Die Junge SVP und die EDU bezeichnen die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm als «Zensurgesetz». Was ist daran? Gerhard Fiolka, Strafrechtsprofessor an der Universität Freiburg, liefert am Beispiel von Aussagen und Situationen seine Einschätzung.
Er betont: «Die Strafbestimmung gegen Diskriminierung erfasst nur öffentliche Äusserungen.» Heisst: Im privaten Umfeld wären gewisse Aussagen weiterhin erlaubt. Mit rechtlichen Konsequenzen müsste hingegen rechnen, wer einen Menschen oder eine Gruppe öffentlich in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert. Und wer Schwulen und Lesben Waren oder Dienstleistungen verweigert, die für die Allgemeinheit bestimmt sind.
Was das konkret bedeutet, zeigen die folgenden neun Punkte.
Fiolka: «Grundsätzlich verstösst der Vorwurf der Kriminalität nicht gegen die Menschenwürde. Es gab aber bereits Urteile, die Pauschalverurteilungen im Stil von ‹Alle X sind kriminell› als strafbar eingestuft haben. Hier wird in erster Linie die Art der Kriminalität eine Rolle spielen. Bei einer solchen Aussage schwingt (ähnlich wie beim Vorwurf der «Gefährlichkeit») die Forderung mit, man müsse die Gesellschaft vor diesen Menschen schützen und ihre Rechte gravierend einschränken. Insofern würden Gerichte eine solche Behauptung in Zukunft wahrscheinlich als strafbar betrachten.»
Fiolka: «Diese Aussage impliziert nicht, dass ‹Kranke› weniger wert seien, und fordert nicht, dass sie weniger Rechte geniessen sollten. Der Vorwurf der Krankheit an sich ist auch nicht ehrverletzend. Deshalb wäre die Aussage wohl weiterhin erlaubt. Auch entsprechende Therapien wären nach der Diskriminierungsstrafnorm wahrscheinlich nicht strafbar.
Strafbar wäre allenfalls, wenn jemand Homosexualität als Krankheit und als Gefahr für andere darstellt und deshalb für eine Einschränkung der Rechte der ‹Kranken› postulieren würde, wie zum Beispiel bei einer sich ausbreitenden Seuche. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass Gerichte das anders sehen.
Fiolka: «Hier fragt sich letztlich, worin diese Gefahr genau bestehen soll und was daraus abgeleitet wird. Eine solche Äusserung könnte nach den Umständen andeuten, Homosexualität habe einen zersetzenden Einfluss auf die Gesellschaft. Daraus könnte sich die Forderung ergeben, diese Menschen seien aus der Gesellschaft zu eliminieren, um die anderen zu schützen. Dies wäre ein Verstoss gegen die Menschenwürde und künftig strafbar.»
Fiolka: Wer sich auf die «Natur» des Menschen beruft, begreift darunter vielfach seine eigenen moralischen Vorstellungen, welche sehr unterschiedlich sein können. Hätten unsere Vorfahren die Natur derart glorifiziert, würden wir noch immer in Höhlen hausen. Mit dem Vorwurf des Widernatürlichen (oder der «Sünde») verbindet sich aber nicht zwingend die Forderung, jemand dürfe nicht gleichberechtigt in menschlicher Gesellschaft leben. Insofern wäre eine solche Aussage nach Änderung der Strafnorm meiner Meinung nach nicht strafbar. Aber auch hier gilt: Es ist nicht ausgeschlossen, dass Gerichte dies anders sehen.
Fiolka: «Das ist heute bereits als Beschimpfung strafbar. Aus welchem Grund eine Person jemanden als Sau betitelt, spielt dabei keine Rolle. Ähnlich wie bei rassistisch gefärbten Beleidigungen dürfte strittig sein, ob auch der Tatbestand der Diskriminierungsstrafnorm in solchen Fällen erfüllt wäre. Meiner Einschätzung nach reicht die Verbindung des Wortes ‹Sau› mit einer Gruppenzugehörigkeit für einen Verstoss gegen die Menschenwürde nicht aus.»
Fiolka: «Auch das ist heute schon strafbar. Ehrverletzungsdelikte oder Tatbestände wie die Drohung oder die öffentliche Aufforderung zur Gewalt könnten einschlägig sein. Die Forderung, jemandem aufgrund seiner sexuellen Orientierung Gewalt anzutun oder ihn gar zu töten, wird zudem jedenfalls als Verstoss gegen die Menschenwürde zu werten sein und damit auch unter die Diskriminierungsstrafnorm fallen.»
Fiolka: «Viele Gegner der Strafnorm überschätzen ihren Anwendungsbereich. Schwulenwitze wie dieser dürften mit der Erweiterung des Gesetzes wohl weiterhin erzählt werden, soweit sie nicht in die Menschenwürde eingreifen, also nicht etwa eine Unterwertigkeit der Betroffenen behaupten. Selbst herabsetzende Aussagen über bestimmte legale Sexualpraktiken – wie etwa der Ausdruck des Ekels über gleichgeschlechtlichen Analverkehr – greifen nicht in die Menschenwürde ein.»
Fiolka: «Nein. Diskriminierungen sind nur strafbar, wenn eine Leistung der Allgemeinheit angeboten wird. Das ist bei einer Segnung, die nur den Mitgliedern einer bestimmten Glaubensgemeinschaft angeboten wird, nicht der Fall. Hinzu kommt, dass der Geistliche wohl auch die Religionsfreiheit für sich in Anspruch nehmen und nicht dazu gezwungen werden könnte, ein Ritual vorzunehmen, das er für sündig hält.»
Fiolka: «Im Gegensatz zu einer Segnung handelt es sich um eine der Öffentlichkeit angebotene Leistung. Dies ist bei Restaurants und Läden in der Regel der Fall und dürfte bei Hotels, die ihre Gäste nicht aussuchen oder «screenen», auch so sein. Deshalb wäre die Verweigerung eines Hotelzimmers an homosexuelle Paare mit hoher Wahrscheinlichkeit eine direkte Diskriminierung und verboten.
Bei Diskriminierungen ist problematisch, dass sie sich positiv, aber auch negativ formulieren lassen. Eine Bezeichnung als «Schwulenbar» schliesst im Umkehrschluss Heterosexuelle aus. Es könnte also durchaus sein, dass künftig ein solches zielgerichtetes Angebot nicht mehr zulässig wäre.
Der hat wohl etwas falsch verstanden. Nur weil eine Bar sich so bezeichnet, heisst es ja nicht, dass Heterosexuelle zwangsläufig ausgeschlossen werden.