Jennifer Anistons Serie «The Morning Show»: Prophetischer Super-Trash
Und plötzlich betrachtete Reese Witherspoon die Welt zehn Minuten lang von oben. Aus einer Rakete. Zusammen mit einem Tech-Milliardär. Das war 2023, in der dritten Staffel von «The Morning Show». Und die Welt dachte sich wieder einmal, dass das Drehbuch der Serie definitiv mit viel zu viel Koks intus geschrieben worden war. Was für ein Quatsch! Gut eineinhalb Jahre später veranlasste Tech-Milliardär Jeff Bezos den überflüssigsten Raketenflug aller bisherigen Zeiten, den mit Katy Perry, und «The Morning Show» schien eine einzige Prophezeiung dessen, was an immer noch mehr Wahnsinn möglich war.
Die Serie ist nun in der vierten Staffel, 2019 startete sie als grosses Prestige-Projekt zum Launch von Apple TV+ – und entpuppte sich als komplett überbordende, ja abwegig durchgeknallte Hochglanz-Soap mit Realitätsanspruch.
Jennifer Aniston und Reese Witherspoon spielen die beiden Moderatorinnen von Amerikas beliebtestem Frühstücksfernsehen TMS (The Morning Show) und sind zugleich auch die Produzentinnen der Serie, was ihnen pro Folge, so die BBC, je 2 Millionen Dollar einbringen soll. Anistons Vermögen wird aktuell auf 320 Millionen Dollar, Witherspoons auf 440 Millionen Dollar geschätzt, beide sind längst auch als Produzentinnen tätig, besonders Witherspoon hat sich mit der Umsetzung von Stoffen von Frauen in den letzten Jahren einen Namen gemacht: «Gone Girl», «Where the Crawdads Sing», «Big Little Lies» oeder «Little Fires Everywhere» sind dank ihrer Produktionsfirma Hello Sunshine entstanden.
«The Morning Show» zeigt nun die Arbeit in einem Medienkonzern, wie er gewiss nirgendwo auf der Welt existiert: Wunderschöne Menschen mit immerzu perfekt frisiertem Haar und teuerster Designermode leben mitten in New York in aberwitzig schicken Penthouses oder Luxushotels, ihr Sexleben und ihr Arbeitsethos sind im konstanten Overdrive, stets stehen sie mitten im News-Gewitter, ganz egal, ob sie dabei ihre Gesundheit oder gar ihr Leben aufs Spiel setzen. Alle sind eiskalt ehrgeizig.
Die schwer an Covid erkrankte Alex Levy (Aniston) etwa berichtet live aus dem Bett über das Leben mit Covid, dann wieder stürzt sie sich mitten in die Waldbrände von Los Angeles oder in Strassenkämpfe zwischen Klimaaktivisten und der Polizei in New York. Und Bradley Jackson (Witherspoon) liefert den Sturm aufs Kapitol in Amerikas Wohnzimmer – nur um zu sehen, dass ihr eigener Bruder unter dem Mob ist.
Wieder und wieder wurden die Drehbücher der Serie umgeschrieben, um sie der jeweils aktuellen Newslage anzupassen, MeToo, Covid und der Angriffskrieg auf die Ukraine funkten dazwischen. Doch je präziser die Weltlage gefasst wurde, desto mehr entgleisten die privaten Welten der Figuren, ein heilloses, architektonisch zunehmend prekäres Chaos an Affären und Betriebs-Intrigen türmte sich über der Handlung. Aber egal, die Strahlkraft der Stars, der schamlos überzeichnete Lifestyle, das schiere Staunen über all die irren Wendungen genügten, das Publikum blieb dabei, nach der zweiten Staffel verkündete Apple TV+, dass die Serie über die Kunst, Quoten zu machen, die bisher quotenstärkste Eigenproduktion sei (später wurde sie von «Severance» abgelöst).
Staffel vier steigt im Wahljahr 2024 ein. Und im Jahr der Olympischen Sommerspiele von Paris. Und im Jahr, als sich die Medienwelt so hart wie nie zuvor mit dem unheimlichen Gegner namens Künstliche Intelligenz konfrontiert sieht. Die Frage, ob es überhaupt noch eine richtige Information in einer fälschbaren Welt gibt, beschäftigt auch Alex Levy, die zum Opfer einer Deepfake-Attacke wird. Und Levys menschlich nachvollziehbare, aber allzu spontane Fluchthilfe für eine iranische Sportlerin führt zu unabsehbaren politischen Folgen. Und Levys CEO will partout das politische Klima des Senders und von TMS umkehren, sie sollen nicht mehr «ein Lautsprecher für die Demokraten» sein. Der Anfang ist die Einstellung eines Podcasters, der ganz dem Stahlbad der toxischen Männlichkeit entsprungen ist.
Was plakativ klingt, ist dann in der Ausführung doch etwas differenzierter und für neue, strahlende Soap-Effekte sorgt die Überfranzösin Marion Cotillard, die möglicherweise noch schönere Kleider tragen darf als alle anderen.
So beherzt sich Alex Levy in jedes gegenwartspolitische Inferno stürzt – Jennifer Aniston tut es nicht. Sie ist eine private Frau. Seit April sagen ihr die Medien einen neuen Boyfriend nach, er sei Transformations-Coach und Hypnotherapeut und habe sie beinahe von ihrer Flugangst kuriert. Sie selbst rät in der aktuellen Vanity Fair der Journalistin, die sie zuhause besuchen darf, dazu, sich mit Rosenquarz, Amethyst und weisser Jade gegen die Zudringlichkeiten des Jetzt zu wappnen und erzählt liebevoll von ihren besten Freundinnen Sandra Bullock, Gwyneth Paltrow (die beiden teilen sich einen ehemaligen Boyfriend – Brad Pitt) und Courtney Cox.
Den offenen Brief der grössten Hollywoodstars zugunsten von Jimmy Kimmel hat sie unterzeichnet und einmal hat sie sich gegen J.D. Vances Beschimpfung der Demokraten als «bunch of childless cat ladies with miserable lives» gewandt. Doch sonst hält sie sich aus öffentlichen Debatten fern und meidet die Medien. Sie begegnet sich dort zu oft selbst. Entweder als Abgelegte von Brad Pitt oder als kinderlose, alleinstehende Frau, der ums Verrecken ganz dringend eine neue Affäre angedichtet werden muss. Mit Kimmel ist sie gut befreundet, er gehört zu einem Kreis von zehn bis fünfzehn Menschen, die sie jeden Sonntag bekocht, am liebsten mexikanisch.
Jennifer Aniston ist wirklich nicht Alex Levy. Doch bei all der Macht und dem Einfluss, die sie seit «Friends» als America's Sweetheart hat, bei aller Zuneigung, die ihr vom Publikum entgegenschlägt, wäre es gerade in Zeiten wie diesen doch schön, wenn sie sich nicht bloss mit Jade dagegen wappnen, sondern ab und zu auch einmal zur Waffe ihrer weit herum gehörten Worte greifen würde.
Die neuen Folgen von «The Morning Show» starten immer mittwochs auf Apple TV+.
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