Rekordtemperaturen an Land, viel zu warme Ozeane und schmelzende Gletscher – 2023 war in vielerlei Hinsicht ein klimatisches Katastrophenjahr. Die Temperaturen stiegen auf 1,5 Grad und übertrafen den bisherigen Rekord um 0,17 Grad.
Forschende waren sich indes uneinig, welche Faktoren für die rasante Erwärmung wie stark verantwortlich sind, und circa 0,2 Grad blieben gänzlich unerklärt. «Im Moment ist es, ganz ehrlich, noch ein Rätselraten», räumte etwa der renommierte Schweizer Wissenschaftler Reto Knutti im April 2024 gegenüber watson ein.
Doch nun könnte das Rätselraten ein Ende haben. Eine neue Studie, die in der Zeitschrift «Science» veröffentlicht wurde, will das fehlende Teil des Puzzles gefunden haben: Es seien – wenig spektakulär – die Wolken.
Genauer gesagt: ein Mangel ebendieser. Je weniger helle, tiefliegende Wolken über den Ozeanen hängen, desto wärmer wird die Meeres- und damit die Erdoberfläche. Denn Wasser absorbiert Sonnenlicht fast vollständig, während dichte Wolken die Sonnenstrahlen zurück in die Erdatmosphäre reflektieren – was einen kühlenden Effekt hat.
Dieses Phänomen ist bekannt als Albedo, und es wird auf einer Skala von 0 bis 1 angegeben. Dunkle Oberflächen wie Wasser oder Asphalt haben etwa niedrige Albedo-Werte, da sie kaum Licht reflektieren. Schnee oder Eis hingegen weisen besonders hohe Albedo-Werte auf.
Bisher hatten Forschende gemutmasst, dass die anthropogene Klimaerwärmung oder das El-Niño-Phänomen zu den Hauptverursachern der unerwartet hohen Temperaturen 2023 gehören. Das ist zwar nicht falsch – doch NASA-Satellitendaten, Wetterdaten und Klimamodelle legen nahe, dass der Rückgang der niedrigen Wolken die Albedo des Planeten im vergangenen Jahr auf ein Rekordtief gesenkt hat. Diese Entwicklung vermöge es, die Erklärungslücke der 0,2 Grad zu schliessen.
Beim Grund für den Rückgang der kühlenden Wolken sind sich Wissenschaftler hingegen wieder uneinig. Höchstwahrscheinlich sei es eine Kombination aus verschiedenen Faktoren, sagt der Klimaphysiker und Studienleiter Helge Gössling, der am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven forscht.
Ein solcher Faktor: Eine neue Regelung führte 2021 zu einem starken Rückgang von Schiffsemissionen. Das reinigte zwar die Luft und diente so der Gesundheit der Menschen – vertrieb aber gleichzeitig die kühlenden Wolken.
Auch natürliche Klimaschwankungen und sich verändernde Ozeanmuster könnten laut den Studienautoren dazu beigetragen haben. Ein dritter Faktor sei aber besonders alarmierend: die Klimaerwärmung selbst.
Tiefliegende Wolken mögen es kühl und feucht. Wenn sich die Erdoberfläche erwärmt, werden diese dünner oder lösen sich ganz auf. Dadurch entsteht ein Teufelskreis: Die Erwärmung vertreibt die Wolken – und deren Verschwinden treibt wiederum die Erwärmung an.
Forschende, die nicht an der Studie beteiligt waren, betonen laut CNN, welch gewichtige Rolle die Wolken auf die Klimaerwärmung haben werden. Wenn die globale Erwärmung die Wolkendecke verändert, könnte dies die Erderwärmung stärker beschleunigen als bisher prognostiziert, warnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.