Du hast keine Chance, aber nutze sie! Diese dem bayrischen Filmemacher und Querkopf Herbert Achternbusch zugeschriebene Devise scheint sich die CVP zu Herzen genommen zu haben. Lange stand die Bundesratswahl vom 5. Dezember ganz im Zeichen der FDP-Topfavoritin Karin Keller-Sutter. Das CVP-Vierergrüppchen sorgte hingegen für mässige Begeisterung.
Seit letztem Freitag ist alles anders. Neben der favorisierten Walliser Nationalrätin Viola Amherd setzte die CVP-Fraktion überraschend mit der Urner Regierungsrätin Heidi Z'graggen die vermeintlich grösste Aussenseiterin auf das Zweierticket. Damit schickte sie – wie von watson angeregt – ein Frauenticket ins Rennen um die Nachfolge von Doris Leuthard.
Der CVP ist damit ein Coup gelungen, den die gegen Wählerschwund kämpfende Partei gut gebrauchen kann. Vor zwölf Jahren hatte sie mit der Einerkandidatur von Leuthard gelangweilt. Nun sorgt sie für «die spannendsten Bundesratswahlen seit langer Zeit», wie die Tamedia-Zeitungen schreiben. Das ist ein wenig übertrieben, aber auch nicht falsch.
Denn kaum war Z'graggen nominiert, entstand eine Art «Heidi-Hype». Nun sei das Rennen völlig offen, lautet der Tenor in den Medien, die sie zuvor kaum beachtet hatten. Das irritiert erst einmal, denn die Urnerin ist in Bundesbern eine weitgehend unbekannte Grösse, während Amherd als langjährige Nationalrätin und Vize-Fraktionspräsidentin der CVP bestens vernetzt ist.
Der Nobody-Status wurde letztes Jahr wohl dem Genfer FDP-Regierungsrat Pierre Maudet zum Verhängnis (was mittlerweile wenige bedauern dürften). Der Sprung aus einer Kantonsregierung in den Bundesrat gelingt in der Regel nur bei fehlender Konkurrenz durch Bundesparlamentarier, wie beim CVP-Frauenticket Metzler/Roos 1999 oder jenem der SP 2002 (Calmy-Rey/Lüthi).
Heidi Z'graggen startet also mit einem eindeutigen Handicap in die heisse Phase des Wahlkampfs. Trotzdem ist die 52-jährige Justizdirektorin keineswegs chancenlos. Vergleicht man ihr politisches Profil mit jenem von Viola Amherd, sind auf den ersten Blick kaum Unterschiede zu erkennen. Die Walliserin tendiert einen Tick nach links, während sich die Urnerin «eher zum rechten Flügel» zählt.
Klare Differenzen gibt es in der Umweltpolitik. Heidi Z'graggen hat sich als Präsidentin der eidgenössischen Kommission für Natur- und Heimatschutz einen guten Ruf erworben. «Ich empfehle den Umweltpolitikern im Parlament, ihr eine Chance zu geben», sagte Raimund Rodewald, Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, der «NZZ am Sonntag».
Das will etwas heissen, denn Rodewald ist bekannt für seine pointierten Wortmeldungen. Er attestiert Z'graggen ein glaubwürdiges Engagement für den Landschaftsschutz, während Amherd aus einem Kanton stammt, in dem man gerne Wölfe abknallt und Landschaften zubetoniert. Trotzdem dürfte sie im Mitte-links-Lager die besseren Chancen haben als die Innerschweizerin.
Die proeuropäischen Grünliberalen könnten Z'graggen die Kritik am Rahmenabkommen mit der EU übel nehmen. Ihre Aussagen am CVP-Talk in Bern zu diesem Thema erinnerten an den SVP-Jargon. In ihren Interviews mit der Sonntagspresse äusserte sie sich vorsichtiger. «Den bilateralen Weg zu erhalten, ist das Wichtigste», sagte sie der «NZZ am Sonntag».
Mit ihrer EU-Skepsis und dem – vorläufigen – Nein zum UNO-Migrationspakt schielt Z'graggen auf die Stimmen von Mitte-rechts. Für den «Sonntagsblick» will sie damit die erfolgreiche Strategie von Ignazio Cassis vom letzten Jahr kopieren. Der Tessiner Freisinnige warb unverhohlen und auf teilweise grenzwertige Art um die Gunst der SVP und schaffte so die Wahl in den Bundesrat.
Es ist nicht auszuschliessen, dass Heidi Z'graggen mit einer ähnlichen Methode Erfolg haben wird. Eine weitere Parallele zu Cassis ist der «Regionen-Bonus», den sie als Innerschweizerin eher beanspruchen kann als ihre aus dem westlichen Landesteil stammende Kontrahentin. Ausserdem gehört Uri zu den wenigen Kantonen, die noch nie im Bundesrat vertreten waren.
Trotzdem bleibt Viola Amherd in der Pole Position. Heidi Z'graggen hat in den etwas mehr als zwei Wochen bis zur Wahl noch viel Arbeit vor sich, um das Parlament von sich zu überzeugen. Nur eines scheint vorerst gewiss: Die Idee einer Sprengkandidatur hat sich mit dieser spannenden Frauenwahl erledigt. Darüber schwadronieren höchstens ein paar versprengte SVPler.