werken entscheiden. «Ein Kompromiss wird nötig sein, doch das wird sicherlich schwierig werden.» VW erzielte beträchtliche Gewinne, da sei es nicht leicht, Werksschliessungen zu rechtfertigen.

Ob es in der aktuellen Lage klug ist, Sparmassnahmen zu verhindern, hält Pieper allerdings für fraglich: Der Betriebsrat riskiere, dass das Unternehmen bei zu geringen Einsparungen langfristig immer schwächer werde. «Ein mutiger Schritt nach vorn ist daher nötig: entweder durch Werksschliessungen oder – sinnvoller – durch Lohnsenkungen und Nullrunden in den nächsten Jahren.»

Und die Politik riskiere noch mehr: «Die Autoindustrie ist eine der letzten grossen Zukunftsbranchen in Deutschland, und ein Rückschritt hier würde dem Land einen massiven Wohlstandsverlust bescheren.»

Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer sagte t-online: «Das Kernproblem von VW sind die verkrusteten Strukturen bei VW in Niedersachsen, die durch die unglückliche Verfassung von VW kaum Änderung zulassen.» Solange das Land 20 Prozent der Aktien besitze und die IG Metall ihre Stärke in Niedersachen behalte, werde «VW ein politisches Unternehmen sein. Und solange wird es eine Sisyphus-Aufgabe bleiben, wettbewerbskonforme Bedingungen für VW in Niedersachsen zu schaffen», so Dudenhöffer weiter.

Wie geht es bei VW weiter?

VW steht vor enormen Zukunftsinvestitionen. Und die kann der Konzern womöglich nicht stemmen, ohne sich weiter stark zu verschulden, glaubt Experte Pieper. Deshalb habe VW das Gefühl, dringend durch Werksschliessungen oder Gehaltskürzungen sparen zu müssen.

Nicht nachvollziehbar sei es hingegen, an der Belegschaft vorbeizuarbeiten. Stattdessen müsse man gut kommunizieren, dass sowohl der Konzern als auch Mitarbeiter Abstriche machen müssen. «VW muss klar sagen: Die alten Zeiten der Privilegien, der Beschäftigungsgarantien, sind vorbei. Dafür haben wir dann aber eine Chance, das Unternehmen langfristig zu sichern.»

Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters

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101 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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bricker0813
29.10.2024 13:38registriert Oktober 2021
Das ist doch einfach nicht wahr! Global gesehen gibt es keine tiefe Nachfrage nach E-Autos. Das ist vielleicht in Deutschland so aber dieser Markt ist global gesehen fast egal. VW kriegt es nicht gebacken entweder einen günstigen "VolksEwagen" zu entwickeln oder mit Alleinstellungsmerkmalen im Softwarebereich etwas zu bieten. Kommt davon, wenn man hauptsächlich Einkäufer beschäftigt, die weltweit nach dem günstigsten Zulieferer suchen.
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pontian
29.10.2024 12:55registriert Januar 2016
„Hintergrund ist die aktuell niedrige Nachfrage nach E-Autos.“

Das bedarf Präzisierung. Ist damit die niedrige Nachfrage in Deutschland gemeint? Das ist so. Oder meint es die weltweit niedrige Nachfrage nach E-Autos VON VW?

Denn: Weltweit steigt der Absatz E-Autos sehr stark. Im grössten Markt China von unter 10% noch 2020 bis jetzt bald 50%. Selbst ärmere Länder wie Uruguay wachsen dabei stark. Dort hatten 2023 E-Autos nur 2% Marktanteil. Bis jetzt im 2024 waren es schon 20%! Und sehr viel geht dabei an die Chinesen. BYD hat 2023 3 Millionen E-Autos verkauft. Tesla 1,8 Mio. VW? 400‘000.
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Fritz Spitz
29.10.2024 12:48registriert Juli 2014
Leider ist die Gesellschaft dumm und kauft Hybride statt E-Autos, weil man irgendwie Angst hat oder unsicher ist. Dabei wäre es richtig, voll auf E-Autos zu setzen. Dazu braucht es progressives und zukunftsweisendes Denken von jedem Einzelnen.
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