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Roadmap Grossen: Genug Strom bis 2050 ohne neue AKW

Blick auf die Testanlage zum Baustart der Solar-Grossanlage Sedrun Solar, im Hintergrund der Curnera-Stausee der Axpo, am Freitag, 16. August 2024, in Sedrun. Der Bau der Anlage mit 5700 Solartischen  ...
Eine perfekte Kombination: Die Testanlage des Grossprojekts Sedrun Solar, im Hintergrund der Curnera-Stausee der Axpo.Bild: keystone

Genug Energie ohne AKW – dank «Dreamteam» Solar und Wasserkraft

GLP-Präsident Jürg Grossen hat eine «Roadmap» für die Schweizer Energieversorgung bis 2050 entwickelt. Sie basiert auf Sonne und Wasser – und kommt ohne neues AKW aus.
15.01.2025, 12:2915.01.2025, 13:44
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Erneuerbare Energien sind in manchen Köpfen noch immer mit Vorurteilen behaftet. Sie seien «flatterhaft» und lieferten den Strom nicht dann, wenn er benötigt wird. Deshalb brauche die Schweiz ein neues Atomkraftwerk. Falsch, meint Jürg Grossen, Berner Nationalrat, Präsident der Grünliberalen Partei und als Unternehmer selbst im Energiebereich tätig.

Er hat 2020 eine Roadmap für die Energieversorgung der Schweiz entwickelt und nun ein Update veröffentlicht. Es erscheint zu einem spannenden Zeitpunkt. Im Juni 2024 hat das Stimmvolk das neue Stromgesetz klar angenommen, das den Ausbau der erneuerbaren Energien forciert. Dennoch will Energieminister Albert Rösti das AKW-Bauverbot aufheben.

Bundesrat Albert Roesti, links, und Nationalrat Juerg Grossen, GLP-BE, unterhalten sich an der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete, am Montag, 16. September 2024, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneid ...
Jürg Grossen (r.) im Gespräch mit Energieminister Albert Rösti während der Herbstsession 2024.Bild: keystone

Letzte Woche hat der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) seinerseits ein Update seiner Studie «Energiezukunft 2050» vorgelegt. Und diese Woche findet in Bern der Schweizer Stromkongress 2025 statt, mit einem Schlusswort von Bundesrat Rösti. Er fokussiert auf das Gesamtsystem, um die Stromversorgung zu sichern.

Windenergie nur eine Ergänzung

Darum geht es auch in Grossens Roadmap. Wird das Stromgesetz konsequent umgesetzt, inklusive der 16 Wasserkraftwerke, kann die Schweiz die Energiewende schaffen, zeigt sich der Berner Oberländer überzeugt. Wir könnten demnach «sämtliche Schweizer Atomkraftwerke bis 2050 abstellen, müssen keine neuen bauen – und werden das Netto-Null-Ziel dennoch erreichen».

Das neue «Dreamteam» Wasserkraft und Solarstrom mache es möglich, argumentiert der GLP-Präsident. Windenergie spielt für ihn nur eine Nebenrolle. Jürg Grossen befürwortet sie, doch das in der VSE-Studie genannte Ziel von 500 Anlagen hält er für unrealistisch. Windräder und Biomasse könnten Solaranlagen und Wasserkraftwerke allenfalls ergänzen.

Solar

Als Präsident des Verbands Swissolar ist Jürg Grossen nicht ganz unparteiisch. Doch die Fakten sprechen für ihn. Im letzten Jahr hat die Produktion aus Photovoltaik bereits 11 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs gedeckt. Und allein die 2023 und 2024 erstellten Solaranlagen produzieren mehr Strom als das 2019 deaktivierte AKW Mühleberg.

Grossen setzt auf einen weiteren und beschleunigten Ausbau an und auf Gebäuden sowie Infrastrukturen. Dies dank tieferer Kosten und höherer Effizienz. «Als ich vor 38 Jahren als Lehrling meine erste Solaranlage installiert habe, war der Wirkungsgrad halb so hoch wie heute, und sie war dreissigmal teurer», sagte der 55-Jährige im Gespräch mit watson.

Wasser

Die Stromproduktion mit Speicherseen und Flusskraftwerken ist seit Jahrzehnten ein Rückgrat der Schweizer Energieversorgung. Ein beträchtlicher Teil wird exportiert, auch im Winter. Jürg Grossen hat damit im Grundsatz kein Problem: «Ich bin ein überzeugter Unterstützer des europäischen Stromverbundnetzes, denn dieses sichert uns eine günstige und sichere Versorgung. Die Schweiz hat diese grossflächige Vernetzung historisch geprägt, sich davon abzuschotten wäre eine Dummheit.»

Das Stromabkommen mit der EU ist nicht nur notwendig, sondern ein zentrales Element der Roadmap. Denn die Schweiz sei «keine Insel». Er stellt aber auch klar: Wenn der Strommarkt einmal nicht funktionieren würde und Importe nicht möglich wären, müsste bei der Wasserkraft die Versorgungssicherheit Vorrang haben.

Effizienz

In der VSE-Studie spielt sie eine Nebenrolle, was nicht erstaunt. Elektrizitätswerke wollen Strom verkaufen, nicht einsparen. Im Stromgesetz aber ist sie enthalten, sie soll bis 2050 um 26 Prozent gesteigert werden. Für Jürg Grossen ist das mutlos. Er ist als Unternehmer in diesem Bereich tätig und geht von einer Effizienzsteigerung um 40 Prozent aus.

Roadmap Jürg Grossen Energie Schweiz 2050
Die Roadmap von Jürg Grossen: Mit einer Steigerung der Stromeffizienz um 40 Prozent braucht es bis 2050 keinen Atomstrom mehr.

Möglich machen sollen es intelligente Stromnetze. Und effizientere Geräte. Die Schweiz ist dabei gut unterwegs. Der Gesamtenergieverbrauch sinkt seit 2010, trotz des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums. Und der Stromverbrauch ist stabil, auch weil Elektroautos und Wärmepumpen einen höheren Wirkungsgrad haben als Verbrenner und Ölheizungen.

Dank dieser Effizienzgewinne und einer besseren Bewirtschaftung der Wasserkraft geht Grossen davon aus, dass der jährliche Stromverbrauch bis 2050 von heute 60 «nur» auf etwas mehr als 70 Terawattstunden ansteigen wird. Die VSE-Studie geht von 90 Terawattstunden aus. Doch selbst dieses Volumen wäre gemäss der Roadmap Grossen durch die Produktion gedeckt.

Power-to-X

Schon heute ist die Stromerzeugung vor allem im Sommer höher als der Verbrauch. Der VSE will diesen Überschuss notfalls «abregeln», als quasi abwürgen, doch Grossen plädiert für die Speicherung mit Power-to-X. Dabei wird der Strom in Wasserstoff oder synthetische Treibstoffe (Synfuels) umgewandelt und im Winter mit Gaskraftwerken wieder elektrifiziert.

Solche spielen auch im VSE-Szenario eine wichtige Rolle. Für den GLP-Chef ist Power-to-X zudem eine sinnvolle Option in Bereichen, die bis 2050 nicht oder nur bedingt mit Elektrizität betrieben werden können. Das betrifft Industrieprozesse, Bau- und Landmaschinen oder den Schiffs- und Flugverkehr. Power-to-X führt demnach zu mehr Versorgungssicherheit und Resilienz.

Kosten

Für die Dekarbonisierung der Energieversorgung braucht es beträchtliche Investitionen. Sie sind ein Grund für den zuletzt rückläufigen Absatz von Elektroautos. In der Gesamtrechnung sinken jedoch die jährlichen Energiekosten für die Konsumenten gegenüber dem Szenario «Weiter wie bisher». Dies belegt eine Studie der ETH Zürich zur Roadmap Grossens.

Der VSE sieht es genauso. In der ersten Fassung der Studie «Energiezukunft 2050» hat der Verband zusammen mit der EMPA berechnet, dass die Gesamtbilanz selbst dann günstiger ist als heute, wenn man die Netzausbaukosten berücksichtigt. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Milliarden wegfallen, die jährlich für Öl, Gas und Uran ins Ausland abfliessen.

Jürg Grossens Roadmap ist keine «Luftnummer». Ihre Machbarkeit wird durch die ETH-Studie belegt. Nicht alles wird sich realisieren lassen, in einigen Bereichen sind Konflikte mit der Strombranche absehbar, bei Wasserkraft oder Effizienz. Doch ein neues AKW bis 2050 ist für den VSE unrealistisch und für Grossen sogar unnötig, dank dem «Dreamteam» Sonne und Wasser.

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Längste Staumauer der Schweiz in Linthal GL eingeweiht
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Längste Staumauer der Schweiz in Linthal GL eingeweiht
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quelle: axpo
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344 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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HappyUster
15.01.2025 12:47registriert August 2020
E voila! Da haben wir es wieder!

Strom kann man speichern. Als Stausee, als Zieh-Pendel, Wasserstoff, Synfull oder Schwerwasser-Akku.

Man muss es nur Wollen und Zulassen. Mit Ideen und Kreativität können wir unsere Zukunft sichern und ausbauen. Und überlasst das bitte nicht den Chinesen!
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tss
15.01.2025 12:42registriert Juni 2020
Am wichtigsten ist, dass die Energieversorgung unabhängig wird von Diktatoren und andere Länder. Es gibt viele Möglichkeiten, Strom zu gewinnen. Wir sollten vor allem unabhängig werden von Uran Öl und Gas. Egal was die Lobbyisten sagen und Ängste schurren.
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amore
15.01.2025 12:42registriert Februar 2014
Klar geht das. Man muss nur wollen.
Schon Prof. Gunzinger hat das in seinem Buch „Kraftwerk Schweiz“ vor einiger Zeit aufgezeigt.
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