Nach zwei schwierigen Pandemie-Jahren kehrten weite Teile der Welt im Frühjahr 2022 zur Normalität zurück. Die einschneidendsten Massnahmen wurden aufgehoben. Ganz anders sah es in der Volksrepublik China aus. Die Wirtschaftsmetropole Shanghai mit 22 Millionen Einwohnern befand sich vor einem Jahr mitten in einem zweimonatigen harten Lockdown.
Lange hatte sich Peking gerühmt, das Coronavirus mit seiner strikten Zero-Covid-Politik besiegt zu haben, während im «dekadenten» Westen Millionen Menschen starben. Die Omikron-Variante warf diesen Mythos über den Haufen. Während sich die Welt 2022 von den Folgen der Pandemie erholte, klammerte sich China an Zero-Covid.
Dabei ging es nicht nur um das von Xi Jinping und seinem Regime gehätschelte Narrativ, China schütze seine Bevölkerung besser als der Westen. China versuchte auch, von seiner Verantwortung für den Ursprung der Pandemie abzulenken. Denn erstmals festgestellt wurde Sars-Cov-2 Ende 2019 in der Millionenstadt Wuhan in Zentralchina.
Wie weit China ging, zeigt eine Recherche der «New York Times». Unter Druck der Regierung wurden wissenschaftliche Erkenntnisse zensiert, etwa eine Studie, die im Februar 2020 veröffentlicht wurde, am selben Tag, an dem die vom Virus verursachte Krankheit von der Weltgesundheitsorganisation WHO die Bezeichnung Covid-19 erhalten hatte.
Sie wurde von Wissenschaftlern aus den USA und China erarbeitet und enthielt Daten zur Verbreitung des Virus und zu Todesfällen. Damals galt die Studie als Musterbeispiel für internationale Zusammenarbeit in Krisenzeiten, doch nach wenigen Tagen wurde sie zurückgezogen, was in der Aufregung um die Pandemie kaum beachtet wurde.
Heute ist klar, dass nicht die Ergebnisse dafür verantwortlich waren. Der Rückzug erfolgte auf Anweisung von Beamten, die «eine Staubwolke um die Daten von frühen Covid-Fällen legen wollten», schrieb die «New York Times» am Montag. «Es wurde sehr viel vertuscht und verheimlicht», sagte der Epidemiologe Ira Longini von der Universität Florida, einer der Studienautoren.
Es sei keine neue Erkenntnis, dass sich die chinesische Regierung bemühe, den mutmasslichen Ursprung der Pandemie zu verschleiern, räumte die «New York Times» ein. So durfte eine Untersuchungskommission der WHO Anfang 2021 erst nach langem Tauziehen einreisen und nur unter Kontrolle durch chinesische Beamte arbeiten.
Es erstaunt nicht, dass ihr Abschlussbericht keine klare Aussage zum Beginn der Pandemie enthielt. Chinas «Kontrollwahn» aber ging laut der Recherche wesentlich weiter. So seien Datenbanken zensiert und wissenschaftliche Publikationen, auch international renommierte, zum Rückzug von «unliebsamen» Arbeiten gedrängt worden.
Als Beispiel wird eine Studie chinesischer Forscher zur Virusmutation erwähnt, die am 9. März 2020 in «Clinical Infectious Diseases» erschienen war, einem Magazin der Oxford University Press. Sie zeigt, dass sich die Krankheit ab Mitte Dezember 2019 in Wuhan ausgebreitet hatte, einige Wochen bevor die Regierung Massnahmen beschlossen hatte.
Tags darauf forderte das Bildungsministerium die Hochschulen unter Strafandrohung auf, geplante Forschungsarbeiten vorab zur Genehmigung einzureichen. Zwei Monate nach der Publikation von besagter Studie erschien in «Clinical Infectious Diseases» ein Update, wonach die Wuhan-Proben nicht im Dezember 2019, sondern im Januar 2020 gesammelt wurden.
Chinas Covid-Zensur hat weitreichende Folgen. So sind die Ursprünge der Pandemie bis heute umstritten. Von Anfang an unter Verdacht stand ein «Fischmarkt» in Wuhan, auf dem illegal mit Wildtieren gehandelt wurde. Von diesen soll das Coronavirus auf den Menschen übergesprungen sein, womit das Unheil seinen Lauf nahm.
Ende Februar jedoch berichtete das «Wall Street Journal», die US-Regierung gehe von einem Unfall in einem virologischen Labor in Wuhan als Ursprung der Pandemie aus. Nur wenige Wochen später erhielt die «Wildtier-Theorie» neuen Auftrieb durch Abstriche aus dem «Fischmarkt», die chinesische Wissenschaftler in einer Datenbank veröffentlicht hatten.
Westliche Forscher waren zufällig darauf gestossen und hatten bei der Sequenzierung festgestellt, dass die Proben nebst Virus-DNA auch Erbgut von Marderhunden enthielten. Diese Tiere gelten schon lange als «Hauptverdächtige» für die Ausbreitung der Pandemie. Kaum wurden diese Erkenntnisse veröffentlicht, verschwanden die chinesischen Rohdaten.
«Ich denke, es gibt eine gewichtige politische Agenda, die die Wissenschaft beeinträchtigt», sagte der Biologe Edward Holmes von der Universität Sydney, der an der Sequenzierung beteiligt war, der «New York Times». Selbst die WHO, die mit China oft pfleglich umgeht, kritisierte die mangelnde Transparenz im Umgang mit Daten aus Wuhan scharf.
Doch Peking geht unbeirrt seinen Weg der Verschleierung und Vertuschung. Dazu gehört auch das abrupte Ende der Zero-Covid-Strategie im letzten Dezember. Innert kürzester Zeit sollen sich schätzungsweise 80 Prozent der Bevölkerung infiziert haben. Die Spitäler und viele Krematorien waren überlastet. Aus Sicht der Regierung aber lief alles einwandfrei.
Im Februar feierte sie den «Sieg» über die Pandemie. China habe «ein Wunder in der Geschichte der Menschheit geschaffen», hiess es vollmundig. Die Covid-19-Todesrate des Landes bleibe die niedrigste der Welt. Laut offiziellen Zahlen sind weniger als 100’000 Menschen an oder mit einer Coronainfektion gestorben. Das wäre in der Tat sehr wenig.
Zahlen aus der Sonderverwaltungszone Macau, die offenbar transparenter informiert, zeigen ein anderes Bild. Dort war die Sterberate im Dezember regelrecht explodiert. Zwar leben im Glücksspiel-Eldorado viele alte Menschen, dennoch gehen Hochrechnungen unabhängiger Experten von bis zu 2,4 Millionen Covid-Toten auf dem chinesischen Festland aus.
Wie viele es wirklich sind, wird man vielleicht nie erfahren. Denn die Wissenschaft in China befindet sich weiter im «Würgegriff» des Staates. So wurde gemäss der «New York Times» das Labor eines chinesischen Forschers geschlossen, der den Handel mit Wildtieren untersuchte. Die Regierung habe einen Zusammenhang mit der Pandemie befürchtet.
Und erst in diesem Monat verkündeten Forscher im Dienste der Regierung, man müsse endlich ausserhalb von China mit der Suche nach den Ursprüngen des Coronavirus beginnen. Obwohl die Pandemie eindeutig von Wuhan ausgegangen war, behaupten Vertreter Chinas seit Langem, das Virus sei in einem amerikanischen Labor «entstanden».
Nun wird auch die Bildung und Wissenschaft beschnitten. Schade