Seit die roten Abstimmungsbüchlein die vergangenen Tage in die Briefkästen geflattert sind, hat sich eine Beschwerdeserie gegen das Antiterror-Gesetz entwickelt. Neben dem Kanton Zürich haben auch das Tessin, Luzern, Obwalden, Bern, Thurgau und Genf solche Abstimmungsbeschwerden erhalten.
Wer die Beschwerden eingereicht hat, ist nur zum Teil bekannt. So will etwa die Piratenpartei verhindern, dass über das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) am 13. Juni abgestimmt wird. «Der Bundesrat legt mit seinen Formulierungen im Abstimmungsbüchlein falsche Fährten», sagt Pascal Fouquet von der Piratenpartei. «Die Informationen sind teils offenkundig falsch.»
Bekannt ist auch, dass zahlreiche Juristen, wie etwa SP-Nationalrat Christian Dandrès oder Ex-Bundesrichter Niccolò Raselli zu den Beschwerdeführern gehören. Was hinter den Beschwerden steckt und ob sie Erfolg haben könnten, in vier Punkten.
Die Beschwerde der Piratenpartei richtet sich insbesondere gegen den Text im Büchlein, der über das Antiterror-Gesetz informieren soll. Die Hauptkritik: Der Text des Bundesrates sei nicht objektiv genug. Letzte Woche hat der politische Verein beim Kanton Bern Beschwerde erhoben.
«Gerade der Satz, dass die Polizei heute erst einschreiten könne, wenn eine Person bereits straffällig wurde, stimmt nicht», sagt Fouquet von der Piratenpartei. «Bei schweren Verbrechen, und darum geht es bei Terrorismus, kann der Staat bereits heute präventiv einschreiten.»
Das findet auch Niccolò Raselli, Jurist und Ex-Bundesrichter. Auch er fordert, dass die Abstimmung über das Antiterror-Gesetz verschoben wird. «Der Text im Abstimmungsbüchlein gaukelt vor, dass Terrorismus-Bekämpfung ohne dieses Gesetz nicht möglich sei. Das ist falsch», sagt Raselli. Er hat seine Beschwerde vergangene Woche in Obwalden und direkt beim Bundesgericht eingereicht.
Ganz anderer Meinung als Raselli und die Piratenpartei ist Andreas Glaser. «Die Abstimmungserläuterungen des Bundesrates kann man nicht anfechten. Ich denke nicht, dass die Beschwerden Erfolg haben werden.» Glaser ist Professor für Staatsrecht und lehrt an der Universität Zürich.
Textstellen im Abstimmungsbüchlein oder «Falschaussagen» der Bundesräte könnten gar nicht angefochten werden, sagt Glaser. Dazu sei auch die Rechtsprechung klar.
Ex-Bundesrichter Raselli ist sich dem bewusst. «Aber ich fechte auch nicht das Abstimmungsbüchlein an. Ich richte mich gegen die Abstimmung.» Dass der Bundesrat etwas behaupte, das tatsachenwidrig ist, brauche er als Argument gegen die Abstimmung.
Auch der Anwalt der Piratenpartei, Viktor Györffy legt das Ziel so aus: «Wir fechten nicht das Abstimmungsbüchlein direkt an.» Durch irreführenden Informationen im Text werde die Abstimmungsfreiheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger verletzt. «In diesem Sinne gehen wir gegen die laufende Abstimmung vor.»
Zwei Punkte dürften gegen diese Argumente sprechen: Zum einen ist das rote Büchlein nicht die einzige Quelle, um sich über Abstimmungen zu informieren. Zum anderen ist der Bundesrat nicht verpflichtet, neutral zu sein. Anwalt Györffy widerspricht: «Trotzdem ist der Bundesrat gehalten, richtig zu informieren.»
Mit seiner Beschwerde will Raselli auf einen weiteren Missstand hinweisen: Die Kantonsregierungen sind nach dem Gesetzeswortlaut zwar Rekursinstanz – auch bei Volksabstimmungen – aber nicht zuständig, die gerügten Mängel zu beheben.
Das zieht eine zweite Beschwerde zur nächsten Instanz, dem Bundesgericht, nach sich. Raselli fordert eine Praxisänderung: Das Bundesgericht soll die bei ihm direkt eingereichten Beschwerden behandeln können und so noch vor einer Abstimmung einen Entscheid fällen.
Auch Staatsrechtsprofessor Glaser räumt ein, dass einige mit der Beschwerde wohl auch den Missstand im Hintergrund angreifen wollen. «Man könnte im Gesetz auch einfach regeln, dass beispielsweise die Abstimmungserläuterungen anfechtbar sind. Dazu gab es auch einige politische Vorstösse. Doch die Mehrheit im Parlament will das offenbar nicht.»
Ein bekannter Fall, bei dem das Bundesgericht eine Abstimmungsbeschwerde guthiess, war die Heiratsstrafe. Vor drei Jahren entschied das Gericht in Lausanne, dass die Abstimmung zur Volksinitiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» ungültig ist und wiederholt werden muss.
Staatsrechtler Glaser denkt nicht, dass das Bundesgericht bei den Beschwerden zum Antiterror-Gesetz gleich entscheidet. «Bei der Heiratsstrafe war die Anzahl Doppelverdienerpaare falsch. Darüber waren sich Befürworter und Gegner der Vorlage einig.»
Überhaupt spreche auch die gängige Praxis des Bundesgerichts dagegen. Beinahe jede Abstimmungsbeschwerde habe das Gericht abgelehnt, sagt Glaser.
Staatsrechtsprofessor Glaser sieht hinter der Beschwerdeserie eine ganz andere Absicht: «Es ist ein Instrument, um auf die eigenen Argumente gegen die Vorlage aufmerksam zu machen.» Deshalb kritisiere er auch die aktuelle Entwicklung. «Beschwerde gegen Abstimmungsvorlagen einzureichen ist zum Trend geworden.»
Dass auch namhafte Juristen mit Beschwerden Stimmung gegen die Vorlage machen, findet Glaser nicht zielführend. «Es entwertet das Rechtsmittel.»
Ein Trend stellt auch Alexander Locher von der Zürcher Justizdirektion fest. «In den letzten drei Jahren wurden im Kanton Zürich deutlich mehr Abstimmungsbeschwerden eingereicht», so der Jurist.
Bei der aktuellen Abstimmung stehe das Covid-Gesetz deutlich im Zentrum. «Über 30 Personen haben im Kanton Zürich Beschwerde gegen das Covid-Gesetz eingereicht», so Locher. Beim Antiterror-Gesetz hingegen sei es bis jetzt eine.
Was Locher besonders auffalle: Die meisten Beschwerden gegen das Covid-Gesetz hätten alle ein ähnliches Muster und einen ähnlichen Wortlaut. «Es kann gut sein, dass es sich um eine koordinierte Kampagne handelt.»
Bald wird sich zeigen, wie viele der eingereichten Abstimmungsbeschwerden ans Bundesgericht weitergezogen werden. Die Kantone haben zehn Tage Zeit, um auf die Beschwerden einzugehen. Dass sie den Urnengang am 13. Juni verhindern können, ist rein aus zeitlicher Sicht sehr unwahrscheinlich.
Dann wird es wohl an der Zeit sein, dass man das kann.
Schon Mal daran gedacht, dass immer mehr Organisationen und Privatpersonen besser über ihr Recht informiert sind und sich entsprechend zu aktuellen Themen engagieren.
Mehr Beschwerden sind auch gewissermassen ein Mass dafür was alles falsch läuft, ob offensichtlich oder hinten durch. Es ist richtig und gut, dass Menschen aufstehen und sagen: "Es reicht! Wir müssen handeln."
Für eine direkte Demokratie ist es unabdingbar, dass der BR neutral argumentiert. Sobald der BR Eigeninteressen verfolgt und bewusst Lügen verbreitet, nimmt er direkt Einfluss auf das Resultat der Abstimmung.
Das ist kein BR einer direkten Demokratie, sondern vielmehr eine Vereinigung von Interessenvertretern, die das Volk manipuliert.
Soviel zur hochgelobten direkten Demokratie der Schweiz...