
Daniel Graf: Netzaktivist, Meidienprofi und Kampagnenberater.Bild: KEYSTONE
Daniel Graf ist Kopf des Referendums gegen Sozialdetektive. Vor allem aber ist er Aktivist, der von einer digitalen Demokratie träumt. Begegnung mit einem Rastlosen.
10.10.2018, 10:0716.10.2018, 15:24

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In seiner rechten Hand hält Daniel
Graf die Gabel, mit seiner linken gestikuliert er wild in der Luft.
Seinen Vorspeisesalat hat er erst bis zur Hälfte fertig geschafft,
der Reis mit Gemüse ist längst kalt. Vor jedem Bissen kommt ihm
etwas Wichtiges zuvor, das es auszuführen gilt. «Ich ess' dann
schon noch», sagt er, als er den verstohlenen Blick der Reporterin
auf seinem Teller sieht. Doch dann holt der 45-Jährige wieder aus,
erklärt, grüsst zwischendurch einen Bekannten am Nebentisch und
wechselt zurück zu seinem Lieblingsthema: Digitale Demokratie.
«Ich bin nie im Jetzt, sondern immer vier Sekunden voraus. Deswegen ziehe ich nach vorne, ich bin ja immer schon da.»
Daniel Graf
Graf ist vieles: Kommunikationsberater,
Medienprofi, Netzaktivist. Vor allem ist er ein Rastloser, ein
Getriebener, einer, der in hohem Tempo vorprescht und anderen das
Gefühl gibt, ständig etwas zurück zu liegen. Sein psychisches
Profil beschreibt Graf so: «Ich bin nie im Jetzt, sondern immer
vier Sekunden voraus. Deswegen ziehe ich nach vorne, ich bin ja immer
schon da.»
Es sind diese Eigenschaften, die Graf
antreiben, die ihn an den Punkt bringen, an dem er heute steht: Er
ist Co-Kampagnenleiter beim Referendum gegen die Sozialdetektive, über
das die Schweizer Stimmberechtigten am 25. November befinden. Hinter
Graf steht keine Partei, sondern Bürger, die sich über das Internet
zusammengefunden haben. Zum ersten Mal in der Schweizer Geschichte
kommt es aufgrund einer digitalen Mobilisierung zu einer Abstimmung.
Das ist einzigartig.
Der Beginn der digitalen Demokratie
Im Frühling 2016 gründete Graf Wecollect, eine Internet-Plattform, über die im Netz
Unterschriften für Volksinitiativen und Referenden gesammelt werden
können. Der Vorgang ist simpel: Wer ein politisches Geschäft
unterstützen will, kann den Unterschriftenbogen einfach ausdrucken,
signieren und per Post einsenden.
Grafs Vision war, anstatt dem
mühsamen Sammeln von Unterschriften auf der Strasse in kurzer Zeit
eine grosse Masse über das Internet zu mobilisieren und so tausende
Unterschriften zu sammeln. «Normale Bürgerinnen und
Bürger erhalten so ein Instrument, sich direkt und einfach an
demokratischen Prozessen zu beteiligen», sagt Graf. Theoretisch.
Doch in der Realität war seine Idee zwar gut, interessierte anfangs
aber kaum jemanden. Wie so oft war er zu schnell, zu früh.

Immer auf Trab: Daniel Graf in seinem Büro.bild: watson
Heute, zweieinhalb Jahre nach der
Gründung von Wecollect, ist das anders. Graf und seine Plattform kann heute keiner mehr ignorieren. Im
Frühling dieses Jahres sprach sich das Parlament für ein Gesetz zur
Überwachung von Sozialversicherten aus. Dieses sollte ermöglichen,
dass Bezüger von Sozialhilfe, IV-Rentner, Arbeitslose und Unfall-
und Krankenversicherte bei Verdacht auf Missbrauch durch Detektive
observiert werden können. Die Versicherungen selbst könnten die
Observation veranlassen und dabei Bild- und Tonaufnahmen machen. Eine
richterliche Genehmigung bräuchte es nur für GPS-Tracker, die an
Autos angebracht werden.
Mit dem jungen Internetaktivisten Dimitri
Rougy baute Graf ein Netzwerk für das Referendum auf. Über Wecollect und Sammelaktionen auf der Strasse konnte der lose Zusammenschluss in kurzer Zeit tausende Unterschriften
sammeln, nach hundert Tagen hatte er 56'000 zusammen. Graf sagt: «Für
mich bedeutete das: Jetzt ist Wecollect referendumsfähig. Das ist
gross.» Gross, weil Graf mit Wecollect die politischen
Machtverhältnisse verschiebt. Weg von den Parteien, hin zu den
Bürgern.
Guerilla-Aktionen früh gelernt
Schon in der Kantonsschule Bülach (ZH)
war Graf derjenige, der zog, Aktionen plante, bei den Demos mit den
Medien sprach. Politisiert habe ihn, als Neonazis im Zürcher
Unterland Brandsätze auf Asylheime warfen. Während der grossen
Anti-Globalisierungsbewegung in den 90er-Jahren wurde seine WG zum
Schlafplatz für zwanzig Personen aus ganz Europa. Sie reisten gemeinsam nach Davos, um gegen das Weltwirtschaftsforum zu demonstrieren.
«Die Zeit der grösseren Partizipation für alle ist gekommen.»
Daniel Graf.
Graf organisierte Guerilla-Aktionen,
lernte, wie man medienwirksam Werbung für die eigene Sache macht.
Taktiken, derer sich auch heute noch gerne bedient. So kopierte das
Referendumskomitee gegen Sozialdetektive kürzlich Werbeplakate von
Krankenkassen und verfälschten diese mit eigenen Botschaften und
Bildern.
Die Möglichkeiten des Internets
entdeckte Graf an der Universität. In Zürich und Berlin studierte
er Geschichte. In einem Keller an der Zürcher Rämistrasse gab es einen Computer-Raum, wo er jede
Minute seiner Freizeit verbrachte. «Ich war es oft, der meinen Freunden
das Netz erklärte.» Unter den Aktivisten war er einer der Ersten mit eigenem Modem,
später kaufte er sich auf dem Schwarzmarkt ein Iphone, eröffnete Social-Media-Accounts. Während sich andere langsam an die
neuen technologischen Möglichkeiten herantasteten, war er immer
schon einen Schritt weiter, kannte das Gerät bereits und fragte
sich, wie er für die Politik nutzen kann.
Mehr Macht dem Volk
Nebst dem Versicherungsdetektiv-Referendum werden
derzeit auch für die Korrektur-Initiative gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer und für ein Referendum
gegen den AHV-Steuer-Deal Unterschriften über Grafs Plattform
gesammelt. Was bedeutet es, wenn bei politischen Geschäften künftig
über das Internet interveniert werden kann? «Dass es eine neue Art
von Demokratie geben wird», sagt Graf. Das ist etwas, auf das er
mit Überzeugung hinarbeitet. Behörden und Parlamente müssen Macht
abgeben, findet er. «Die Zeit der grösseren Partizipation für
alle ist gekommen.»
Mehr Macht dem Volk, also. Ob das gut
gehen kann? Welch pessimistische Frage, findet Graf. «Je mehr Macht
wir den Bürgern geben, desto stabiler ist die Demokratie. Das Risiko, dass eine Regierung ein Land an die Wand fährt ist viel grösser, aber es
sind selten die Bürger, die das tun.» Ginge es nach ihm, so würde er
am liebsten eine Initiative für digitale Volksrechte lancieren, mit
der das E-Collecting, also das Signieren über das Smartphone,
eingeführt würde und bei der noch mehr partizipative Plattformen
geschaffen würden.
«Mir geht es nicht nur darum, zu gewinnen. Mir geht es darum, eine schlagkräftige Demokratiebewegung aufzubauen.»
Daniel Graf.
Gewinnt Graf mit seinem Komitee am 25.
November die Abstimmung, käme das einer Sensation gleich. Nicht
nur, weil Bundesrat und eine Mehrheit im Parlament dem neuen Gesetz zustimmen. Auch wäre es das erste Mal, dass eine Internet-Gemeinschaft eine Abstimmung erzwungen hat und diese gewinnt. Verliert Graf,
fände er das auch nicht so schlimm. «Mir geht es nicht nur darum, zu
gewinnen. Mir geht es darum, eine schlagkräftige Demokratiebewegung aufzubauen»,
sagt er.
Und was tut der Rastlose, wenn er
gerade nicht im Internet surft, den nächsten Angriff plant, Medien
mit Guerilla-Aktionen verwirrt? «Dann bin ich zu Hause bei meiner
Familie.» Mit seiner Frau, einer Lehrerin, und den fünf- und
achtjährigen Söhnen wohnt er in Basel. Eigentlich sollte er jetzt
mit ihnen in Sardinien in den Ferien sein. Doch als das Referendum
gegen die Sozialdetektive zustande kam, war klar, dass bis Ende
November kaum Zeit für Erholung bleiben wird.
Die Sozialhilfe nimmt uns Schweizern die Frauen weg!
Video: watson/Renato Kaiser
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