Pro-palästinensische Kreise erheben Vorwürfe gegen Berner Polizei
Im Nachgang zu den gewalttätigen Ausschreitungen an einer Gaza-Demonstration in Bern vom Wochenende hat die Bewegung Solidarität mit Palästina Vorwürfe wegen «Polizeigewalt» erhoben.
Die Behörden hätten damit die Versammlungs- und Meinungsfreiheit verletzt, heisst es in einer Mitteilung vom Mittwoch. Die Organisatoren forderten eine unabhängige Untersuchung der Polizeieinsätze.
Gegen 40 Kollektive und Aktivistengruppierungen, viele davon aus der Westschweiz, unterzeichneten die Medienmitteilung der Bewegung. Zu den aufgeführten Organisationen gehörten etwa Sektionen von Students for Palestine, der Partei der Arbeit oder die Vereinigung BDS für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen Israel. BDS sieht sich immer wieder mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert.
Die Polizei sei «mit ungezügelter Brutalität vorgegangen» und habe die Spitze der Kundgebung eingekesselt. Der Kessel habe stundenlang gedauert. Den Demonstranten sei kein Zugang zu Toiletten, Verpflegung oder warmen Decken gewährt worden, obschon die Temperatur am Abend bei etwa sieben Grad Celsius gelegen habe.
Stattdessen schienen sich Polizeiangehörige über die Situation lustig zu machen und rieten den Eingekesselten, sich zusammenzudrängen, um warm zu bleiben, wie es in der Mitteilung weiter heisst.
Erst spät in der Nacht sei etwas Wasser verteilt worden, viel zu wenig für die vielen Leute im Kessel. Mehrmals sei Pfefferspray aus nächster Nähe in den Kessel gesprüht worden. Überall, wo die Menge der Demonstrierenden versuchte, sich zu bewegen, habe die Polizei mit Schlagstöcken reagiert.
«Polizeigewalt mit System»
Die Bewegung spricht in ihrer Mitteilung von 326 Verletzten. Die Behörden hätten das Demonstrationsrecht verletzt und eine «Massenverhaftung» bewusst geplant. Von der Polizei hiess es am Wochenende, sie habe Kenntnis von zwei verletzten Demonstrierenden.
Solche Formen polizeilicher Gewalt hätten in der Schweiz System, kritisiert die Bewegung. Zahlreiche Fälle rassistisch motivierter Gewalt und Skandale um chauvinistische Polizeichatgruppen in Lausanne seien Teil eines nationalen Kontextes. Es sei offensichtlich, dass Polizeigewalt in der Schweiz zur Normalität geworden sei und zunehmend systematisch eingesetzt werde.
Die Schweizer Behörden zeigten nach Ansicht der Bewegung eine «wachsende Intoleranz gegenüber allen Formen von Solidaritätskundgebungen mit dem palästinensischen Volk».
Die Bewegung werde weiterhin an Kraft und Eskalationswille gewinnen, bis die Schweiz und Schweizer Unternehmen «ihre Teilhabe am Genozid» beendeten, schreibt Solidarität mit Palästina.
Medien angeprangert
Propalästinensische Gruppierungen üben auch scharfe Kritik an Medien. Diese hätten die Ereignisse einseitig dargestellt.
Den Medien warfen die Organisatoren vor, einseitig berichtet und Aussagen der Polizei unkritisch übernommen zu haben. So seien Verletztenzahlen verharmlost und die politische Botschaft der Demonstration zugunsten von Berichten über Sachschäden und Antisemitismusvorwürfe verdrängt worden.
Bei der Palästina-Demo vom vergangenen Samstag war es zu schweren Ausschreitungen gekommen. Randalierer richteten hohen Sachschaden an. Die Polizei setzte Tränengas, Gummischrot und Wasserwerfer ein. Sie hatte am Sonntag gemeldet, 18 Einsatzkräfte seien verletzt worden.
Gemeinderat verteidigt Taktik
Die Berner Stadtregierung hält es auch im Nachhinein für richtig, dass die unbewilligte Kundgebung zunächst toleriert wurde. Das teilte der Gemeinderat am Mittwoch nach einer Sitzung im Beisein der Kantonspolizei mit.
Er sei über den Polizeieinsatz laufend informiert gewesen und habe diesen mitgetragen. Mit der anfänglichen Duldung der Demo sei dem wichtigen Anliegen der freien Meinungsäusserung Rechnung getragen worden. Umso enttäuschender sei, dass eine Minderheit von Gewaltbereiten die gezielte Eskalation gesucht habe.
Der Gemeinderat hoffe, dass Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen würden. Die sorgfältige Aufarbeitung aller Ereignisse werde allerdings noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Die Gewaltexzesse kommen am Donnerstag auch im Berner Stadtparlament zur Sprache. Die Parteien FDP, Mitte, SP, GFL, EVP und SVP haben gemeinsam einen Antrag für eine aktuelle Debatte eingereicht.
Viele Randalierer aus der Romandie
Die meisten der am Samstag von der Polizei kontrollierten Personen waren aus anderen Kantonen angereist. Ein beträchtlicher Teil davon kam aus der Westschweiz. Rund die Hälfte der 536 festgesetzten und kontrollierten Personen waren Frauen. Die Kantonspolizei bestätigte entsprechende Informationen der Tamedia-Zeitungen.
(rbu) mit Material der sda