Für die Grünen ist es «unseriöse Symbolpolitik». Die Bürgerlichen halten es für eine Notwendigkeit in einer Zeit, in der in Europa wieder ein Angriffskrieg mit konventionellen Waffen stattfindet. Am Montag votierten sie in der Sondersession des Nationalrats für eine Erhöhung des Armeebudgets bis 2030 auf ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Damit unterstützten sie eine Motion der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK). SP, Grüne und GLP wehrten sich vergeblich gegen den Geldsegen von rechts. Wenn der Ständerat im Juni wie erwartet nachzieht, werden die Ausgaben für die Armee in den nächsten Jahren von heute fünf auf rund sieben Milliarden Franken pro Jahr ansteigen.
Angesichts der Tragweite dieses Entscheids fand die Ratsdebatte auf einem eher dürftigen Niveau statt. Bei diversen Voten aus den Reihen von SVP, FDP und Mitte hatte man den Eindruck, dass sie den Ukraine-Krieg als Chance nutzen wollten, ihren Frust über eine jahrzehntelange Spar- und Reformpolitik auf dem Buckel der Armee zu kompensieren.
Den Tiefpunkt erreichte die Debatte, als der Schaffhauser SVP-Nationalrat und ehemalige Militärpilot Thomas Hurter bei einer Attacke gegen die Zürcher Grüne Marionna Schlatter voll auf die Frau zielte, was diese einigermassen aus der Fassung brachte und ihm einen scharfen Ordnungsruf der grünen Nationalratspräsidentin Irène Kälin eintrug.
Kaum thematisiert wurden hingegen zentrale Fragen, etwa woher die zusätzlichen zwei Milliarden pro Jahr kommen sollten. Der Schwyzer Mitte-Nationalrat Alois Gmür setzt auf das Prinzip Hoffnung in Form budgetierter Überschüsse. Und auf die OECD-Steuerreform. Dabei sind auch in Bereichen wie der Klima- und Energiepolitik Mehrausgaben absehbar.
Unklar ist auch, was die Schweizer Armee mit dem parlamentarischen Manna anstellen soll. Kaum jemand wird ernsthaft behaupten, sie sei ähnlich heruntergewirtschaftet worden wie die deutsche Bundeswehr. Verteidigungsministerin Viola Amherd nahm die Motion gerne entgegen, doch auch sie verblieb beim Verwendungszweck floskelhaft.
Die Rede war von einer Verstärkung der Cyber-Abwehr, neuen Mörsern und Führungsfahrzeugen. Heeres-Kommandant René Wellinger will laut Tamedia sämtliche Bataillone und Kompanien wieder vollständig ausrüsten. Ausserdem steht aus den Reihen der Bürgerlichen die Forderung im Raum, den Personalbestand zu erhöhen.
Selbst die bürgerliche NZZ hat wenig Verständnis für den nationalrätlichen Blankocheck: «Wer das Budget auf Vorrat aufstockt, sorgt nicht für mehr Sicherheit – aber mit Sicherheit für mehr Verschwendung.» Ohnehin gebe die Schweiz laut einer «Vollkostenrechnung» von Avenir Suisse schon heute mehr als acht Milliarden Franken pro Jahr für die Armee aus.
Ebenfalls kaum angesprochen wurde die Frage, welche Rolle die Schweiz in einem gesamteuropäischen System spielen könnte. Denn hier wird die heiligste Kuh tangiert, die Neutralität. Einzig die Solothurner SP-Nationalrätin Franziska Roth wagte den Tabubruch, indem sie auf den «Schutzgürtel aus EU- und Nato-Staaten» verwies.
Davon profitiert die Schweiz seit Jahrzehnten. Roth räumte dies indirekt ein, indem sie sagte, die sicherheitspolitische Lage für die Schweiz mitten in Europa habe sich «aufgrund des Schutzes durch die EU und die Nato im Moment nicht verändert». Was FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann zum Zwischenruf «die anderen sollen es für uns machen» veranlasste.
Erst auf eine Nachfrage ihres Solothurner FDP-Kollegen Kurt Fluri meinte Franziska Roth, dass die Schweiz EU und Nato «als Kooperationspartner anschauen, mit ihnen diese Strategien und diese Bedrohungsszenarien diskutieren» müsse. Angesichts der Vorbehalte im linksgrünen Lager gegen eine Nato-Annäherung wirkte sie wie eine Ruferin in der Wüste.
Dabei gibt es Anzeichen, dass sich etwas bewegen könnte. Sie stammen nicht zufällig aus dem politischen Zentrum. So stellte Mitte-Präsident Gerhard Pfister am letzten Samstag an der Delegiertenversammlung in Näfels die Frage in den Raum, ab wann Neutralität unanständig sei. Pfister forderte eine eigenständige Sanktionspolitik der Schweiz.
Zuvor hatte der Zuger Nationalrat bereits die Weigerung des Bundes kritisiert, Deutschland die Weitergabe von in der Schweiz gekaufter Munition an die Ukraine zu erlauben. Es ist eine durchaus mutige Position, denn die Mitte hat ihre Hochburgen in ländlich-konservativen Regionen, in denen die Neutralität nach wie vor einen hohen Stellenwert hat.
Auf offene Ohren stossen könnte er bei seinem FDP-Kollegen Thierry Burkart. Der Aargauer Ständerat hat sich deutlich für eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Nato ausgesprochen. In einem «CH Media»-Gastkommentar plädierte er am Dienstag für «ein klares und flexibles Verständnis der Neutralität ohne Verletzung von deren rechtlichem Kern».
Selbst ein «Ringtausch» ist für Burkart mit der Neutralität vereinbar, etwa die Lieferung von eingemotteten Leopard-Panzern an osteuropäische Länder, die dafür sowjetische Modelle an die Ukraine weitergeben. Der Aargauer GLP-Nationalrat Beat Flach will sogar direkt Waffen an demokratische Länder liefern, wenn sie Opfer eines Angriffskriegs werden.
Dafür müsste das erst letztes Jahr von Mitte-links verschärfte Kriegsmaterialgesetz gelockert werden, was angesichts der ideologischen Blockade bei SVP und Rotgrün schwierig werden dürfte. Lieber gibt man der Armee ein paar Milliarden pro Jahr zusätzlich. Zur Freude von Armeechef Thomas Süssli, der die Debatte im Nationalratssaal mit Wohlgefallen verfolgte.
Die nächste Gelegenheit aber kommt bestimmt. Zum Beispiel bei der Beratung über die Armeebotschaft 2022 mit dem Kauf des F-35 in der Herbstsession. Spätestens dann sollte sich das Parlament fragen, ob dieser Hightech-Kampfjet mit seiner Interoperabilität nicht in ein gemeinsames europäisches Luftverteidigungs-System eingebunden werden sollte.
Phrosch
Hänsel Thunberg
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