Es ist 2009. Also noch acht Jahre bis #MeToo. Und Til Schweiger bringt am Fernsehen jungen Frauen bei, dass Hollywood nur ein anderes Wort für Sex vor der Kamera ist. Also Porno. Til Schweiger ist 2009 nämlich Chef der RTL-Castingshow «Mission Hollywood». Es ist eine Feier der Menschenverachtung. Noch eine Spur härter als GNTM.
Zwölf junge Frauen kämpfen um eine Minirolle in einer «Twilight»-Folge (die Gewinnerin darf tatsächlich drehen, wird aber wieder aus dem Film rausgeschnitten) und spielen dafür vor Til Schweiger Filmszenen nach, die gefakte Orgasmen, lesbische Küsse und Striptease beinhalten. Dazwischen meistern sie vollkommen realistische Szenen wie Dankesreden bei den Oscars.
Dialogzeilen, die sie auswendig lernen müssen, lauten zum Beispiel: «Ich habe mir eine Flöte in die Muschi geschoben.» Wer versagt, wird auch schon mal bestraft. Etwa damit, in einem Tierhotel Hundescheisse aufzuwischen. Til Schweiger und seine Co-Juroren, darunter Heiner Lauterbach und Moritz Bleibtreu, haben ihren Spass. Die Quoten sind unterirdisch. Den wenigen, die «Mission Hollywood» schauen, ist klar: Der Typ spinnt. Respekt geht anders.
Schweigers Castingshow ist nur ein Beispiel. Immer wieder zeigt sich der Schauspieler auch betrunken auf roten Teppichen und Preisverleihungen, lallt Dankesreden in Mikrofone, beleidigt andere Schauspieler, verprügelt sie (etwa Elyas M'Barek 2015 im Berliner Promilokal Borchardt), verflucht die Medien, akzeptiert am Zurich Film Festival 2022 sein Luxushotelzimmer nicht, weil ihm die Ausstattung des Hotels zu bunt ist. Die Schlagzeile «Til Schweiger rastet aus» gibt es über die Jahre in den verschiedensten Zusammenhängen immer und immer wieder.
Alle gefühlte hundert Male tickt er auch einmal für eine gute Sache aus. Für Flüchtlinge, gegen rechts. Sein Credo ist: «Ich werde niemals einen Nazi spielen.» Manchmal schiesst er quer und fordert keine Corona-Impfungen für Kinder. Die Schlagzeilenschleuder Schweiger funktioniert so zuverlässig wie der Erfolgsfilmemacher Schweiger. Die Medien (auch wir) sind ihm dafür dankbar.
Doch irgendwie hält sich der Glaube aufrecht, dass hinter den Kulissen schon alles glatt und mit Anstand läuft. Dass Til Schweiger an seinem Lieblingsort, dem Filmdreh, eigentlich ein Guter sei. Ein einigermassen kompetenter und vertrauenswürdiger Proll-Kumpel (auch wenn sein Vermögen schon 35 Millionen Euro beträgt). Dass er da ein bisschen so ist wie in seinen Rollen eben. Es gibt viele Möglichkeiten, sich Til Schweiger schönzureden.
Gibt es nicht immer gute Gründe, gegen die Medien zu sein? Und ist es nicht irgendwie cool, dass er auch an glitzrigsten Anlässen immer im ausgeleiertsten Pulli auftritt? Und dann ist er ja auch noch SO ein engagierter Familienvater, der seinen Töchtern gerne viel zu viele Rollen gibt. Und er macht doch so hochemotionale, familienfreundliche und rührende Publikumsfilme wie «Keinohrhasen», «Zweiohrküken» oder «Honig im Kopf», so einer muss doch irgendwie sensibel sein. Oder nicht?
Vielleicht. Vielleicht ist Til Schweiger allzu sensibel. Jedenfalls, was seinen Narzissmus betrifft. Überempfindlich. Denn wie jetzt gut 50 Betroffene dem «Spiegel» gegenüber bekannt gegeben haben und darin von Nora Tschirner, dem grössten Star der Schweiger-Filme neben Schweiger, unterstützt werden, ist der universalgeniale Filmemacher hinter den Kulissen genauso despektierlich, besoffen und sexistisch wie davor.
Es gibt also keine verschworen-verschwiegene Schweiger-Gemeinschaft, in der Til zum gemütlichen Pappi wird und mit seinen Leuten unterhaltsame Filme ausheckt, nein, sein Übername ist «Imperator», und das ist nicht lustig gemeint. Nora Tschirner hat recht, wenn sie sagt, man müsse sich mit der Frage konfrontieren, auf welcher Seite man eigentlich stehe.
Das müssen auch die Medien. Vielleicht hätte es geholfen, wenn ein paar von uns in den letzten Jahren nicht einfach die Kamera draufgehalten hätten, wenn Schweiger pöbelte und lallte, wenn er und die Medien einander nicht dauernd in gegenseitigem Hass angefeuert hätten. Wenn wir respektvoller über ihn geschrieben und ihn nicht nur als Hofnarr der deutschen Filmbranche behandelt hätten.
Vielleicht hätte es auch geholfen, wenn sich Leute wie Lauterbach und Bleibtreu, die es 2009 so lustig fanden, in der Jury des Teufels zu sitzen, um ihn gekümmert hätten, wenn er mal wieder auf einem roten Teppich an ihnen vorbeitorkelte oder Interviews über seinen – angeblich ausgestandenen – Alkoholismus gab. Sich jetzt zu fragen «Was ist eigentlich los mit Til Schweiger?» ist heuchlerisch. Es war alles immer schon da. In aller Öffentlichkeit. Wieso sollte er woanders ein anderer sein?
Der Fall Schweiger ist ein trauriger Fall. Von einem Mann, der sein Ego zwischen Minderwertigkeitskomplexen und Grössenwahn nicht mehr (oder noch nie) im Griff hatte. Und von uns, die wir ihm dabei allzu gerne zuschauten, ohne uns Gedanken zu machen.
1996 war in Zürich im Kaufleuten grosse Premiere von "Männerpension". Nachher war noch Club für die geladenen Gäste. Der Schweiger grabte ziemlich angeduselt übelst meine Freundin an. Sie war alles andere als begeistert und gab dies deutlich dem Til zu erkennen. Der meinte nur "Sei glücklich, dass ich dich geil finde und lass mich machen!" Bevor es zur Eskalation kam, schaltete sich Heinz Hoenig ein und brachte ihn zur Raison.
Der Abend war so gerettet, aber der Schweiger ist seit damals bei mir unten durch!
Kein halbwegs kritischer Mensch denkt, dass der Til ein Netter ist.