Im Parlament hebt sich der Vorhang zu einem neuen Akt des Endlos-Dramas namens Reform der Altersvorsorge. Der Ständerat nimmt sich einmal mehr die AHV vor. Und einmal mehr droht ein Scheitern, obwohl die Reform moderat ist. Das Frauenrentenalter soll an jenes der Männer (65) angepasst und die Mehrwertsteuer um 0,7 Prozent erhöht werden.
Als «Zückerchen» sollen die kurz vor der Pensionierung stehenden Frauen-Jahrgänge eine Kompensation erhalten. Doch deren Ausmass ist umstritten. Ausserdem reitet Die Mitte auf einem Lieblingsthema der früheren CVP herum, der angeblichen Heiratsstrafe. Sie will die Ehepaarrenten von 150 auf 155 Prozent der Maximalrente erhöhen.
Die Absturzgefahr ist hoch, denn die Bürgerlichen sind zerstritten. Und die Linke will vom höheren Rentenalter nichts wissen, solange die Frauen in anderen Bereichen benachteiligt sind. Dabei besteht Handlungsbedarf: Die AHV gerät wegen der Pensionierung der geburtenstarken Nachkriegs-Jahrgänge («Babyboomer») zunehmend in finanzielle Schieflage.
Wo liegt das Problem? Warum ist die Reform der Altersvorsorge so schwierig? Die Antwort ist eigentlich simpel: Das Thema geht uns alle an. Wir wollen im Alter ein angenehmes Leben führen und reagieren entsprechend misstrauisch gegenüber allem, was nach Abbau riecht. Und die heutigen Rentnerinnen und Rentner verteidigen ihren Besitzstand.
Die 10. AHV-Revision war 1995 die letzte Reform, die vom Stimmvolk abgesegnet wurde, obwohl das Frauenrentenalter sogar um zwei Jahre erhöht worden war, von 62 auf 64 Jahre. Kompensiert wurde dies durch Neuerungen wie das Ehegattensplitting und Erziehungsgutschriften. Sie berücksichtigten, dass die Frauen häufig ihre Erwerbstätigkeit für die Kinderbetreuung aufgegeben oder unterbrochen und kaum in die AHV einbezahlt hatten.
Seither sind mehrere Anläufe im Parlament oder in der Volksabstimmung gescheitert, zuletzt vor vier Jahren die Altersvorsorge 2020. Sie war der ambitionierte Versuch, die erste und die zweite Säule gleichzeitig zu reformieren. Angenommen wurde dafür 2019 eine mit der Unternehmenssteuerreform gekoppelte AHV-Finanzspritze von zwei Milliarden Franken.
Die STAF-Vorlage verschaffte dem wohl populärsten Sozialwerk ein wenig Luft, doch die strukturellen Probleme bleiben ungelöst. Bis 2040 dürfte das Umlagedefizit rund zwölf Milliarden Franken betragen, schrieb der Bundesrat in seiner Antwort auf eine Anfrage des Berner SVP-Nationalrats Lars Guggisberg, über die Radio SRF am Montag berichtete.
Als «Gegenmittel» bringt der Bundesrat demnach eine Erhöhung des Referenzalters auf 68 Jahre oder eine Anhebung der Mehrwertsteuer um drei Prozent ins Spiel. Ausserdem müssten auch dem AHV-Ausgleichsfonds weitere Mittel zufliessen. Die Linke ist jedoch gegen ein höheres Rentenalter, die Bürgerlichen sind gegen die höhere Mehrwertsteuer.
Die Realität ist natürlich vielschichtiger. Es gibt es auf beiden Seiten durchaus Kompromissbereitschaft. Aber die Linken sind in einer relativ komfortablen Lage: Sie können den Status Quo verteidigen und haben in dieser komplizierten und technischen Materie die Emotionen auf ihrer Seite, mit dem erfolgreichen Kampfbegriff «Rentenklau».
Damit brachten sie 2010 eine von den Bürgerlichen geprägte BVG-Reform zu Fall, die die Pensionskassen mit tieferen Renten sichern wollte. Seither herrscht im Mitte-rechts-Lager eine gewisse Ratlosigkeit, zum Ärger der Jungparteien von JGLP bis JSVP. Sie verweisen auf die Befürchtung vieler Junger, dass sie gar keine Rente bekommen werden.
Deshalb wollen die Jungparteien in einem ersten Schritt die vorliegenden Reformvorhaben realisieren und danach das Rentenalter an die Lebenserwartung koppeln, es also faktisch erhöhen. Einfach ist das nicht, weshalb die Nachwuchspolitiker prophylaktisch mit einer Demonstration drohen, berichten die Tamedia-Zeitungen, als «Renten- statt Klima-Jugend».
Sind die Befürchtungen der Jungen, im Alter leer auszugehen, aber berechtigt? Die relativ simple Antwort lautet: Solange die Schweiz eine eigene Währung hat und die Renten in Franken ausbezahlt, ist die Gefahr gering. Man muss dafür nicht einmal die umstrittene Modern Monetary Theory (MMT) oder die Klassenkampf-Rhetorik der Juso bemühen.
Bei der im internationalen Vergleich tiefen Schweizer Mehrwertsteuer gibt es Spielraum. Und selbst Wirtschaftsvertreter wie der Zuger Finanzinvestor Alfred Gantner, der sich als Gegner des EU-Rahmenabkommens positioniert hat, wollen die AHV mit einem Staatsfonds sanieren. Von einem höheren Rentenalter hält er laut der NZZ nichts.
Für solche Ideen aber ist die Zeit wohl nicht reif. Und die berufliche Vorsorge ist nicht betroffen. Dabei ist der Handlungsbedarf dort noch grösser als bei der AHV. Weil sich der heutige Umwandlungssatz von 6,8 Prozent kaum refinanzieren lässt, findet seit Jahren eine systemwidrige Umverteilung von den Beitragszahlern zu den Rentnern statt.
Die Sozialpartner haben im Sommer 2019 einen Kompromiss beschlossen, der eine Senkung des Umwandlungssatzes auf 6 Prozent vorsieht. Als Kompensation sollen die ersten betroffenen Jahrgänge einen Zuschlag erhalten, finanziert über Lohnabzüge. Auch das ist eigentlich systemwidrig, weshalb auch diese Reform akut absturzgefährdet ist.
Viele Pensionskassen haben deshalb zu «Notwehr» gegriffen: Sie senken die Renten der künftigen Bezügerinnen und Bezüger. Das ist möglich, weil die 6,8 Prozent nur für den obligatorischen Teil gelten und viele ein höheres Altersguthaben ansparen können. Bei der AHV sind solche «Tricks» jedoch nicht möglich. Hier ist die Politik gefordert.
Der Vorschlag von Sozialminister Alain Berset wäre eigentlich eine gute und moderate Grundlage, um vorwärts zu machen. Er hätte womöglich sogar Chancen, in einer Volksabstimmung gegen Widerstand von links zu bestehen. Wenn sich die Bürgerlichen jedoch schon in einer derart frühen Phase in die Haare geraten, wird es schwierig.
Und -auch wen das gar nicht zur Debatte steht - gottseidank will man wie Mehrwertsteuer erhöhen und nicht die AHV-Beiträge. Das wäre nämlich nochmals eine Benachteiligung der finanziell Schwächeren Mitmenschen.