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Analyse

AHV-Zoff: Warum tut sich die Schweiz so schwer mit einer Rentenreform?

Vania Alleva, Praesidentin der Gewerkschaft UNIA, Staenderaetin Lisa Mazzone, GP-GE, und VPOD-Zentralsekretaerin Michela Bovolenta, von links, stehen vor Kartonkisten mit Unterschriftenboegen, auf der ...
Kampfansage der Gewerkschaften: Sie reichten am Montag eine Petition mit mehr als 300'000 Unterschriften gegen das höhere Frauenrentenalter ein.Bild: keystone
Analyse

Zoff um AHV-Vorlage: Einmal mehr droht einer Rentenreform der Absturz

Seit 1995 ist in der Schweiz keine Reform der Altersvorsorge mehr gelungen. Nun versucht sich der Ständerat ein weiteres Mal an der AHV. Warum ist dieses Unterfangen so schwierig?
15.03.2021, 16:36
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Im Parlament hebt sich der Vorhang zu einem neuen Akt des Endlos-Dramas namens Reform der Altersvorsorge. Der Ständerat nimmt sich einmal mehr die AHV vor. Und einmal mehr droht ein Scheitern, obwohl die Reform moderat ist. Das Frauenrentenalter soll an jenes der Männer (65) angepasst und die Mehrwertsteuer um 0,7 Prozent erhöht werden.

Als «Zückerchen» sollen die kurz vor der Pensionierung stehenden Frauen-Jahrgänge eine Kompensation erhalten. Doch deren Ausmass ist umstritten. Ausserdem reitet Die Mitte auf einem Lieblingsthema der früheren CVP herum, der angeblichen Heiratsstrafe. Sie will die Ehepaarrenten von 150 auf 155 Prozent der Maximalrente erhöhen.

Die Absturzgefahr ist hoch, denn die Bürgerlichen sind zerstritten. Und die Linke will vom höheren Rentenalter nichts wissen, solange die Frauen in anderen Bereichen benachteiligt sind. Dabei besteht Handlungsbedarf: Die AHV gerät wegen der Pensionierung der geburtenstarken Nachkriegs-Jahrgänge («Babyboomer») zunehmend in finanzielle Schieflage.

Wo liegt das Problem? Warum ist die Reform der Altersvorsorge so schwierig? Die Antwort ist eigentlich simpel: Das Thema geht uns alle an. Wir wollen im Alter ein angenehmes Leben führen und reagieren entsprechend misstrauisch gegenüber allem, was nach Abbau riecht. Und die heutigen Rentnerinnen und Rentner verteidigen ihren Besitzstand.

Die Vorgeschichte

Hans Grunder, Nationalrat BDP-BE, Daniela Schneeberger, Nationalraetin FDP-BL, Jean-Francois Rime, Nationalrat SVP-FR, Hans-Ulrich Bigler, Nationalrat FDP-ZH und Direktor SGV, und Fabio Regazzi, Natio ...
Die AHV-Steuervorlage von 2019 brachte der AHV mehr Geld, aber sie war keine Reform.Bild: KEYSTONE

Die 10. AHV-Revision war 1995 die letzte Reform, die vom Stimmvolk abgesegnet wurde, obwohl das Frauenrentenalter sogar um zwei Jahre erhöht worden war, von 62 auf 64 Jahre. Kompensiert wurde dies durch Neuerungen wie das Ehegattensplitting und Erziehungsgutschriften. Sie berücksichtigten, dass die Frauen häufig ihre Erwerbstätigkeit für die Kinderbetreuung aufgegeben oder unterbrochen und kaum in die AHV einbezahlt hatten.

Seither sind mehrere Anläufe im Parlament oder in der Volksabstimmung gescheitert, zuletzt vor vier Jahren die Altersvorsorge 2020. Sie war der ambitionierte Versuch, die erste und die zweite Säule gleichzeitig zu reformieren. Angenommen wurde dafür 2019 eine mit der Unternehmenssteuerreform gekoppelte AHV-Finanzspritze von zwei Milliarden Franken.

Die STAF-Vorlage verschaffte dem wohl populärsten Sozialwerk ein wenig Luft, doch die strukturellen Probleme bleiben ungelöst. Bis 2040 dürfte das Umlagedefizit rund zwölf Milliarden Franken betragen, schrieb der Bundesrat in seiner Antwort auf eine Anfrage des Berner SVP-Nationalrats Lars Guggisberg, über die Radio SRF am Montag berichtete.

Als «Gegenmittel» bringt der Bundesrat demnach eine Erhöhung des Referenzalters auf 68 Jahre oder eine Anhebung der Mehrwertsteuer um drei Prozent ins Spiel. Ausserdem müssten auch dem AHV-Ausgleichsfonds weitere Mittel zufliessen. Die Linke ist jedoch gegen ein höheres Rentenalter, die Bürgerlichen sind gegen die höhere Mehrwertsteuer.

Das Dilemma

Christian Levrat, Praesident SP, freut sich ueber das Abstimmungsergebnis zum BVG-Umwandlungssatz am Sonntag 7. Maerz 2010 in Bern. Das Schweizer Stimmvolk sagte heute deutlich Nein zur Senkung des Um ...
SP-Präsident Christian Levrat neben dem Rentenklau-Plakat, mit dem die BVG-Revision 2010 zu Fall gebracht wurde.Bild: KEYSTONE

Die Realität ist natürlich vielschichtiger. Es gibt es auf beiden Seiten durchaus Kompromissbereitschaft. Aber die Linken sind in einer relativ komfortablen Lage: Sie können den Status Quo verteidigen und haben in dieser komplizierten und technischen Materie die Emotionen auf ihrer Seite, mit dem erfolgreichen Kampfbegriff «Rentenklau».

Damit brachten sie 2010 eine von den Bürgerlichen geprägte BVG-Reform zu Fall, die die Pensionskassen mit tieferen Renten sichern wollte. Seither herrscht im Mitte-rechts-Lager eine gewisse Ratlosigkeit, zum Ärger der Jungparteien von JGLP bis JSVP. Sie verweisen auf die Befürchtung vieler Junger, dass sie gar keine Rente bekommen werden.

Deshalb wollen die Jungparteien in einem ersten Schritt die vorliegenden Reformvorhaben realisieren und danach das Rentenalter an die Lebenserwartung koppeln, es also faktisch erhöhen. Einfach ist das nicht, weshalb die Nachwuchspolitiker prophylaktisch mit einer Demonstration drohen, berichten die Tamedia-Zeitungen, als «Renten- statt Klima-Jugend».

Die Finanzen

Sind die Befürchtungen der Jungen, im Alter leer auszugehen, aber berechtigt? Die relativ simple Antwort lautet: Solange die Schweiz eine eigene Währung hat und die Renten in Franken ausbezahlt, ist die Gefahr gering. Man muss dafür nicht einmal die umstrittene Modern Monetary Theory (MMT) oder die Klassenkampf-Rhetorik der Juso bemühen.

Bei der im internationalen Vergleich tiefen Schweizer Mehrwertsteuer gibt es Spielraum. Und selbst Wirtschaftsvertreter wie der Zuger Finanzinvestor Alfred Gantner, der sich als Gegner des EU-Rahmenabkommens positioniert hat, wollen die AHV mit einem Staatsfonds sanieren. Von einem höheren Rentenalter hält er laut der NZZ nichts.

Für solche Ideen aber ist die Zeit wohl nicht reif. Und die berufliche Vorsorge ist nicht betroffen. Dabei ist der Handlungsbedarf dort noch grösser als bei der AHV. Weil sich der heutige Umwandlungssatz von 6,8 Prozent kaum refinanzieren lässt, findet seit Jahren eine systemwidrige Umverteilung von den Beitragszahlern zu den Rentnern statt.

Die Sozialpartner haben im Sommer 2019 einen Kompromiss beschlossen, der eine Senkung des Umwandlungssatzes auf 6 Prozent vorsieht. Als Kompensation sollen die ersten betroffenen Jahrgänge einen Zuschlag erhalten, finanziert über Lohnabzüge. Auch das ist eigentlich systemwidrig, weshalb auch diese Reform akut absturzgefährdet ist.

Viele Pensionskassen haben deshalb zu «Notwehr» gegriffen: Sie senken die Renten der künftigen Bezügerinnen und Bezüger. Das ist möglich, weil die 6,8 Prozent nur für den obligatorischen Teil gelten und viele ein höheres Altersguthaben ansparen können. Bei der AHV sind solche «Tricks» jedoch nicht möglich. Hier ist die Politik gefordert.

Der Vorschlag von Sozialminister Alain Berset wäre eigentlich eine gute und moderate Grundlage, um vorwärts zu machen. Er hätte womöglich sogar Chancen, in einer Volksabstimmung gegen Widerstand von links zu bestehen. Wenn sich die Bürgerlichen jedoch schon in einer derart frühen Phase in die Haare geraten, wird es schwierig.

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49 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Frodo Bilbo
15.03.2021 17:05registriert September 2020
Gleichberechtigung heisst, dass alle Menschen das gleiche ordentliche Pensionierungsalter haben. Wenn jetzt die Linkem meinen, hier bräuchte es keine Gleichberechtigung, dann ergibt das keinen Sinn. Ausserdem haben Frauen eine längere Lebenserwartung heisst, Männer werden auf eine Art doppelt benachteiligt.

Und -auch wen das gar nicht zur Debatte steht - gottseidank will man wie Mehrwertsteuer erhöhen und nicht die AHV-Beiträge. Das wäre nämlich nochmals eine Benachteiligung der finanziell Schwächeren Mitmenschen.
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el perro
15.03.2021 16:59registriert November 2019
Nun ja, wenn die wieder themenfremde Dinge miteinander vermischen wollen, gibt's halt wieder ne Ohrfeige.
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der Denker
15.03.2021 17:23registriert März 2016
Danke liebe Politiker. Je länger Ihr euch Quer stellt desto schlimmer wird es für uns "Junge". Wir müssen die Zeche bezahlen, wir müssen noch länger arbeiten, wir müssen noch mehr bezahlen. Es kann doch nicht so schwer sein bei einem so wichtigen Thema einmal über seinen eigenen Schatten zu springen. Niemand gewinnt, alle verlieren.
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