Eine derart «spezielle» Bundesratswahl hat es lange nicht gegeben. Das zeigte sich am letzten Dienstag, als SP-Urgewalt Jacqueline Badran die im Bundeshaus vor dem Fraktionszimmer der Grünliberalen wartenden Journalisten anfauchte: «Die Welt steht kopf, und ihr schreibt über ein Hearing von Bundesratskandidaten bei der GLP! Gahts öi eigentli na!»
Das globale Chaos, das US-Präsident Donald Trump anrichtet, beschäftigt nicht nur die Zürcher Nationalrätin. Es überschattet die Suche nach einem Nachfolger für Bundesrätin Viola Amherd. Hinzu kommt, dass die beiden von der Mitte-Partei nominierten Männer wie eine Verlegenheitslösung wirken, nachdem alle potenziellen Favoriten abgesagt hatten.
Der 57-jährige St.Galler Nationalrat und Bauernpräsident Markus Ritter ist in Bundesbern so gut vernetzt wie kaum jemand sonst. Er hat den Heimvorteil, doch mit seinem «Bauerplay» ist er vielen quer durch alle politischen Lager auf die Füsse getreten. Das hilft dem 61-jährigen Zuger Gesundheitsdirektor Martin Pfister, der ein Auswärtsspiel bestreiten muss.
Die Begeisterung hält sich dennoch in Grenzen, besonders im linksgrünen Lager. Dort liefen die üblichen Spielchen, sprich die Suche nach Sprengkandidaten. Offenbar ohne Erfolg. Denn der Linken fehlen nicht nur die nötigen bürgerlichen Stimmen. Sie haben schlicht niemanden aus der Mitte-Partei gefunden, der eine «wilde» Wahl annehmen würde.
Es wird auf Pfister oder Ritter hinauslaufen. Äusserlich sehen sie sich verblüffend ähnlich, doch inhaltlich gibt es Unterschiede, wie eine «CH Media»-Analyse zeigt: Martin Pfister ist aussen- und gesellschaftspolitisch offener als Markus Ritter. Gleiches gilt für den Umweltschutz, während Pfister in der Finanzpolitik restriktiver ist als Bauernlobbyist Ritter.
Wer aber hat die besseren Chancen? Besonders weit auf die Äste hinaus hat sich der «Blick» gewagt. Er berechnete am letzten Freitag einen klaren Sieg für Martin Pfister, mit 137 zu 109 Stimmen. Andere sind deutlich vorsichtiger. Selbst erfahrene Parlamentarier riskieren keine Prognose. Doch klar ist: Der vermeintliche Aussenseiter hat kräftig aufgeholt.
Pfister äussert sich pointierter als zu Beginn, und er feilt an seinem Französisch. Gleiches gilt für Ritter, der sprachlich ebenfalls «Nachholbedarf» hat. Am Dienstagnachmittag finden die letzten Hearings mit SP und Grünen statt, ehe am Mittwoch ab 8 Uhr «abgerechnet» wird. Eine Einschätzung der Stimmung in den Fraktionen:
Die grösste Gruppe im Parlament, zu der auch die Vertreter von EDU, Lega und Mouvement Citoyens Genevois (MCG) gehören, ist die einzige, bei der Markus Ritter deutlich vorn liegt. Er vertritt konservative Werte und verspricht, im Verteidigungsdepartement VBS «aufräumen» zu wollen. Martin Pfister kann höchstens auf einzelne Stimmen aus der Innerschweiz hoffen.
Der «Blick» geht davon aus, dass Martin Pfister fast alle sozialdemokratischen Stimmen holen wird. Doch es gibt grosse Vorbehalte gegen den «neoliberalen» Zuger, während Ritter mit dem Bekenntnis zu einem starken Sozialstaat und zum Service Public punktet. Beides ist wichtig für die oft nicht auf Rosen gebetteten Landwirte und die Randregionen.
Pfister und seine Berater sind sich dessen bewusst. Er wird im Hearing darauf verweisen, dass er im Kanton Zug auch einiges erreicht hat, etwa bei den Prämienverbilligungen. Hinzu kommt sein weniger «rückständiges» Profil. Die Ausgangslage im SP-Hearing am Dienstag ist ziemlich offen. Es könnte wegweisend sein für die eigentliche Wahl.
Die Stimmen der eigenen Fraktion (inklusive EVP) würden sich je etwa zur Hälfte auf die Kandidaten aufteilen, hiess es bislang. Doch Markus Ritter hat auch in der Mitte Gegner, obwohl oder gerade weil man ihn bestens kennt. «Für einen Erfolg würde er seine eigene Grossmutter verkaufen», sagte eine «einflussreiche Stimme» der «NZZ am Sonntag».
Vor allem mit den Frauen und den Städtern habe es sich der Rheintaler verscherzt, meinte die Zeitung. Beiden war er in seinen ersten Medienauftritten als Bundesratskandidat an den Karren gefahren (mittlerweile äussert er sich vorsichtiger). «Bei den Frauen wird Ritter ganz wenig Stimmen machen», sagte eine bürgerliche Parlamentarierin der «NZZ am Sonntag».
Letzteres betrifft auch die Freisinnigen. Bei ihnen könnte der wirtschaftsliberale Martin Pfister bessere Chancen haben als «Subventionsjäger» Markus Ritter. Die Reaktionen nach dem FDP-Hearing vom letzten Dienstag deuteten darauf hin. Pfister wirkte selbstbewusst, während Ritter erneut betonte, als Bundesrat nicht ins Wirtschaftsdepartement wechseln zu wollen.
Hier scheint der Fall sonnenklar zu sein: Markus Ritter dürfte keine einzige grüne Stimme bekommen. Zu tief ist der Graben, der in den letzten Jahren bei ökologischen Themen wie der Biodiversität entstanden ist. Martin Pfister sorgt wegen des «Steuerdumping-Kantons» Zug auch nicht für Begeisterung, aber die Grünen werden ihn als kleineres Übel wählen.
Die GLP hat bislang als einzige Partei ihre Präferenz geäussert, und zwar für Martin Pfister. Das erstaunt wenig, denn die subventionslastige Landwirtschaftspolitik ist ihnen ein Dorn im Auge. In der Aussen- und Gesellschaftspolitik dürfte ihnen das moderate Profil des Innerschweizers ebenfalls mehr behagen als jenes des konservativen Ostschweizers.
Als Fazit zeigt sich: Die Annahme, dass das Momentum für Martin Pfister spricht, ist nicht aus der Luft gegriffen. Markus Ritter aber ist nicht geschlagen. Manche mögen ihn nicht und wählen ihn trotzdem, weil sie im VBS keinen «Verwalter» wollen, sondern einen, der durchgreift. Und weil für ihn der uralte Persil-Slogan gilt: «Da weiss man, was man hat.»
Auf jeden Fall Nachteil Schweiz.