Seit Freitag wird jedes Wort der Bundesratskandidaten auf die Goldwaage gelegt. Genauestens verfolgt werden vor allem die Aussagen der in Bundesbern weitgehend unbekannten Urner Regierungsrätin Heidi Z’graggen (CVP).
Was auffällt: ihre Haltung in aussenpolitischen Fragen. So äusserte sie sich unlängst kritisch zum Rahmenabkommen und zum UNO-Migrationspakt.
Und bei ihrem ersten Auftritt als CVP-Bundesratskandidatin vor drei Wochen im Hotel Bellevue hielt sie eine Brandrede: «Wenn es um die Souveränität unseres Landes geht, dürfen wir nicht einfach nachgeben, nur um einen Rahmenvertrag zu erhalten.» Z’graggen kritisierte die «Tonalität der EU», dass sie die Schweiz unter Druck setze. «Das kann ich als Schweizerin nicht akzeptieren.»
Sie stellte auch klare Bedingungen an ein Abkommen mit der EU: Das Kosten-Nutzen-Verhältnis müsse stimmen – und die Souveränität müsse jederzeit gewahrt bleiben.
Aussenpolitiker Roland Büchel (SVP/SG) kennt die Aussagen. Allerdings seien diese mit Vorsicht zu geniessen: Die SVP habe sich bereits in Kandidat Ignazio Cassis getäuscht. Dieser versprach, in der Europapolitik den Reset-Knopf zu drücken. Davon sei wenig übrig geblieben. «Es hängt also stark davon ab, wie glaubwürdig Heidi Z’graggen die Kritik an der EU äussert», sagt Büchel.
In den Hearings, die nächste Woche in den Bundeshausfraktionen beginnen, würden das Rahmenabkommen und der Migrationspakt ein Hauptthema sein – zumindest bei der SVP.
Andere Politiker zweifeln ebenfalls, ob es sich bei Z’graggens Aussagen nicht eher um Taktik handelt. Will sie sich der SVP anbiedern oder vertritt sie tatsächlich ihre persönliche Meinung? Aussenpolitikerin Christa Markwalder (FDP/BE) sagt, das sei einerlei: «Letztlich müssen die Kandidaten an ihren Aussagen gemessen werden.»
Die kommenden Hearings dienen den Parteien dazu, den Kandidaten auf den Zahn zu fühlen. Die Grünen wollen wissen, ob die Kandidaten bereit sind, die eigene Haltung zurückzustecken, um die Landesinteressen zu verteidigen, wie die Basler Aussenpolitikerin Sibel Arslan sagt.
Absehbar ist, dass eine neue Konstellation in der Regierung die aussenpolitische Ausrichtung der Schweiz zumindest verschiebt. Denn Z’graggen grenzt sich mit ihren Aussagen nicht nur von ihrer Konkurrentin Viola Amherd (CVP/VS) ab, die ein Rahmenabkommen grundsätzlich befürwortet. Z’graggen unterscheidet sich auch stark von Bundesrätin Doris Leuthard, die sie beerben will. Denn Leuthard gilt als Zugpferd in der Europapolitik. Sie will das Rahmenabkommen mit der EU, um ein Stromabkommen abzuschliessen.
Anders als Leuthard, die einst mit dem EU-Beitritt liebäugelte, ist auch die absehbare Nachfolgerin von Johann Schneider-Ammann EU-kritisch. Karin Keller-Sutter war als St. Galler Justizdirektorin gegen das Schengen-Abkommen.
Jüngst äusserte sie sich im «Sonntagsblick» auch pessimistisch über einen Abschluss des Rahmenabkommens. Dieser werde «schwierig». Denn die kontroversen Punkte, etwa der Lohnschutz oder die Frage der Unionsbürgerrichtlinie, seien in der Schweiz nicht mehrheitsfähig. «Und das kann ich verstehen.» Dass es deshalb kein Rahmenabkommen gebe, damit müsse man leben können, so Keller-Sutter.
Für den Bundesrat bedeutet das: Nebst den zwei SVP-Bundesräten Ueli Maurer und Guy Parmelin werden sich mit Karin Keller-Sutter und Heidi Z’graggen weitere EU-Skeptiker hinzugesellen.
Diese Ausgangslage ist auch deshalb interessant, da die Aussenpolitik weitgehend in der Kompetenz des Bundesrates liegt. Über das EU-Rahmenabkommen wird der Bundesrat zwar wohl noch dieses Jahr in alter Konstellation abstimmen.
Offen ist, wie es danach weitergeht. Aussenpolitikerin Kathy Riklin (CVP/ZH) gesteht den Skeptikern einen «Lernprozess» zu. «Sie werden sehen, dass sie abwägen müssen: Kein Rahmenabkommen heisst auch kein Strom-, kein Forschungs- und kein Studenten- und Jugendaustausch-Programm Erasmus.» (aargauerzeitung.ch)