Die Lage im Nahen Osten ist so brenzlig wie seit Langem nicht mehr: Nach dem Beginn der israelischen Bodenoffensive gegen die Hisbollah im Libanon hat der Iran einen massiven Raketenangriff auf Israel ausgeführt. Bereits im April hatte die Islamische Republik den jüdischen Staat mit Drohnen angegriffen; es war die erste direkte militärische Attacke auf Israel. Damals schlug Israel umgehend zurück; es kam zu Explosionen nahe beim Flughafen von Isfahan, tief im Landesinneren des Iran. Wie und wann Israel dieses Mal reagieren wird, ist derzeit noch unklar.
Die direkten Angriffe auf das Staatsgebiet des Gegners stellen eine gefährliche Eskalation des schon seit Jahrzehnten schwelenden iranisch-israelischen Konflikts dar. Doch das Verhältnis der beiden Länder war nicht immer so feindselig. Eine Übersicht.
Israel, das ohne besetzte Gebiete nur gut halb so gross wie die Schweiz ist und etwas mehr Einwohner hat, ist ein Zwerg im Vergleich zum Iran: Die Islamische Republik ist 40-mal grösser als die Schweiz und hat beinahe 90 Millionen Einwohner. Beide Länder sind auf ihre Weise Aussenseiter im Nahen Osten: Israel ist der einzige Staat mit einer jüdischen Bevölkerungsmehrheit in der Region (und in der Tat auch weltweit), der Iran hat – im Gegensatz zu den arabischen, meist mehrheitlich sunnitischen Staaten – eine überwiegend schiitische und nicht-arabische Bevölkerung.
In der jüdischen Tradition gilt Persien seit biblischen Zeiten als befreundete Nation, da die Juden im Persischen Reich bedeutende Freiheiten genossen. Die einst grosse jüdische Gemeinschaft im Iran ist nach der Islamischen Revolution 1979 auf wenige tausend Mitglieder zusammengeschmolzen. Juden sind im Iran eine anerkannte religiöse Minderheit, werden aber diskriminiert; viele sind nach Israel ausgewandert. Heute leben dort etwa 250'000 Israelis iranischer Abstammung, die zum Teil noch persische Kultur und Tradition pflegen.
Die iranisch-israelischen Beziehungen waren zu Beginn verhalten: Der Iran gehörte zu den 13 Staaten, die gegen den UNO-Teilungsplan von 1947 stimmten, der für das britische Mandatsgebiet Palästina einen jüdischen und einen arabischen Staat vorsah. Und nach der Gründung des Staates Israel 1948 stimmte der Iran auch gegen die Aufnahme des neuen Staates in die UNO. Dagegen war der Iran nach der Türkei das erste mehrheitlich islamische Land, das Israel offiziell anerkannte. In der muslimischen iranischen Bevölkerung überwogen jedoch die Sympathien für die Palästinenser.
Nach dem von den USA und Grossbritannien orchestrierten Staatsstreich 1953, der die demokratisch gewählte Regierung stürzte und durch das prowestliche Regime des Schahs ersetzte, verbesserten sich die Beziehungen zwischen dem Iran und Israel deutlich. Israel betrachtete den Iran, der kein arabisches Land ist, als natürlichen Verbündeten am östlichen Rand der arabischen Sphäre. Beide Staaten standen im Kalten Krieg auf Seiten der USA, während arabische Staaten wie Ägypten und der Irak zeitweise der Sowjetunion zuneigten. Nach dem Sechstagekrieg 1967 deckte der Iran einen Grossteil des israelischen Ölbedarfs; der Handel zwischen den beiden Staaten war rege.
Die guten Beziehungen endeten nach der Islamischen Revolution 1979, die den Schah stürzte und das Mullah-Regime in Teheran an die Macht brachte. Das islamistische Regime bezeichnete den jüdischen Staat als «kleinen Satan» (neben dem «grossen Satan» USA) und brach alle offiziellen Beziehungen zu Israel ab. Iranische Staatsbürger dürfen seither nicht mehr nach Israel reisen, das als «besetztes Palästina» gilt. Die iranische offizielle Rhetorik spricht Israel das Existenzrecht ab und propagiert die Befreiung von Jerusalem.
Dennoch gab es nach wie vor eine – allerdings verdeckte – Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten, die beide den hochgerüsteten Irak fürchteten. Als der Irak 1980 den durch die Revolution geschwächten Iran angriff, unterstützte Israel die Islamische Republik mit erheblichen Waffenlieferungen, allerdings im Geheimen. Jerusalem erhoffte sich davon nicht zuletzt eine Verbesserung der Beziehungen zu Teheran.
Das iranisch-israelische Verhältnis blieb gespannt, auch weil Israel 1982 im Libanon einmarschierte, während der Iran dort die schiitischen Milizen unterstützte. Da beide Staaten aber gemeinsame Feinde hatten, namentlich den Irak und die Sowjetunion, kam es nicht zu einer Eskalation. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 und der Niederlage des Irak im Zweiten Golfkrieg, der sein militärisches Potenzial massiv schwächte, fiel diese gemeinsame Bedrohung weg.
Nach der amerikanischen Invasion 2003 verschwand der Irak als Machtfaktor nahezu vollständig von der Bühne. In dem mehrheitlich schiitischen Land machte sich nun zunehmend der Einfluss Teherans geltend, was dem Mullah-Regime die Möglichkeit verschaffte, seine Politik des Revolutionsexports in die arabischen Staaten zu intensivieren. Der sogenannte schiitische Halbmond, der sich vom Iran bis zum Libanon erstreckt, geriet immer mehr unter iranischen Einfluss, zumal auch das syrische Regime nach Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 nur mit iranischer Unterstützung überlebte.
Damit hatte sich der Iran als Regionalmacht etabliert. Dies verstärkte den Gegensatz zu Saudi-Arabien, der mit den USA verbündeten sunnitischen Vormacht in der Region. Zugleich nahmen in Israel Befürchtungen zu, der Iran werde seine rhetorischen Vernichtungsdrohungen gegen den jüdischen Staat in die Tat umsetzen. Dass der Iran Mittelstreckenraketen entwickelte und ein Atomprogramm vorantrieb, verstärkte diese Befürchtungen. Diese Entwicklung führte zu einer Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Israel, während das Interesse für die palästinensische Sache schwand.
Die Bildung der Schiitenmiliz Hisbollah im Südlibanon, die durch die israelische Invasion 1982 massgeblich begünstigt wurde, mag für die Mullahs in Teheran zunächst hauptsächlich dem Zweck gedient haben, die Islamische Revolution in den Libanon zu exportieren. Spätestens mit dem gescheiterten Versuch Israels 2006, die Hisbollah zu zerschlagen, zeigte sich aber, dass der Iran über diese Terrorgruppe Israel indirekt angreifen konnte. Die Miliz vermochte nicht nur dem Angriff der konventionell weit überlegenen israelischen Armee zu widerstehen, sondern überzog auch den Norden Israels mit einem Raketenhagel.
Während die Hisbollah Israels Nordflanke bedroht, ist Israel im Süden mit der Hamas konfrontiert, die den Gazastreifen kontrolliert. Die Hamas ist radikalislamisch, aber sunnitisch ausgerichtet, was einer Allianz mit dem schiitischen Iran an sich im Wege steht. Da die Terrororganisation aber in den konservativen arabischen Staaten verhasst ist, weil sie aus der radikalen Muslimbruderschaft hervorgegangen ist, suchte sie in Teheran nach Unterstützung. Damit verfügt der Iran über eine Zange, mit der er Israel von zwei Seiten bedrohen kann, ohne das Land selbst anzugreifen.
Bis zur jüngsten Eskalation war der Konflikt zwischen Israel und dem Iran stets ein indirekter Krieg, in dem die mit Teheran verbündeten Milizen – neben der Hisbollah und der Hamas auch die Huthis im Jemen – Israel stellvertretend für den Iran angriffen. Zu dieser sogenannten Achse des Widerstands gehört ausserdem das syrische Regime. Israel wiederum hat wiederholt iranische Stellungen in Syrien und im Libanon angegriffen. Dieser indirekte Krieg wird auch mittels Cyberangriffen und Sabotage der gegnerischen Infrastruktur geführt. Insbesondere hat der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad seit Beginn des iranischen Atomprogramms mehrere iranische Atomwissenschaftler ermordet und Atomanlagen im Iran sabotiert. Ein Schock für das Mullah-Regime dürfte die gezielte Tötung des Hamas-Politchefs Ismail Hanija in Teheran Ende Juli gewesen sein.
Der israelisch-iranische Konflikt ist vielschichtig: Neben der ideologisch-religiösen Komponente – also dem offen propagierten Ziel der Mullahs, die «zionistische Entität» von der Landkarte zu fegen und Jerusalem zu befreien – spielt auch das iranische Streben nach regionaler Vorherrschaft eine Rolle. Der Iran nutzt dabei die Feindschaft gegenüber Israel in weiten Teilen der arabischen Bevölkerung, um trotz seiner schiitischen Prägung als Vormacht in einem überwiegend sunnitischen Umfeld akzeptiert zu werden.
Was zeigt, wie die Mehrheit denkt, wenn sie nicht vor einer westlichen Audienz spricht, wenn der Hass auf Israel das Element ist, das Sympathiepunkte bringt (ich lebte im Golf und weiss, wovon ich spreche).
Ich frage mich, warum der Westen am Beispiel Libanons - das mal Schweiz der Araber genannt wurde - nicht sieht, was für Dynamiken durch den erstarkenden Islam entstehen können.
Traurig, was aus freiheitlichen Ländern wie Iran oder Afghanistan geworden ist. Manchmal sieht man diese Bilder aus den 60ern, wo Frauen ohne Kopftücher und sogar in Miniröcken flanieren. Wie auch bei uns.
Insbesondere die israelische Siedlungspolitik hat leider auch viel zum Hass in der Region beigetragen.