Der «shit» verstopft vieles. Die Toiletten, die Lou (Kristen Stewart) in ihrem Gym reinigen muss. Und einen Riss in der Erde, in dem Lous Vater (Ed Harris) ein paar Probleme entsorgt hat, seinen «other shit», wie Lou sagt. Lous Gym steht gegen die Shooting-Range des Vaters. Lou handelt mit Muskeln und Steroiden. Ihr Vater mit Waffen. Und beide handeln mit den Träumen ihrer Kunden von einem selbstbestimmten Leben.
Gemeinsam sind Tochter und Vater sowas wie das härteste Gespann des kleinen, in allerlei depressionsfördernde Zonen zerlaufenden Ortes irgendwo in New Mexico. Tochter und Vater mögen einander nicht. Überhaupt ist der allgemeine Familienstatus so gewaltgeballt und anstrengend wie in «Game of Thrones». Immer tickt irgendein Lowlife aus. Und dann hat Lou auch noch eine komplett durchgeknallte Ex, die stets im falschen Moment am richtigen Ort ist und in ihrem ganzen drogenwirren Dusel dann doch genau die Informationen speichert, die sie auf keinen Fall mitkriegen sollte.
Doch dann wird alles viel, viel besser und viel, viel schlimmer. Denn wie es an einem Ort, der im eigenen Stillstand irre wird, sein muss, mischt eine attraktive Fremde (Katy O'Brian) alles gehörig auf. Jackie befindet sich auf der Durchreise zu einem Bodybuilder-Contest, sie braucht Gewichte und ein Bett, und weil ihr Körper ihr Kapital ist, setzt sie dieses auch in allen Belangen höchst ungeniert ein. Für Lou ist Jackie Liebe auf den ersten Blick.
Regisseurin Rose Glass ist genauso alt wie ihr Star Kristen Stewart, nämlich 34, und nur ein Jahr jünger als die einstige Polizistin und Profi-Kampfsportlerin Katy O'Brien. Ihr hartgesottenes Drehbuch hat die Britin gemeinsam mit der Polin Weronika Tofilska geschrieben, die selbst unter anderem bei «Baby Reindeer» oder «His Dark Materials» Regie führte.
Schon als Teenager suchte sich Glass gerne im Internet die gewalttätigsten Filme zusammen und drehte skurrile Kurzfilme, etwa eine Fake-Doku über Aliens. 2019 feierte sie mit ihrem Regiedebüt, dem Nonnen-Horror «Saint Maud», grosse Erfolge. Jetzt hat sie von der Produktionsfirma A24 viel Geld gekriegt und daraus einen fiebrigen Thriller mit komischen Elementen gemacht, einen Liebesfilm, der sich als Actionfilm tarnt, was konsequent ist, denn nichts erschüttert ein Leben bekanntlich so gründlich und folgenreich wie die Liebe.
Für Glass und Tofilska, die seit ihrer Ausbildung in Polen in London lebt, ist Amerika keine Heimatrealität, sondern vielmehr eine aus Hunderten von Filmen bekannte Fantasie, das Filmland schlechthin. Die «Realität» des Jahres 1989, in dem der Film spielt, wird über Europa reingeholt, über den Mauerfall in einer Nachrichtensendung.
So ist «Love Lies Bleeding» denn zu einem Kaleidoskop amerikanischer Filmfantasien geworden, ein bisschen Lynch und Tarantino, ein bisschen Coen, ein bisschen «Thelma & Louise» und «Rocky» und «Bound». Meist ist das unterhaltsam und Fun, selten etwas dick aufgetragen (etwa im Finale), aber hey, die Steroide, die da ampullenweise konsumiert werden, müssen sich ja auch irgendwie auf die Bildsprache übersetzen. Sensibel darf man bei diesem Film nicht sein, mit der Flüssigkeit Blut wird grosszügig gewirtschaftet.
Stewart und O'Brien haben eine geradezu unverschämte Chemie miteinander, man glaubt dieser Amour fou jede Sekunde. Es sei in jedem Sinne «heiss» gewesen beim Dreh, sagen die beiden in Interviews, auch im meteorologischen, die Temperaturen seien derart hoch gewesen, dass die Sexszenen mit integriertem Aquaplaning stattgefunden hätten.
Alle sind toll in «Love Lies Bleeding», Ed Harris als despotischer Psychopath, O'Brien als sinnliche Kraftmaschine, Dave Franco (der jüngere Bruder von James Franco) als bösartiger Idiot und Anna Baryshnikow (die Tochter von Ballett-Ikone Mikhail Baryshnikow) als irrlichternde Ex von Lou.
Natürlich hat sich Stewart mit «Love Lies Bleeding» einen lang gehegten Traum erfüllt, den von zwei lesbischen Heldinnen, die den Begriff «Grenze» nicht in ihrem Wortschatz und in ihrer Lebenspraxis führen. Und zum ersten Mal spielt sie so, als hätte sie sich vor der Kamera immerzu wohl gefühlt. Mit dem gewohnten Strom unter ihrer durchsichtigen Oberfläche, mit der gewohnt erhöhten Drehzahl des inneren Motors, aber weniger edgy und artifiziell als sonst. Da hat eine ihren idealen Aggregatzustand gefunden. Endlich.
«Love Lies Bleeding» läuft ab dem 25. April im Kino.