Als der 15-jährige Duleep Singh vor ihr steht, seufzt die 35-jährige Queen Vicoria: «Diese Augen und diese Zähne sind zu schön!» Victoria hat Duleep Singh, den letzten Maharadscha der Sikh und Sohn des «Löwen von Punjab», bereits vor fünf Jahren vom Thron gestossen und seine Mutter, die für den Minderjährigen die Regierungsgeschäfte führte, ins Gefängnis geworfen.
Sie hat den Buben ins Exil geschickt und einem fundamentalchristlichen britischen Militärarzt zur Umerziehung überlassen, sein Reich, den Punjab, annektiert und das grosse Symbol der Macht der Maharadschas, den Koh-i-Noor-Diamanten, an sich gerissen. Seither gilt der Stein als Inbegriff der erfolgreichen britischen Expansionspolitik.
Dennoch fühlt Victoria ein diffuses Mitleid mit dem «armen, entmachteten indischen Prinzen», wie sie ihn nennt. Bei seinem Besuch 1854 lässt sie ihn von Franz Xaver Winterhalter, dem Lieblingsporträtisten aller Royals von Russland bis Grossbritannien, in einer prächtigen höfischen Fantasiemontur malen. Auf dem Bild trägt er einen Perlenschmuck mit einem Porträt der Kaiserin von Indien. Victoria.
Zum Trost – oder um ihn erneut zu demütigen – zeigt die siegreiche Queen Duleep Singh den Koh-i-Noor. Der Prinz dürfte schockiert gewesen sein, denn der Stein, der jahrhundertelang 186 Karat (37,2 Gramm) schwer gewesen war und den sein Vater in ein Armband gefasst trug, wiegt jetzt noch 108,93 Karat (21,786 Gramm).
Victoria hat den ungewöhnlichen Stein, der auch heute noch die älteste dokumentierte Geschichte eines Diamanten erzählt, zurechtgestutzt wie ihre Kolonien. Aus einem unregelmässig geformten, funkelnden und mythenumwobenen Schmuckstück, das zum ersten Mal um 1300 erwähnt wurde, ist ein ovales, nach «europäischer» Façon zurechtgeschliffenes Juwel geworden. Victoria trägt es als Brosche.
Wie der Koh-i-Noor wird Duleep Singh zum exotischen Schmuckstück am Hof der Queen. Später heiratet er eine Missionarin, macht riesige Schulden, bleibt ein Leben lang unglücklich. Seine Töchter werden in England zu bedeutenden Suffragetten.
Nach Victorias Tod, 1901, wird der Diamant in die Krone von Queen Alexandra gesetzt, 1911 in die Krone von Queen Mary und 1937 schliesslich in die Krone von Queen Elizabeth, der Queen Mother, wo er heute noch ist. Einen ihrer letzten grossen Auftritte hatte die Krone mit dem «Berg des Lichts», wie der Diamant übersetzt heisst, auf dem Sarg der Queen Mother 2002.
Der Wert des Koh-i-Noor ist nicht bestimmbar. Schätzungen bewegen sich zwischen 140 und 400 Millionen Pfund.
Camilla hätte die Krone der Queen Mother nun zur Krönung am 6. Mai tragen sollen, doch Indien schaltete sich ein und monierte, dass das Zurschaustellen des Koh-i-Noors (den in den letzten Jahrzehnten wechselweise seine früheren Besitzerländer Indien, Pakistan, Afghanistan, der Iran und auch die Taliban zurückverlangten) allzu schmerzhaft auf die konfliktreiche gemeinsame Vergangenheit hinweisen würde. Camilla wird deshalb wieder die Krone von Queen Mary tragen, die 1937 mit einem Ersatzdiamanten versehen wurde.
In Indien wird Camillas Ausweichmanöver als Heuchelei gewertet. Ein Kommentar im «Indian Express» forderte, dass sie den Stein ruhig für alle sichtbar tragen solle, quasi als walk of shame. Dafür solle Grossbritannien besser ganz andere Dinge zurückgeben, die unter der Kolonialherrschaft zerstört worden seien: Würde, Wirtschaft, Infrastruktur.
Noch über Queen Victorias Tod hinaus wird in Afrika der Zweite Burenkrieg (1899 – 1902) ausgetragen. Er endet damit, dass die Burenstaaten Transvaal und Oranje-Freistaat Grossbritannien einverleibt werden. Jetzt, da Grossbritannien sich nicht mehr am früher so lukrativen Sklavenhandel bereichern darf, will es die Gold- und Diamantvorräte der beiden mineralienreichen Staaten für sich nutzbar machen.
1905 wird in der südafrikanischen Premier Mine nur neun Meter unter der Erdoberfläche der bis heute grösste Diamant der Welt gefunden. Er wiegt 3106 Karat (621.2 Gramm) und wird nach dem Besitzer der Mine Cullinan getauft. Damals ist er 150'000 Pfund wert. Heute würde sein Wert etwa 380 Millionen Pfund betragen.
Zuerst wird er in Südafrika ausgestellt, dann schickt ihn die Premier Mine nach England, in der Hoffnung, einen Käufer zu finden. Um den kostbaren Transport zu tarnen, reist eine wertlose Kopie des Steins auf einem schwer bewachten Schiff und unter grosser öffentlicher Aufmerksamkeit nach England. Der echte Stein wird unterdessen unauffällig mit der ganz normalen Post nach London geschickt. Doch dort interessiert sich niemand dafür, und die Regierung von Transvaal beschliesst, ihn King Edward VII. als Unterwerfungsgeste der neuen Untertanen zum Geburtstag zu überreichen.
Der König denkt sich, mehr ist mehr, und lässt den Stein in 105 Stücke spalten, 9 grosse und 96 kleine. Die beiden grössten werden erneut zu einer Brosche, doch die ist viel zu schwer. 1911 wird der grösste – Cullinan I oder Great Star of Africa – in das königliche Zepter von 1611 eingefügt. Der zweitgrösste – Cullinan II oder Lesser Star of Africa – wird Teil der ebenfalls 1611 gefertigten Imperial State Crown.
Die Arbeitsbedingungen in den afrikanischen Diamantminen sind eine Katastrophe, die schwarzen Minenarbeiter gelten kollektiv als kriminell, müssen sich täglich einer Leibesvisitation aussetzen und werden in mit Stacheldraht umzäunten Lagern gehalten, die sie während ihrer vertraglichen Einsätze nicht verlassen dürfen. Die weissen Minenarbeiter geniessen dagegen viele Freiheiten.
Beide Steine werden an der Krönung von Charles dabei sein. Die Imperial State Crown wird er – mit Ausnahme jenes Moments im Krönungszeremoniell, wo ihm die 2,5 Kilo schwere, goldene St. Edward's Crown kurz aufgesetzt wird – auf dem Kopf tragen, das Zepter in der Hand.
Die Imperial State Crown musste übrigens 1845 ganz neu zusammengeflickt werden: Während der Parlamentseröffnung fiel sie von ihrem Kissen, «es war alles zerdrückt und zerquetscht wie ein Pudding, der in sich zusammengefallen war», schrieb Queen Victoria. Duleep Singh hätte dies gewiss gerne gesehen. Doch der letzte Maharadscha war da erst sieben Jahre alt.
Das waren nie die Nettesten oder liebsten Herrscher, sondern immer nur die Schlimmsten der Schlimmen.
Die Windsors sind auch nur an der Macht, weil sie via Kriegen, Intrigen oder Zweckheiraten die anderen Familien ausgestochen haben.