
Sag das doch deinen Freunden!
«Wohlstands-Faschismus» lautet der Begriff der Stunde. Gemeint ist damit, dass sich in den nach wie vor reichen Staaten des Westens eine politische Entwicklung abspielt, die bis vor kurzem noch undenkbar schien: Ein Comeback von populistischen Führergestalten mit offen faschistoiden Zügen. Ob Donald Trump, Ted Cruz, ob Christoph Blocher oder Roger Köppel, sie alle setzen politische Mittel ein, die fatal an die Nazi-Herrschaft erinnern.
Und diesmal ist nicht die wirtschaftliche Situation daran schuld. Hitlers Aufstieg wird von den meisten Historikern wie folgt erklärt: Zuerst habe eine Hyperinflation das Wenige, das dem deutschen Mittelstand nach dem Ersten Weltkrieg noch geblieben war, weggefressen und danach habe die Deflation zu Massenarbeitslosigkeit und Massenelend geführt. Erst auf diesem wirtschaftlichen Morast hätte der Faschismus gedeihen können.
Davon kann heute keine Rede sein, schon gar nicht in den USA und der Schweiz. Die amerikanische Wirtschaft hat sich von der Krise gut erholt und so viele neue Jobs geschaffen wie schon lange nicht mehr. Hierzulande leben wir – ökonomisch gesehen – in der besten aller Welten. Die Wirtschaft wächst weder zu schnell noch zu langsam. Seit rund 15 Jahren nimmt unser Bruttoinlandprodukt zwischen 1,5 bis 2 Prozent zu. Nur letztes Jahr betrug es weniger, aber selbst der massive Frankenschock hat die Wirtschaft nicht in eine Rezession stürzen lassen. Und ja, das Schweizer Pro-Kopf-Einkommen gehört nach wie vor zu den höchsten der Welt.
Der Begriff «Wohlstands-Faschismus» trifft daher den Nagel auf den Kopf. Das Sein bestimmt nicht das Bewusstsein, wie Karl Marx einst doziert hat. Die politische Dekadenz hat somit ihre Wurzeln nicht in einer ökonomischen Misere.
Die politische Dekadenz nimmt immer groteskere Züge an. In den USA verspricht der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump, 11 Millionen Einwanderer auszuschaffen und Mexiko dafür zahlen zu lassen. Sein parteiinterner Konkurrent Ted Cruz will den «IS» mit Flächenbombardements besiegen, ohne Rücksicht auf zivile Verluste.
Bei uns wütet Blocher gegen Rechtsstaat, Richter und Geisteswissenschaftler und versteigt sich neuerdings gar zur absurden Behauptung, die Schweiz sei auf dem Weg zu einer Diktatur. Sein Zögling Köppel setzt derweil zu einer Rehabilitierung eines der schlimmsten Verbrecher in der Geschichte der Menschheit an. Jüngst schrieb er in der «Weltwoche» sinngemäss: Hermann Göring, Mitglied des engsten Kreises um Hitler, sei letztlich ein Gentleman gewesen, der dummerweise in falsche Gesellschaft geraten sei.
Als Donald Trump seine Kandidatur für die Präsidentschaft verkündete, erntete er vor allem Spott. Der egomane Immobilientycoon wurde mehr als Pausenclown denn als eine ernsthafte Bedrohung betrachtet. Inzwischen lacht niemand mehr über Trump. Er führt nach wie vor das Feld der republikanischen Präsidentschaftsanwärter an. Selbst wenn er es am Schluss nicht schaffen sollte, wird er möglicherweise zum Türöffner des noch gefährlicheren Ted Cruz.
In der Schweiz hat sich die Hoffnung zerschlagen, die SVP würde nach Wahlsieg und zweitem Bundesrat zu gemässigteren Tönen finden. Mit seiner Albisgüetli-Rede hat Blocher klar gemacht, dass von ihm nicht Altersweisheit, sondern Altersstarrsinn zu erwarten ist. Köppel straft derweil in der «Weltwoche» alle SVP-Politiker ab, die von der Parteilinie abzuweichen drohen.
Wahlen werden in der Mitte gewonnen, hiess es lange. Die Ereignisse in Paris, San Bernadino und Köln haben gezeigt, wie rasch heute die Stimmung in offenen Faschismus umschlagen kann. Das könnte leicht ausser Kontrolle geraten. Eine «Oktoberüberraschung» beispielsweise, ein erfolgreicher Terroranschlag in den USA kurz vor den Wahlen, könnten dazu führen, dass Trump oder Cruz es ins Weisse Haus schaffen würden.
Bei uns galt lange die Faustregel, wonach Rechtspopulisten nie über die Grenze von 15 Prozent Wähleranteil kommen würden. Heute ist die SVP bei 30 Prozent und nimmt immer faschistoidere Züge an. Zeit also, dass wir beginnen, den «Wohlstands-Faschismus» ernst zu nehmen.