Vor einer Woche kannte noch niemand den Namen Funda Yilmaz. Und jetzt ist die 25-jährige Türkin zum Symbol für die Tücken der Schweizer Einbürgerungspraxis geworden. Obwohl Funda Yilmaz in der Schweiz geboren wurde, hier die Schule und eine Lehre absolviert hatte, als Bauzeichnerin arbeitet, einen einwandfreien Leumund hat und bald einen Schweizer heiraten wird, hat ihr der Einwohnerrat ihrer Wohngemeinde Buchs AG am Dienstag letzter Woche die Einbürgerung verweigert.
Auf Antrag des Gemeinderats und der Einbürgerungskommission, die ihr mangelnde Integration vorwirft. Eine Woche nach dem Entscheid, der sie «enttäuscht, traurig und hässig» gemacht habe, absolvierte Funda Yilmaz am Dienstagabend bei «Talk Täglich» auf Tele M1 bereits ihren dritten Fernsehauftritt. Sie hat sich nicht aufgedrängt. Aber sie ist bereit, über ihren Fall zu reden – in perfektem Schweizerdeutsch –, weil er ein Beispiel ist für viele missglückte Einbürgerungen.
Eine Riesenportion Mut hatte sie aufgebracht, die Nervosität vor der Sendung war fast greifbar: Yilmaz wippte auf dem Sitz, krallte die Fingernägel in die Oberschenkel, breitete ihre Spickzettelchen vor sich aus, nur um sie Sekunden später doch wieder ihrem Verlobten in die Hand zu drücken, der die Sendung in einem Nebenraum verfolgen würde. Er machte sich Sorgen, dass einer der Talkgäste seiner Funda etwas Böses tun könnte: SVP-Nationalrat Andreas Glarner, ehemaliger Präsident der Einbürgerungskommission im Aargauer Grossrat. Schützenhilfe bekam Yilmaz von Irène Kälin, grüne Grossrätin und Verfechterin einer liberalen Einbürgerungspraxis.
Glarner bemängelte, dass ihm Yilmaz keinen Einblick in ihre Einbürgerungsakten gewährt hatte. Die «Nordwestschweiz» hatte ihn: «Sie sind mit den Lebensverhältnissen in der Schweiz, im Kanton und der Gemeinde nicht vertraut», schreibt der Gemeinderat an Yilmaz. «Zudem verfügen Sie nicht über ausreichende staatsbürgerliche Kenntnisse.»
Hinweise auf weitere Gründe, etwa eine Verletzung der Wohnsitzpflicht, eine Vorstrafe, Steuerschulden oder Ähnliches, gibt es in dem Brief nicht. Fakt ist: Funda Yilmaz hat den schriftlichen Staatskundetest mit 100 Prozent bestanden. Bei den anschliessenden Einbürgerungsgesprächen mit der Einbürgerungskommission hat die junge Türkin aber nicht besonders gut abgeschnitten.
Sie sei «extrem nervös gewesen», sagt sie im «Talk Täglich». Von der Kommission nach Schweizer Sportarten befragt, nannte sie etwa Chlaus-Chlöpfen – ein Brauch aus der Region Lenzburg – und Skifahren. Erwartet wurde aber Hornussen und Schwingen. Ausser dem Matterhorn konnte sie keinen Schweizer Berg nennen, auch nicht, als sie konkret nach den Bergen um Engelberg gefragt wird, wo sie zuletzt Snowboarden war. Und sie wusste zwar, dass man Fritteusenöl nicht ins Lavabo schüttet, konnte aber die genaue Entsorgung nicht erklären – im Ernstfall würde sie es googeln.
«Ist das alles schlimm?», wollte «Talk Täglich»-Moderator Rolf Cavalli von seinen Politiker-Gästen wissen. Nein, findet Grossrätin Irène Kälin, die Yilmaz als «Vorzeigebeispiel einer gut integrierten Seconda» bezeichnete. Nur aufgrund eines schlechten Einbürgerungsgesprächs dürfe man niemandem den Pass verweigern. «Schüchternheit ist kein Hinderungsgrund», sagte sie zu Andreas Glarner, «es können ja nicht alle so ein grosses Maul haben wie Sie und ich.» Glarner sah hingegen das Einbürgerungs-Kriterium «Erfolgreiche Integration» bei Funda Yilmaz als «massiv nicht erfüllt» an: «Es braucht ja nicht viel, um heutzutage Schweizer zu werden, aber das sollte man schaffen.»
Aus dem Stand konnte Kälin – wie Funda Yilmaz – auch nicht ganz alle Nachbargemeinden ihres Wohnorts Lenzburg aufzählen. Und Andreas Glarner, Ammann in Oberwil-Lieli, kannte den höchsten Berg des Kantons Zürich (Schnebelhorn) nicht (siehe Box unten). Typische Einbürgerungsfragen, auch wenn Glarner gestand, dass er diese in seinem Dorf fast nie stelle. «Für mich ist es wichtiger, dass die Leute im Dorf integriert sind und keine Parallelgesellschaften bilden.» Worauf Yilmaz konterte, sie kenne nur das Leben in der Schweiz und sei mit einem Schweizer verlobt.
Irène Kälin sprach sich für automatische Einbürgerungen für Menschen aus, die in der Schweiz geboren werden – oder dann für sachlichere Kriterien bei Einbürgerungen, damit solche «willkürlichen» Entscheide wie im Fall Yilmaz vermieden werden könnten. Glarner monierte auch, dass viele negative Einbürgerungsentscheide vom Regierungsrat wieder gekippt würden, «ein unzulässiger Eingriff in die Gemeindeautonomie».
Ob das im Fall Yilmaz so sein wird, zeigt sich bald: Sie hat Rekurs gegen den Entscheid des Einwohnerrats eingelegt.
Einig waren sich die Grüne und der SVP-Politiker in einem Punkt: Man darf von Einbürgerungskandidaten nicht erwarten, dass sie bessere Schweizer sind als die Schweizer selber. Glarner, als Hardliner bekannt, sagte, er hätte Yilmaz aufgrund des schlechten Einbürgerungsgesprächs wahrscheinlich «auch eine Ehrenrunde drehen lassen», sie also nicht sofort eingebürgert. Aber: «Ich wünsche ihr, dass sie Schweizerin wird. Und: «Sie sind wahrscheinlich eine so gute Schweizerin wie wir alle.» Ein Satz für die Geschichtsbücher.