Alle vier Jahre wieder steht ein Geschäft auf der Traktandenliste des Nationalrats, das eine Minderheit lieber gar nicht beraten würde: die sogenannte Legislaturplanung, in welcher der Bundesrat seine politischen Ziele für die kommenden vier Jahre präsentiert.
Weil die Beschlüsse des Rats nicht verbindlich sind, forderten bürgerliche Parlamentarier, die vorberatende Spezialkommission gleich ganz abzuschaffen. Die Übung sei unnötig und teuer.
Damit war klar, wie der Wind im Nationalrat nach dem Rechtsrutsch bei den Parlamentswahlen weht: Das Credo heisst «sparen».
Der Bundesrat wollte in seinen Zielen die Ausgaben bereits senken, einer Mehrheit im Nationalrat ging das Stabilisierungsprogramm aber zu wenig weit: Der Bund soll auf Aufgaben verzichten und damit weitere 500 Millionen Franken pro Jahr einsparen. «Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Steuerzahlern in diesem Land», sagte Nationalrat Erich Hess (SVP, BE).
Für die Ratslinke setzt die Mehrheit damit aufs Spiel, was eine Demokratie ausmache: «Die Garantie, dass alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer finanziellen Situation an der Gesellschaft teilnehmen können», so Mattea Meyer (SP, ZH).
Auf der Linie des Bundesrats blieb der Nationalrat hingegen in der Europapolitik. Die SVP versuchte erfolglos, das institutionelle Abkommen mit der EU aus dem Programm zu streichen. Die Linke scheiterte mit dem Antrag, die unbefristete Weiterführung der Personenfreizügigkeit festzuschreiben.
Der Bundesrat schnallt den Gürtel enger. Zwischen 2017 und 2019 will er jedes Jahr zwischen 800 Millionen und einer Milliarde Franken weniger ausgeben als ursprünglich geplant – und das, obwohl der Bundeshaushalt vergangenes Jahr 2,3 Milliarden Franken im Plus abgeschlossen hat. Warum also ein Sparprogramm? Die Antwort heisst Frankenstärke. Die Landesregierung rechnet aufgrund der Währungssituation mit einer «langsameren Wirtschaftsentwicklung» und weniger Steuereinnahmen. Um das Loch in den Kassen zu stopfen, soll auch die Verwaltung effizienter und digitaler werden: Die «E-Government-Strategie Schweiz», der Ausbau von elektronischen Behördendienstleistungen, ist ein Teil davon. Ein weiteres Ziel lautet, die Schuldenquote des Bundes bei 16,8 Prozent des Bruttoinlandproduktes zu stabilisieren oder zu verringern.
Bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen – hinter dem schwammigen Begriff verstecken sich grosse Reformen. Die Schweiz steht international unter Druck, ihr Steuersystem so umzugestalten, dass inländische und ausländische Firmen gleich behandelt werden. Gleichzeitig muss das Land für globale Firmen steuerlich attraktiv bleiben: Mit der Unternehmenssteuerreform III will der Bundesrat beides unter einen Hut bringen. Daneben plant er in den nächsten vier Jahren neue Standortförderungsmassnahmen, welche die Schweizer Wirtschaft innovativer, produktiver und widerstandsfähiger machen sollen. Er will die Heiratsstrafe abschaffen, das Aktien- und das Versicherungsrecht modernisieren sowie die Agrarpolitik auf Vordermann bringen.
Für den Bundesrat steht ausser Frage: Mehr Freihandel bedeutet mehr Wohlstand. Nach dem Freihandelsabkommen mit China will die Landesregierung weitere solche Verträge abschliessen. Bis 2019 stehen Vietnam, Malaysia, die Philippinen und Georgien im Fokus. Noch entscheidender dürfte sein, dass die Schweiz im Fall eines Zustandekommens des Freihandelsabkommens zwischen den USA und der EU (TTIP) als Drittstaat «andocken» darf. Der Bundesrat peilt zudem eine Teilnahme der Schweiz am internationalen Dienstleistungsabkommen Tisa an. Als wichtig gilt auch der Abschluss eines Abkommens mit der EU im Bereich Lebensmittelsicherheit. Brüssel und Bern wollen die nicht-tarifären Handelshemmnisse möglichst reduzieren.
Für den Bundesrat ist es die wohl grösste politische Herausforderung des Jahrzehnts: die Masseneinwanderungsinitiative umsetzen, ohne die bilateralen Verträge mit der EU zu riskieren. Zurzeit stehen die Gespräche still. Erst wenn Grossbritannien am 23. Juni über den Verbleib in der EU abgestimmt hat, will Brüssel wieder mit Bern sprechen. Als wäre das nicht genug, verlangt die EU von der Schweiz ein institutionelles Rahmenabkommen, welches strittige Fragen wie den Umgang mit neuem EU-Recht ein für allemal regeln soll. Der Bundesrat hat in den Verhandlungen immerhin einen Joker. Die Zahlung der Kohäsionsmilliarde an die EU-Osterweiterung macht er vom Ausgang der Verhandlungen über die Personenfreizügigkeit abhängig.
Schweizer Universitäten belegen in internationalen Rankings regelmässig Spitzenplätze. Doch seit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative ist das politische Umfeld für die Hochschulen unsicherer geworden: Die EU knüpft den Verbleib der Schweiz im Forschungsprogramm «Horizon 2020» an das Resultat der Verhandlungen im Bereich der Personenfreizügigkeit. Der Bundesrat will einen Ausschluss verhindern. Zudem will die Landesregierung die Jugendarbeitslosigkeit möglichst tief halten, das Arbeitskräftepotenzial besser ausschöpfen und die Erwerbsquote bei den Frauen erhöhen.
Die Schweiz ist nicht zuletzt dank ihrer Verkehrsinfrastruktur attraktiv: Die Strassen sind in gutem Zustand, das Netz dicht und der öffentliche Verkehr pünktlich und (fast) flächendeckend. Doch das ist nicht gottgegeben, sowohl der ÖV wie auch das Nationalstrassennetz müssen modernisiert werden. So sollen mit dem Programm «Engpassbeseitigung» die grössten Flaschenhälse auf der Strasse entfernt und die elektronische Vignette eingeführt werden. Um die Infrastruktur wegen Bevölkerungswachstum und Mobilitätszunahme nicht übermässig ausbauen zu müssen, strebt der Bundesrat eine gleichmässigere Auslastung an – Stichwort «Mobility Pricing». Konkret müssten dann Nutzer, die sich zu Stosszeiten auf Strasse oder Schiene bewegen, tiefer in die Tasche greifen.
Die Schweizer Bevölkerung und die Wirtschaftsleistung sind in den vergangenen Jahrzehnten stark angewachsen, was an der Natur nicht spurlos vorbeiging. Das hat Auswirkungen auf die Energie-, Verkehrs- und Siedlungspolitik. Konkret will der Bundesrat den Herausforderungen mit der «Energiestrategie 2050» begegnen, die derzeit im Parlament beraten wird: Diese sieht – als Folge des beschlossenen Atom-Ausstiegs – neue Anlagen für Wasserkraft, Wind und Sonnenenergie vor. Die Energieeffizienz soll gesteigert und das Kulturland besser geschützt werden, um die Biodiversität zu erhalten. Im Einklang mit internationalen Gremien will der Bund zudem den Ausstoss von Treibhausgasen verringern – bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 1990. Weiterhin nicht gefunden ist der Standort für radioaktive Abfälle.
Mit ihren verschiedenen Sprachgruppen, Kulturen und Religionen ist die Schweiz mehr noch als andere Länder auf gesellschaftlichen Zusammenhalt angewiesen. Zentral ist die Solidarität der einzelnen Regionen untereinander, mit einem interkantonalen Lastenausgleich gleicht der Bund finanzielle Ungleichheiten bis zu einem gewissen Grad aus. Gleichzeitig sollen die kantonale Finanzautonomie und der Föderalismus gestärkt werden. Auch die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften könnte besser sein, wobei die Regierung bestrebt ist, den Erwerb von Landessprachen im Unterricht zu fördern. Möglichst viele Jugendlichen sollen mindestens einmal an einem nationalen schulischen Austauschprogramm teilnehmen. Ziel: Den Anteil der 15- bis 24-Jährigen, die mehrere Sprachen sprechen, sukzessive erhöhen.
Die Beziehungen zwischen Geschlechtern, Generationen und Lebensgemeinschaften sollen gleichberechtigt sein – und soziale und wirtschaftliche Armut bekämpft werden. So fasst der Bundesrat eines seiner gesellschaftspolitischen Ziele zusammen für die kommenden Jahre zusammen. Wie soll das erreicht werden? Die Regierung will mittels Finanzhilfen Anreize schaffen, damit Kantone und Gemeinden die Subventionen für die externe Kinderbetreuung ausbauen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie soll so erhöht werden – was volkswirtschaftlich erwünscht ist. Zur Bekämpfung von Lohndiskriminierung will der Bund Massnahmen ergreifen, etwa eine betriebsinterne Lohnanalyse, die durch Dritte kontrolliert wird.
Als eines der weltweit reichsten Länder hat die Schweiz die – zumindest moralische – Pflicht, einen Beitrag zur Reduktion von Armut zu leisten, sich für Frieden und Sicherheit zu engagieren und den Zugang benachteiligter Bevölkerungsschichten zu Dienstleistungen zu verbessern. Die Strategie der Schweiz orientiert sich dabei an der «Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung» und misst sich an internationalen Wirksamkeitsstandards. Die Schweiz ist aber auch Gastland für eine Vielzahl von internationalen Organisation, insbesondere in Genf. Der Bund ist bestrebt, diese Position zu festigen. Die dafür erforderlichen Massnahmen laufen jedoch 2019 aus, weshalb der Bundesrat nach einer Evaluation eine neue Botschaft vorlegen wird. Nicht zuletzt will der Bund auch den Anteil von Landsleuten in internationalen Organisationen erhöhen, damit diese Schweizer Interessen im Ausland vertreten.
Die Altersvorsorge ist eine der ganz grossen Baustellen in der Schweizer Politik. Denn der Generationenvertrag wackelt. Dieser bezeichnet das Prinzip, das Grundlage für die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) ist: Rentner erhalten von der AHV-Kasse Geld, das von heute arbeitstätigen Personen stammt. Diese wiederum werden Beiträge von der nachfolgenden Generation erhalten, sobald sie pensioniert sind. Leider aber läuft die demografische Entwicklung diesem Prinzip zuwider: Die Bevölkerung wird älter – mit der Folge, dass immer mehr Pensionierte ihre ihnen zustehende Rente beziehen möchten, aber immer weniger Arbeitstätige einzahlen. Der Bundesrat gedenkt mit einer Flexibilisierung der Arbeitsmodelle zu reagieren: Arbeitnehmer sollen den Moment ihrer Pensionierung individueller gestalten können.
Qualität erhöhen, Kosten reduzieren: Auch in der Gesundheitsversorgung versucht der Bundesrat die Quadratur des Kreises. Sein wichtigstes Instrument zur Effizienzsteigerung ist die Einführung eines Referenzpreissystems. Hiermit wird für einen Wirkstoff ein maximaler Preis festgelegt, der von der Krankenpflegeversicherung vergütet wird. Kostet das Medikament mehr, bezahlt die versicherte Person selbst. Mit seiner «Nationalen Strategie zur Prävention nichtübertragbarer Krankheiten» will der Bundesrat zudem einen gesunden Lebensstil fördern. Konkretes Ziel ist, den Anteil übergewichtiger Personen zu senken. Mit der Totalrevision des Bundesgesetzes über genetische Untersuchungen beim Menschen schliesslich will der Bundesrat Rechtssicherheit schaffen: Geklärt werden soll die Frage der Zulässigkeit von Genuntersuchungen ausserhalb des medizinischen Bereichs.
Es ist einer der grössten innenpolitischen Zankapfel: Das Thema Migration treibt Politik, Gesellschaft und Wirtschaft um wie kaum ein zweites. Zum einen muss der Bundesrat die Masseneinwanderungsinitiative umsetzen, die ihn zwingt, die Zuwanderung in die Schweiz künftig aktiver zu steuern. Zum anderen will er jene Ausländer, die kommen, besser in den Arbeitsmarkt integrieren. Den sieben Magistraten ist es wichtig, entsprechend der humanitären Tradition des Landes verfolgten Personen auch in Zukunft Schutz gewähren.
Auch wenn die Schweiz im internationalen Vergleich nach wie vor ein sicheres Land ist: Die in ganz Europa in den letzten Jahren rasant gewachsene Terrorbedrohung macht an den Landesgrenzen keinen Halt. Deshalb will die Regierung die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen verbessern und die sicherheitspolitische Vernetzung mit anderen Staaten stärken. Gegen Menschenhandel und Schmuggel sowie Geldwäscherei soll rigoros vorgegangen werden. Ziel ist es, die Kriminalität in der Schweiz bis 2019 zu senken. Umsetzen muss der Bundesrat die vor zwei Jahren von Volk und Ständen angenommene Volksinitiative «Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen».
Der Bundesrat beurteilt die Bedrohungslage als je länger desto diffuser. Sein Ziel ist es, Gefahren frühzeitig zu erkennen, weshalb er die Fähigkeit von Verwaltung und Armee verbessern möchte, Informationen zu beschaffen und zu bearbeiten. Zudem will er neue Informationsquellen erschliessen: Schweizer Strafverfolgungsbehörden sollen Zugang zur Eurodac-Datenbank erhalten, in der DNA-Profile, Fingerabdrücke und Fahrzeug- und Halterdaten gespeichert sind. Ein ähnliches Abkommen möchte der Bundesrat mit den USA abschliessen. In seinem alle paar Jahre zuhanden des Parlaments verfassten Bericht über die Sicherheitspolitik der Schweiz will er neu einen Schwerpunkt auf Cyberrisiken legen.
Das letzte Jahr hat der Friedensdiplomatie Aufwind aufgegeben: Erst war die Schweiz an den geglückten Verhandlungen über das iranische Atomprogramm beteiligt, dann übernahm sie das Schutzmachtmandat für Saudi-Arabien in Teheran und für den Iran in Riad. So soll es weitergehen, findet der Bundesrat. Auch in Zukunft will er als neutraler Mediator zwischen Konfliktparteien vermitteln und sich für die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie für den Schutz der Menschenrechte engagieren. Besondere Anliegen sind ihm die Abschaffung der Todesstrafe, Abrüstung und Non-Proliferation.