Jeden Morgen scanne ich mehrere Tageszeitungen und lese mich durch die aktuellen Ausgaben meiner Abos: Die Zeit, Le Monde, NY Times, ... Ich sehe mir die Late Night Monologe des Vorabends auf YouTube an und gucke bei Twitter rein, um zu sehen, ob's grade irgendwo brennt.
Der Tenor ist klar: Mit unserer Welt geht's bergab.
Millionen von Menschen sind auf der Flucht, Rechtspopulismus ist keine Randerscheinung mehr, sondern – mal wieder – Staatspolitik, Saatgut ist ein Wegwerfprodukt aus dem Labor geworden, das Paradies versinkt im Meer und 80% der Menschheit teilen sich 5,5% des weltweiten Reichtums.
Gleichzeitig finde ich in Hong Kong eine an westlichen Problemen völlig desinteressierte Gesellschaft vor, die wunderbar mit religiöser Vielfalt klar kommt. Und in Zürich hole ich mir morgens äthiopischen Fairtrade Doppio am Stand vor dem Büro, freue mich, dass es dieses Jahr endlich mal nicht ganz so kalt ist im Winter. Ich gehöre nicht zu den 80% aber auch ganz bestimmt nicht zu den 1%. Politisch extreme (rechte wie linke) Kräfte werden von der Bevölkerung noch immer früher oder später in ihre Schranken gewiesen.
Irgendwie geht's mir gut.
Also setze ich mich hin und suche nach Statistiken, um meine subjektive Wahrnehmung mit Fakten zu untermauern und einen Ausruf des «Alles nicht so schlimm!» in die Runde zu werfen:
Und das Fazit? Kurz: Ich werde es nicht schaffen, meine individuelle Wahrnehmung auf die Gesellschaft, geschweige denn die Welt zu übertragen.
Das ist komplett davon abhängig, wie weit der Zeitrahmen der Überprüfung gesetzt wird.
Nein. Insgesamt hat die «Friedlichkeit» der Welt abgenommen. Waren es 2008 noch 28 Länder mit der besten Wertung 1 auf der Skala, die gewalttätige Verbrechen beschreibt, so sind es 2016 noch 24. Die politische Stabilität hat in Südamerika, Afrika und Russland abgenommen – und würde 2017 auch berücksichtigt, so wäre bestimmt auch Amerika abgerutscht.
Ja, aber. Laut eines Berichts der Stiftung Weltbevölkerung Hat sich die Weltbevölkerung von 3,7 Milliarden auf 7,2 Milliarden (2014; Im Moment sind es 7'396'129'230) verdoppelt. Gleichzeitig gelang es jedoch den allgemeinen Lebensstandard durch Fortschritte in Bereichen wie Bildung, Gesundheit, Einkommen und Technologie zu steigern. So lebte noch 1990 jeder Zweite in extremer Armut, heute ist es Einer von Vieren. Der Zugang zu Bildung und Familienplanung hat sich verbessert und insbesondere Frauen bestimmen heutzutage ihr Leben eigenständiger als jemals zuvor. Zwei Drittel aller Staaten sind heute Wahldemokratien.
Andererseits stieg der Kohlendioxidausstoss innerhalb der letzten 25 Jahre um 60%. Und die genannten Werte beschreiben auch nur eine durchschnittliche Entwicklung. In Entwicklungsländern ist die Wahrscheinlichkeit der Mutter an den Folgen ihrer Schwangerschaft, bzw. Geburt zu sterben noch immer 14 mal höher als in den Industriestaaten, sprich, bei uns. Und während multinationale Konzerne im grossen Stil fruchtbare Böden direkt von den Regierungen kaufen, um Energiepflanzen anzubauen (3% - 10% der weltweiten Agrarflächen), versinken hunderte Millionen Kleinbauern zum Beispiel in Afrika im Ruin, ganze Bevölkerungen hungern.
Die Global Terrorism Database der Universität Maryland verzeichnet jeden einzelnen Terroranschlag, und entgegen der persönlichen Wahrnehmung, leben wir in Europa sicherer als je zuvor. Denn wer denkt denn noch an Zeiten der linksextremen Roten Armee Fraktion oder an die katholische IRA. Nur 0.3 Prozent aller Terroropfer entfallen heute auf Westeuropa.
Doch weltweit steigt die Zahl der Terroranschläge seit 2005 wieder und 80% der Opfer sind dabei Muslime. Und ja, zwischenstaatliche Kriege sind selten geworden. Doch geht die Kurve, die innerstaatliche, gewaltsame Krisen beschreibt, steil bergauf. Bewaffnete Konflikte, die unter der offiziellen Kriegsschwelle bleiben und dennoch das Sicherheitsrisiko ganzer Kontinente aus dem Lot bringen.
Wenn man ein Auge schliesst und mit dem anderen nicht ganz so genau hinsieht, könnte man das annehmen, ja.