«Kommt der Aargauer Chloroform-Unhold doch noch frei?», fragte die «Schweiz am Wochenende» in einem Artikel Mitte Februar. «Chloroform-Unhold» – so nennen die Medien U. B. (69): ursprünglich aus dem Bernbiet, im Aargau aufgewachsen, dutzendfach verurteilter Sexualstraftäter. Am Dienstag sass er vor dem Straf- und Massnahmenvollzugsgericht des Kantons Wallis.
Für U. B. ging es um alles oder nichts. Um die theoretische Möglichkeit, nach zehneinhalb Jahren Haft – bereits das zweite Mal – nochmals freizukommen. Oder für immer in der Verwahrung zu landen. So viel sei gesagt: U. B.s Verhalten vor Gericht dürfte ihm nicht geholfen haben. Am Ende musste der tobende Senior von vier Sicherheitsangestellten abgeführt werden.
Schon als junger Mann fiel U. B. wegen voyeuristischer Neigungen auf. 1977 begann er, in Häuser einzusteigen. Oft im Seetal – er wohnte damals in Beinwil am See –, aber auch in der Region Brugg, im Wynental, im Freiamt oder im angrenzenden Luzernischen. Er spähte aus, wo junge Mädchen wohnten, schlich sich nachts in die Schlafzimmer. Dort tränkte er Wattebäusche mit Trichloräthylen, ein stark betäubender Wirkstoff, der wie Chloroform riecht. Diese legte er seinen Opfern vors Gesicht und wartete ab. Manche erwachten. Andere nicht. Es kam zu mindestens fünf Vergewaltigungen sowie weiteren sexuellen Handlungen.
Insgesamt stieg U. B. bis zu seiner Verhaftung 1979 in über 50 Häuser ein. Dafür wurde er vom Obergericht rechtskräftig zu 10 Jahren Haft verurteilt. Der damalige Staatsanwalt betonte: «Dies ist einer der allerschwersten Fälle in meiner über dreissigjährigen Tätigkeit in der aargauischen Justiz.» 1987 kam U. B. vorzeitig frei. Danach hörte man im Aargau nichts mehr von ihm – weil er in Binn VS ein Haus kaufte und fortan in der Westschweiz sein Unwesen trieb.
In den 1990er- und den Nullerjahren stieg er, «getrieben vom Verlangen, Schamhaare zu sehen», wie er später sagte, wieder in Häuser ein. Ins bekannte «Feriendorf Fiesch», in ein renommiertes Collège im Waadtland, in Privatwohnungen. Auch hier waren mehrere Dutzend Mädchen betroffen, das jüngste erst 9 Jahre alt. U. B. leerte Trichloräthylen im Zimmer aus, leuchtete mit der Taschenlampe unter Bettdecken, schnitt Pyjamas und Unterhosen auf, verging sich an einigen Opfern. Bei mehreren wurden Spermaspuren gefunden.
2007 wurde U. B., zwischenzeitlich wieder in Trimbach wohnhaft, geschnappt – vom ehemaligen Oltner Hockey-Spieler Otto Wolfisberg, dessen Tochter er nachgestellt hatte. Erst jetzt erkannten die Ermittlungsbehörden dank eines DNA-Abgleichs das ganze Ausmass der Katastrophe. Das erstinstanzliche Walliser Gericht verurteilte U. B. zu 13 Jahren Haft plus Verwahrung. Das Kantonsgericht hob die Verwahrung auf, reduzierte die Haft auf 11 Jahre und 8 Monate und ordnete eine stationäre therapeutische Massnahme an. Dies, weil eine Gutachterin ihm grundsätzliche Therapiefähigkeit attestierte.
Die Strafe fiel unter anderem deshalb so hoch aus, weil U. B. dasselbe Mädchen 1993 und 1998 im Wallis auf brutalste Art vergewaltigt und dann 2007 an der «kleinen Badenfahrt» wieder angegangen haben soll. Die erste Tat war zwar verjährt und für die dritte gab es keinen Strafantrag, aber für die Vergewaltigung von 1998 wurde U. B. verurteilt. Bis heute bestreitet er die Tat vehement. So auch am Dienstag vor dem Walliser Straf- und Massnahmenvollzugsgericht. Dort stand die Frage im Raum: Was wird aus der therapeutischen Massnahme?
Die Walliser Vollzugsbehörde sieht, gestützt auf ein psychiatrisches Gutachten, eine unverändert hohe Rückfallgefahr ohne Aussicht auf Besserung. U. B. zeige keinerlei Tateinsicht oder Therapiebereitschaft. Die stationäre therapeutische Massnahme müsse demnach wegen Aussichtslosigkeit aufgehoben und die Verwahrung angeordnet werden.
U. B. zeigte sich vor Gericht selbstbewusst. Wohl auch, weil seine «Unterstützer» anwesend waren: selbst ernannte «Prozessbeobachter», darunter der «St.-Ursen-Brandstifter» Andres Z. oder der «Richterbeisser» Kuno W. U. B. nickte den Zuschauern zu – «Mesdames, Messieurs». Viel ist nicht mehr übrig von dem einst sportlichen Mann, der 1980 in einer «turnerischen Bravourleistung» («Aargauer Tagblatt») aus der JVA Lenzburg türmte oder an Fassaden bis in Schlafzimmer im fünften Stock kletterte.
Verbal ist er allerdings fit, wenn auch auf eine zweifelhafte und zunehmend aggressive Art: Der Gutachter sei «ein trauriger Hund», die verordnete Massnahme «idiotisch». Immerhin liess er sich zur Aussage herab, dass er seine Rückfallgefahr bezüglich Gewaltdelikten als sehr gering und bezüglich Voyeurismus als mässig ansehe.
Verteidiger Stephan Bernard ging gar nicht weiter auf die Therapiefähigkeit seines Mandanten ein, sondern monierte «mannigfaltige Verfahrensmängel», die «eines Rechtsstaats unwürdig» seien. Es geht um verpasste Fristen, vermischte Verfahrens-Arten, fehlende Zuständigkeiten der anwesenden Richter. Diese dürften gar nicht auf den Verwahrungs-Antrag eintreten, ergo sei sein Mandant unverzüglich freizulassen. Wenn überhaupt, dann sei die stationäre therapeutische Massnahme zu verlängern, und zwar um höchstens zwei Jahre.
Wie geht es weiter? Theoretisch könnte U. B., der derzeit wegen ausgelaufener Massnahme in Sicherheitshaft sitzt, nächste Woche freikommen. Wahrscheinlicher ist, dass die Sicherheitshaft verlängert wird, bis ein Urteil vorliegt. Der vorsitzende Richter deutete an, dass dies länger als eine Woche dauern werde. (aargauerzeitung.ch)