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«Gefangen im Netz» oder wenn ein Dokfilm Jagd auf Sexualstraftäter macht

Mishka chattet mit fremden Männern im Netz. Dass sie erst zwölf Jahre alt ist, ist den meisten egal.
Mishka chattet mit fremden Männern im Netz. Dass sie erst zwölf Jahre alt ist, ist den meisten egal. bild: srf/screenshot
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«Hast du schon Sex mit Jungs?» Wie ein Dokfilm Jagd auf Sexualstraftäter macht

Männer machen Jagd auf Minderjährige im Netz. Der tschechische Dokumentarfilm «Gefangen im Netz» dreht den Spiess um – und zeigt, wie gefährlich Cyber-Grooming ist.
11.05.2022, 05:0512.05.2022, 04:49
Helene Obrist
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Zehn Drehtage, drei 19-jährige Schauspielerinnen, die sich als Minderjährige ausgeben, 2458 Kontaktanfragen von Männern. Das ist der tschechische Dokumentarfilm «Gefangen im Netz».

Die 100 Filmminuten sind schwer auszuhalten. Der Dok beginnt mit einem Castingaufruf der tschechischen Filmemachenden Vít Klusák und Barbora Chalupová. «Für einen Dokfilm suchen wir eine erwachsene Schauspielerin, die wie zwölf aussieht», so die Ausschreibung.

Zum Casting erscheinen 23 Frauen, gekleidet wie kleine Mädchen. Klusák und Chalupová erklären ihr Vorhaben: Für die Doku sollen auf Facebook, Skype, Snapchat, Omegle und lidez.cz Profile angelegt werden. Profile der Schauspielerinnen, die sich dort als zwölfjährige Mädchen ausgeben und nur «ein wenig quatschen wollen».

Damit wollen die beiden Tschechen das Phänomen «Cyber-Grooming» dokumentieren. Also wie sich Erwachsene im Netz das Vertrauen von Kindern und Jugendlichen erschleichen, um sie danach sexuell zu belästigen oder zu missbrauchen.

Drei Mädchen, drei Kinderzimmer

Drei Schauspielerinnen sagen nach dem Casting zu. Mit kindlichen Zöpfen und pinker Kleidung sitzen sie zehn Tage lang vor ihren Rechnern. In drei speziell für den Film gestalteten Kinderzimmern.

Kaum sind die Profile der minderjährigen Mädchen erstellt, trudeln bereits die ersten Kontaktanfragen ein.
Kaum sind die Profile der minderjährigen Mädchen erstellt, trudeln bereits die ersten Kontaktanfragen ein. bild: screenshot/srf

Kaum steht das erste Profil, trudeln die ersten Kontaktanfragen ein. Die Mehrheit ist von Männern – erwachsene, zum Teil mehr als dreissig Jahre ältere Männer.

Klusák und Chalupová filmen, wie die Männer mit den Mädchen chatten. Wie sie sie anrufen und mit ihnen sprechen. Und wie sie immer und immer wieder sexuelle Anspielungen machen.

«Hast du schon Sex mit Jungs?», «Wollen sie dir den Schwanz in die Möse stecken?», «Willst du ihn einmal sehen?», «Zieh doch dein T-Shirt aus!», sagen und schreiben sie. Die Kameras halten stets drauf.

Im Dokfilm wurden die Gesichter der Männer unkenntlich gemacht. Das gesamte Filmmaterial wurde danach aber der tschechischen Polizei übergeben.
Im Dokfilm wurden die Gesichter der Männer unkenntlich gemacht. Das gesamte Filmmaterial wurde danach aber der tschechischen Polizei übergeben. bild: srf/screenshot

Erpressung mit Nacktbildern

Und sie filmen auch mit, was hinter den Kulissen passiert. Sie zeigen, wie der gesamte Cast dahinter kaum glauben kann, was sie sehen. Wie die Männer die Mädchen zu Nacktbildern nötigen, sie damit erpressen oder zu persönlichen Treffen einladen. Und sie zeigen, wie die Maskenbildnerin plötzlich einen der Männer erkennt. Er soll beruflich mit Kindern zu tun haben.

«Gefangen im Netz» erzeugt ein flaues Gefühl im Magen. Und lässt es am Ende nicht verschwinden. Zwar arbeitete das Filmteam mit einer Sexualtherapeutin, einem Anwalt und der Polizei zusammen. Und es konfrontiert ganz zum Ende eben jenen Mann, den die Maskenbildnerin erkannt hat, vor seiner Haustür.

2458 Kontaktanfragen

Doch es ist die schiere Anzahl an Kontaktanfragen, die das flaue Gefühl bleiben lässt. 2458 Männer, die mit einem zwölfjährigen Mädchen chatten wollten. Ob die betroffenen User nach dem Dokumentarfilm zur Rechenschaft gezogen wurden, zeigen die Filmemachenden nicht. Auch nicht, wie es den drei Schauspielerinnen nach dem Dreh geht.

Medienberichten zufolge haben Klusák und Chalupová das Filmmaterial der tschechischen Polizei übergeben. Diese sollen die Täter ausfindig gemacht und Anzeige erstatte haben. Mindestens eine der Schauspielerinnen liess sich nach dem Dreh psychologisch betreuen.

2020 feierte der Film von Vít Klusák und Barbora Chalupová in Tschechien sein Debüt. Am Dienstagabend wurde «V síti – Caught in the net», wie er im Original heisst, auf SRF ausgestrahlt.

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74 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Cleora
11.05.2022 06:55registriert Juni 2020
Hab die Dok gesehen, sehr verstörend. Hab ich selber zur Genüge so erlebt in dem Alter. Auch auf CH Seiten wie damals noch Bluewin Chat waren mehrheitlich Grüsel unterwegs - ich war darauf definitiv nicht vorbereitet als 12/13 Jährige und viel zu naiv unterwegs, wofür ich mich heute ohrfeigen könnte. Der Gang zur Mutter, Lehrer oder Polizei wäre für mich damals das Ende der Welt gewesen, was rückblickend natürlich absurd ist im Verhältnis zu Pädophilie, im Kopf eines Teenagers aber sind die Prioritäten anders gewickelt und das wird schamlos ausgenutzt. Dort sehe ich die grösste Hürde.
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Yep
11.05.2022 07:15registriert Februar 2014
Verstörend. Erschreckend. Und ich, männlich, frage mich immer wieder, was im Leben dieser Männer passiert ist, damit solche pervertierten Verhaltensweisen entwickelt wurden.

Unsere Tochter (heute 14) ist uns gegenüber glücklicherweise transparent. In Chats vergehen keine 2 Stunden bis die ersten Dick-Picks geschickt werden (wollen). Man muss richtigehend mit seiner Tochter Strategien, Taktiken und Regeln definieren, um sie einigermassen ruhig das Netz nutzen lassen zu können.
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sansibar
11.05.2022 06:55registriert März 2014
Einfach krank! Schade dass so ein Film überhaupt nötig ist. Bravo an das tschechische Team!
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Ich habe zu viele Jacken. EIGENTLICH bräuchte ich nur diese eine einzige
Ohne Absicht akkumuliert man viel zu viele Kleidungsstücke. Wirklich brauchen täte man aber nur wenige.

Ich wollte diese Kolumne mit der Aussage beginnen: «EIGENTLICH interessiere ich mich nur mässig für Kleider» ... doch dann stellte ich fest: Das stimmt so nicht ganz. Gewiss, aktuelle Modetrends gehen mir am Allerwertesten vorbei. Doch Kleidung per se scheint mir offenbar nicht unwichtig zu sein. Oder wie anders kann ich's erklären, dass ich so was von krass viele Jacken und Mäntel besitze?

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