Alles begann an einem lauschigen Augustabend an einem Apéro von Tino Krattiger, dem Chef des «Kulturfloss», einer Institution im Basler Kulturleben. Bei dieser Gelegenheit sprach der Vizepräsident der FDP Basel-Stadt, Daniel Seiler, den langjährigen Spitzenbeamten Thomas Kessler an. Wie die Basler Zeitung berichtet, fragte Seiler Kessler, ob er sich eine Nationalratskandidatur für die FDP vorstellen könne. Dieser bejahte.
Die gebeutelte FDP Basel-Stadt könnte ein bekanntes Zugpferd wie Kessler gut brauchen. Bei den kantonalen Wahlen im Herbst 2016 war sie die grosse Verliererin, nachdem sie 2015 bereits ihren seit Anbeginn des Bundesstaates gehaltenen Nationalratssitz eingebüsst hatte. Einen Sitz hinzugewinnen konnten damals die Grünen. Mit dem knappsten Resultat aller Gewählten holte Sibel Arslan das vier Jahre zuvor verlorene Mandat für die Grünen zurück.
Thomas Kessler ist dank zahlreichen Mandaten in eidgenössischen Fachgremien in Bern gut vernetzt. Er kann durch seine berufliche Erfahrung nicht nur in der Drogen-, Ausländer- oder Wohnpolitik mitreden. Seit der abtretende Regierungspräsident Guy Morin ihn im Februar 2017 als Stadtentwickler entlassen hatte, fehlt dem medienaffinen Kessler die ganz grosse Bühne.
Von der Anfrage von FDP-Vize Seiler zeigte sich Kessler angetan. In der Parteizeitung Der Freisinn legte Kessler im November seine Vorstellungen einer idealen FDP-Politik dar. Gegenüber watson sagt Kessler, ihm schwebe «eine Rückbesinnung auf die revolutionäre, radikalfreisinnige Epoche in den Gründerjahren des Bundesstaates» vor.
Die vorangegangen Generationen hätten seit dem 19. Jahrhundert eine grosse Vorleistung erbracht. Diese Vorteile dürften nicht einfach wegkonsumiert werden: «Wir müssen mit dem selben Pioniergeist an die Sache gehen, wie die radikalen Freisinnigen nach 1848.» Zentral sei die Herausforderung durch die Industrie 4.0, wo Basel mit seinem grossen Life Science-Sektor besonders exponiert sei: «Mit Chancen für alle, Bildung und Innovationskraft müssen wir die Gesellschaft fit machen für diese neuen Zeiten.»
Nicht allen in der bürgerlichen FDP gefällt die Vorstellung einer Kandidatur Kesslers, der bis heute nicht Mitglied der Partei ist. Beispielsweise spricht sich Kessler offen für die Cannabis-Liberalisierung aus und hat Asylsuchende schon mal als «Abenteuermigranten» bezeichnet. Am Donnerstag trafen sich die vollzählig erschienen Vorstandsmitglieder der Partei deshalb mit der potenziellen Wahlkampflokomotive.
«An der Sitzung ging es um ein persönliches Kennenlernen zwischen dem Vorstand und Thomas Kessler, den einige Mitglieder bisher nur aus den Medien kannten», sagt FDP-Präsident Luca Urgese auf Anfrage: «Kessler ist ein politischer Quereinsteiger.» In der Politik sei man Quereinsteigern gegenüber zunächst einmal skeptisch eingestellt – «im Sinne von: ‹Da könnte ja irgendeiner kommen.›»
Im Hinblick auf die Nationalratswahlen verfährt die Partei nach dem gleichen Prozedere wie in der Vergangenheit: Im Frühling 2018 wird die FDP ihre Mitglieder dazu aufrufen, sich bei Interesse bis nach den Sommerferien für eine Kandidatur zu melden. «Bis zu diesem Zeitpunkt muss sich auch Kessler entschieden haben», sagt Urgese. Über die Zusammensetzung der Nationalratsliste entscheidet ein Parteitag im Oktober 2018.
Das Gespräch über Kesslers Ideen und seine politische Haltung sei in guter Atmosphäre verlaufen, bilanziert Parteipräsident Urgese: «Es ist uns gelungen, offene Fragen zu klären und uns näher kennenzulernen.» Entschieden habe der Vorstand am Donnerstag nichts, «weil es nichts zu entscheiden gab».
Etwas anders tönt das bei Thomas Kessler: Er habe sich mit dem Vorstand darauf verständigt, das zusammen mit der Basis über die inhaltliche Ausrichtung des Wahlkampfs breit debattiert wird. Diskutiert werden soll auf Basis eines Grundlagenpapiers, das unter Mitarbeit Kesslers von der «Liberalen Denkfabrik» ausgearbeitet wird.
Explizite Bedingungen für eine Kandidatur stellt Kessler mit Bezug auf die inhaltliche Ausrichtung keine: «Wenn sie sich klar auf alle drei Grundpfeiler Freiheit, Gemeinsinn und Fortschritt abstützt, bin ich zufrieden.»
Für die FDP engagieren will er sich ausschliesslich auf Bundesebene: «Im Nationalrat kann ich der Partei einen Mehrwert bringen.» Ein Engagement auf kantonaler Ebene oder in einem Parteiamt komme hingegen nicht in Frage. Dafür gebe es geeignetere Personen als ihn mit den entsprechenden Ambitionen.
Darauf angesprochen, warum er als ehemaliger Integrations-Beauftragter und grüner Kantonsrat den Sitz einer Grünen mit Migrationshintergrund angreift, verweist Kessler auf seine Aussagen im Telebasel Talk im November. «Ich engagiere mich für klare Ideen, nicht gegen Personen.» sagt er zu watson. Wahlen seien völlig freie Auswahlverfahren nach Kompetenz, Ausrichtung und Persönlichkeit.
Sibel Arslan erklärt auf Anfrage, sie habe zum Thema nichts zu sagen: «Das ist eine Entscheidung der FDP.» Wie alle Kandidierenden würde auch Kessler «gegen alle Kandidatinnen und Kandidaten antreten», ergänzt Arslan.
Von den fünf baselstädtischen Nationalratssitzen hält die SP momentan zwei, die SVP, die Grünen und die Liberal-Demokraten (LDP) je einen. Bis jetzt hat erst SP-Nationalrätin Silvia Schenker einen Rücktritt auf Ende der laufenden Legislatur angekündigt.