Er ist 42 Jahre alt, sie Ende 20. Er behauptet, in Bosnien als Automechaniker und Förster gearbeitet zu haben. Sie hat ihre Wurzeln ebenfalls in diesem Kulturraum, spricht aber fast akzentfrei Mundart. Er ist ein derart krasser Täter im Bereich häusliche Gewalt, dass Staatsanwalt Simon Burger im Prozess vor dem Bezirksgericht Kulm sogar seine Verwahrung beantragte. Sie ist unzweifelhaft ein Opfer – auch wenn es schwerfällt, zu verstehen, weshalb sie sich über Monate hinweg von ihm drangsalieren liess. Weshalb sie nicht früher flüchtete, Alarm schlug. Nach all den Erniedrigungen, Schlägen, sexuellen Übergriffen. «Ich hatte Todesangst», erklärte sie vor Gericht. Er habe sie immer wieder bedroht. Ein Gutachter fand heraus, dass sie eine sogenannte «abhängige Persönlichkeitsstörung» hat, ständig befürchtet, verlassen zu werden.
Das nutzte er schamlos aus. Er, der bereits einschlägig vorbestraft ist. Der Bosnier, nennen wir ihn Cazim, ist im Jahr 2000 ein erstes Mal in die Schweiz gekommen. Cazim war hier vier Jahre lang verheiratet. In dieser Zeit wurde er drei Mal verurteilt: wegen häuslicher Gewalt, Tätlichkeit, Diebstahl. Nachdem er eine 32-monatige Strafe abgesessen hatte, durfte er vier Jahre lang nicht mehr in die Schweiz einreisen.
Der mittelgrosse, schmächtige Mann mit kurzrasiertem Haar wurde in Handschellen und Fussfesseln in den Gerichtssaal geführt. Letztere wurden ihm auch während der Verhandlung nicht abgenommen. Er war sehr mitteilungsbedürftig, antwortete auf jede Frage der Gerichtspräsidentin mit ausschweifenden Erklärungen – allerdings mussten diese immer von einem Dolmetscher übersetzt werden. So richtig Emotionen zeigte er erst, als er das Urteil vernahm. Der vorher so selbstsichere Cazim vergoss Tränen.
Staatsanwalt Simon Burger hatte 11 Jahre Freiheitsstrafe und 20 Jahre Landesverweis gefordert. Er hob im Plädoyer hervor, dass der Angeklagte überhaupt keine Reue oder Einsicht zeige und darüber hinaus Lügengebäude fabriziere. Zudem forderte er das Gericht auf, die Verwahrung auszusprechen. Ein Gutachten habe gezeigt, dass Cazim an einer schweren Persönlichkeitsstörung leide und mit einer hohen Wahrscheinlichkeit wieder rückfällig werde. Der Angeklagte sei nicht therapierbar. «Eine Freilassung des Angeklagten kommt dem russischen Roulette nahe – wobei nicht nur eine Kugel im Lauf ist, sondern zwei. Das Gutachten hat gezeigt, dass der Angeklagte mir einer 40-prozentigen Sicherheit innerhalb von vier Jahren wieder einer Frau Schaden zuführen wird», meinte Burger.
Cazim und die etwa 15 Jahre jüngere Frau lernten sich 2017 über Facebook kennen. Er lebte in Bosnien, sie in der Schweiz. Die Frau war zwar noch verheiratet, lebte aber von ihrem Mann getrennt. Nachdem sie sich während einer Woche Nachrichten geschickt hatten, beschloss Cazim, ins Wynental zu reisen und bei ihr einzuziehen. Man wollte sich näher kennenlernen und sehen, ob man eine gemeinsame Zukunft hat. Bis dahin stimmen die Schilderungen des Opfers und des Angeklagten überein.
Der Angeklagte behauptete etwa: «Ich habe sie nie geschlagen, ihr nicht einmal eine Ohrfeige gegeben.» Sie sei eine sehr eifersüchtige Frau. «Sie war es, die Männer in die Wohnung gebracht hat und eine Affäre mit einem Mann hatte. Die beiden haben mir Schlafmittel in den Kaffee getan. Dann hatten sie Sex im Wohnzimmer, während ich im Zimmer schlief.»
Die Attacken des Angeklagten wurden über die Zeit immer heftiger. Der Staatsanwalt schilderte in der Anklageschrift Vorfälle aus den letzten zehn Tagen, ehe es das Opfer schaffte, zu flüchten. Fünf besonders schlimme Fälle aus der Anklageschrift:
Der Verteidiger von Cazim forderte einen Freispruch: «Im vorliegenden Fall steht Aussage gegen Aussage.» Das Gericht sprach ihn schuldig und verurteilte den Bosnier zu sechs Jahren unbedingt. Zudem verhängte es einen 15-jährigen Landesverweis. Von einer Verwahrung sahen die Richter ab: Diese Massnahme sei in diesem Fall «unverhältnismässig».