Frau Rytz, über tausend Personen haben heute in Bern mit Pfannendeckeln und Trillerpfeifen «Klima-Alarm» geschlagen. Doch Demonstranten machen keine Gesetze. Das geschieht im Parlament, und dort haben sich SVP und FDP beim CO2-Gesetz durchgesetzt. Was bringt eine solche Demonstration?
Regula Rytz: Die Kundgebung heute hat Aktivistinnen und Aktivisten aus der ganzen Schweiz vernetzt und die Entschlossenheit der Bewegung sichtbar gemacht. Im Parlament bewegt sich nur etwas, wenn der Druck der Bevölkerung spürbar ist. Aus dem gleichen Grund ist am 5. Oktober 2019 eine Grosskundgebung auf dem Bundesplatz geplant. Wer den Klimaschutz ernst nimmt, muss die politischen Verhältnisse im nationalen Parlament ändern und die grüne Seite stärken. Bei den Wahlen 2019 steht viel auf dem Spiel. Wir werden alles geben.
Eine knappe Mehrheit des Nationalrats wollte keinen Mindestanteil für Emissionsreduktionen im Inland. Diese Reduktion kann vollständig über den Kauf von Emissionszertifikaten geschehen. Enttäuscht?
Ja, sehr. Wir haben gehofft, dass die Erfahrungen dieses Sommers die bürgerlichen Parteien aufrütteln. Ausgetrocknete Flüsse und Wälder, Fischsterben, Notschlachtungen, Hitzetage – so langsam sollten doch alle sehen, was auf dem Spiel steht. Auch die Berichte der internationalen Klimaforschung sind an Klarheit nicht zu überbieten. Schaffen wir es nicht, die menschengemachte Klimaerhitzung auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, dann werden sich die Naturkreisläufe unumkehrbar verändern. Zum Schaden der Menschen.
Also ist es sowieso schon zu spät?
Nein, wir können das Ruder noch herumreissen. Aber es bleibt nur wenig Zeit für einen Kurswechsel. Doch das ist der SVP und FDP offenbar egal. Sie verschieben wirksame Massnahmen einfach an die nächste Generation. Das ist billig und verantwortungslos.
Die bürgerliche Mehrheit führte ökonomische Argumente ins Feld: Mit jedem für den Klimaschutz investierten Franken solle die grösstmögliche Wirkung erzielt werden. Das könne im Ausland effizienter erreicht werden. FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen warf Mitte-Links «Klimanationalismus» vor.
Herr Wasserfallen hat offenbar nicht verstanden, dass jedes Land auf dieser Welt den Ausstoss an Treibhausgasen auf netto null senken muss. Man kann die Verantwortung deshalb nicht einfach ins Ausland abschieben. Es macht auch überhaupt keinen Sinn, Geld für den Umbau von Wirtschaft und Mobilität in anderen Ländern zu investieren.
Warum nicht?
Es ist viel sinnvoller, unsere eigenen Unternehmen, den Tourismus oder die Hausbesitzer bei der Transformation ins postfossile Zeitalter zu unterstützen. Jeder Franken, den wir heute in die lokale Wirtschaft investieren, ist Teil eines notwendigen Modernisierungsprozesses. Länder wie China haben das längst erkannt. Wischen wir doch vor der eigenen Tür!
Werden Sie dem CO2-Gesetz am Ende der Session zustimmen?
Nein. Wenn es so weitergeht, dann werden die Grünen das Gesetz ablehnen. Denn nur so kann der Ständerat unbelastet von nationalrätlichen Altlasten ein besseres Gesetz machen. Doch noch ist nicht alles verloren. Am Montag hat der Nationalrat eine zweite Chance. Wenn er bei konkreten Massnahmen wie der Flugticketabgabe oder einer stärkeren CO2-Kompensation im Verkehr doch noch vorwärts macht, dann sind wir teilweise wieder auf Kurs. Wir brauchen ein griffiges Klimagesetz.
Wie realistisch ist es, dass das Parlament in der aktuellen Zusammensetzung ein solches Gesetz beschliesst?
Wahrscheinlich werden wir das Gesetz nicht vor den Wahlen 2019 fertig beraten können. Deshalb ist entscheidend, wer nach dem Oktober 2019 im Bundeshaus sitzt. Viele schlimmen Entscheidungen in dieser Woche wurden mit äusserst knappen Mehrheiten beschlossen. Wenn die Grünen ein paar Sitze zulegen, kann die Schweiz im Klimaschutz einen Sprung nach vorne machen. 2019 ist eine Klimawahl.
Im August des Hitzesommers 2018 lancierten Privatpersonen die Gletscher-Initiative, welche von den Grünen unterstützt wird. Sie will, dass die Schweiz bis ins Jahr 2050 überhaupt kein CO2 mehr ausstösst. Auch wenn Sie mit dem CO2-Gesetz unzufrieden sind: Das dürfte chancenlos sein.
Nein. Die Initiative will ja die Umsetzung des Klimaabkommens von Paris in die Verfassung schreiben. Ich bin sicher, dass die Bevölkerung das unterstützt. Die meisten Menschen wissen spätestens nach diesem Sommer, dass dringend gehandelt werden muss. Sie sind nicht so abgehoben wie die Vertreter von bürgerlichen Parteien, die von der Erdöl- oder Autolobby gesponsert werden. Es braucht Druck von unten.
BDP-Nationalrat Grunder kündigte diese Woche im Blick eine Initiative für einen langfristig CO2-freien Verkehr an. Unterstützen Sie das Vorhaben?
Klar. Wir arbeiten in eine ähnliche Richtung. Die Jungen Grünen haben ja vor zehn Jahren die «Stopp-Offroader-Initiative» gesammelt und dann leider aufgrund von falschen Versprechen des Bundesrates zurückgezogen. Wir diskutieren zur Zeit über die Neuauflage dieser Initiative. Das Ziel muss sein, ab 2025 oder 2030 keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr in die Schweiz zu importieren. Nur so können wir uns bis 2050 vollständig aus der Abhängigkeit von Öl und Gas befreien.
Verzetteln sich die Befürworter eines schärferen Klimaschutzes nicht zu stark? Es scheint, als köchle jede Partei ihr eigenes Süppchen, anstatt sich zusammenzuraufen.
Natürlich müssen wir alle zusammenarbeiten, um etwas zu erreichen. Deshalb haben wir uns in der Klima-Allianz zusammengeschlossen. Aber es kommt nicht nur auf die Politik an. Jeder und jede von uns kann auch ganz persönlich schon viel tun. Wir sind ein reiches Land mit besten Voraussetzung für Innovation. Es ist an uns, die Komfortzone zu verlassen. In keinem Land werden pro Kopf mehr schwere Geländewagen gekauft und mehr Flüge gebucht. Doch immer mehr Menschen zeigen, dass es auch anders geht. Auf sie kommt es an. Weiter wie bisher ist keine Option.