Am Mittwoch war «Chropfleerete» im Nationalrat. Alle sieben Fraktionen hatten ganze Fragelisten zum Postauto-Skandal eingereicht. Als verantwortliche Departementsvorsteherin musste Leuthard Rede und Antwort stehen.
Keine leichte Aufgabe für die Bundesrätin – hätte man zumindest annehmen können. Denn die Angelegenheit ist äusserst brisant. Im Zeitraum zwischen 2007 und 2015 hat die Postauto Schweiz AG Kosten für Dinge verbucht, die tatsächlich gar nie angeschafft wurden. So wurden unrechtmässige Subventionen von 78,3 Millionen Franken erschlichen.
Es ist eine Affäre, die durchaus die Sprengkraft hätte, so manch einen Verwaltungsrat, CEO oder eine Bundesrätin arg in Bedrängnis zu bringen. Immerhin handelt es sich bei den erschlichenen Subventionen um Steuergelder. Die Politik und die Bevölkerung sind verärgert. Doch Leuthard wäre nicht Leuthard, wenn sie die Vorwürfe nicht schlagfertig von sich weisen könnte.
Ein wenig erinnerte die Bundesrätin am Mittwoch an den Kung Fu-König Jackie Chan: Egal von wo der Angriff kam, egal von wem, egal wie scharf er war – Leuthard wich flink aus, parierte einmal die Schläge aus dem bürgerlichen, einmal jene aus dem linken Lager. Am Ende der Diskussion war sie es, die als Siegerin aus dem Ring stieg, während andere wie begossene Pudel den Schwanz einziehen mussten.
Wie macht sie das bloss?
Kurz gesagt: Mit absoluter Dossierkenntnis, mit rhetorischer Wendigkeit und charmanter Eloquenz. Leuthard ist ein Vollprofi. Wer gegen sie antreten will, muss mit allen Mitteln gewaschen sein.
Von mehreren Seiten geäussert wurde der Vorwurf, «das System», sei falsch und ermögliche es, dass solche Mängel entstehen konnten. So sagte etwa Martin Bäumle (GLP), die Post sei ein Gemischtwarenladen, wo monopolartige Staatsaufgaben und private Leistungen vermischt würden. Das sei schwierig zu kontrollieren.
«Unser System beisst sich selber in den Schwanz», sagte auch Bäumles Parteichef, Jürg Grossen. Die Postauto AG sei Teil eines riesigen Staatskonzerns, gespiesen mit Aufträgen des Staates und kontrolliert vom Staat.
Und was sagte Leuthard dazu? Sie begann ihre Ausführung mit einer kleinen Geschichtslektion. Es sei politisch gewollt, dass es Unternehmen gebe, die einerseits im vollen Wettbewerb stünden und andererseits Grundversorgungsaufträge erfüllten. In den 90er-Jahren habe der Bund die Märkte in den Sektoren Post, Eisenbahn und Telekommunikation neu geordnet. «Es sind Mischformen, die der Gesetzgeber und somit wir alle damals eingeführt haben.» Wir alle waren es also. Dieser Punkt ging an Leuthard.
Thomas Hardegger (SP) ärgerte sich, ständig sei zu lesen, dass der Bundesrat enttäuscht sei. «Der Bundesrat ist enttäuscht über die Vorgänge bei Postauto Schweiz AG. Der Bundesrat erwartet eine rasche und lückenlose Aufklärung der Angelegenheit», zitierte er aus Medienberichten. Er fragte sich, ob damit die Pflicht des Bundes als Eigner von Postauto AG erfüllt sei.
«Wo bleibt die Frage nach der eigenen Rolle bei der Post? Hat die Bundesverwaltung zugeschaut, statt die Eigeninteressen durchzusetzen? Inwiefern hat das Jahresergebnis mit einer stattlichen Gewinnablieferung allenfalls zum Wegschauen verleitet?», wollte Hardegger wissen.
BDP-Nationalrat Hans Grunder sagte, er habe Bauklötze gestaunt, als er gesehen habe, welche Konstrukte bei der Postauto AG gebaut worden seien. «Es ist wirklich erstaunlich, was hier für ein Unikat gemacht wurde, um die Aufträge pseudomässig zu vergeben.»
Und Leuthard? Sie erklärte in geduldiger Lehrerinnen-Manier, dass es die Aufgabe des Bundes sei, die verselbstständigten Einheiten zu steuern. Zentral dabei sei das Festsetzen der strategischen Ziele. «Jeder Mann und jede Frau kann sie im Internet nachlesen. Sie werden den parlamentarischen Kommissionen jeweils vorgelegt.»
Die Aufsicht über die Grundversorgung im Zahlungsverkehr liege gemäss Gesetz beim Bakom. Für den abgeltungsberechtigten öffentlichen Verkehr sei das Bundesamt für Verkehr (BAV) zuständig. Dort habe man nicht festgestellt, dass es systematische Umbuchungen der Gewinne bei der Postauto AG gab. Das sei gut versteckt worden. Im Nachhinein zu beklagen, dass niemand etwas gemerkt habe und am Schluss einfach nur das BAV in die Pflicht zu nehmen oder den Bundesrat, sei falsch.
«Die Verantwortung ist beim Unternehmen, davon bin ich wirklich überzeugt», sagte Leuthard. «Das Unternehmen Postauto Schweiz AG und vielleicht auch noch einzelne Mitglieder im Konzern und im Verwaltungsrat haben Mist gebaut.» Schwups war die Schuld von ihr gewiesen, schwups ging ein weiterer Punkt auf das Konto von Leuthard.
Damit besänftigen liess sich Grünen-Nationalrätin Regual Rytz nicht. Man müsse die finanziellen Fehlanreize für die Postmanager beseitigen, fand sie. Die heutige Boni-Kultur habe nichts in einem Service-public-Unternehmen zu suchen. Sie sagte: «Aufgrund des heutigen Wissensstandes müssen wir davon ausgehen, dass die unsauberen Geschäfte bei der Postauto AG durchaus etwas mit den Boni-Anreizen in der Chefetage zu tun hatte.»
«Spannend», fand das Leuthard. Wie in solchen Fällen üblich, rufe die Linke jeweils nach mehr Staat, nach mehr Service public und die Rechte nach Privatisierung, nach mehr Markt und mehr Wettbewerb. Doch, dass die SP und die Linke immer nur auf die Salärpolitik einprügeln, löse das Problem nicht. «Es sind Fehler, Manipulationen passiert. Das ist eine Schweinerei», sagte Leuthard. Aber mit der Bonuspolitik habe das nichts zu tun. Den Vorwurf halte sie für populistisch. Das sass, ein Punkt für Leuthard.
Am Ende der Debatte blieb viel Ratlosigkeit zurück. Denn klärende Antworten konnte Leuthard praktisch keine liefern. Mehrmals verwies sie auf das Expertenteam, das die Affäre derzeit untersucht.
Jedoch wurde eines am Mittwoch deutlich: Dass, egal welche Ergebnisse diese Untersuchungen zu Tage führen werden, Leuthard bereits jetzt fein aus dem Schneider ist. Sie ist schlicht zu gut, um jemandes Buhfrau zu sein.