Die Schweiz hat die kalte Jahreszeit gut überstanden. Eine drohende Energiekrise konnte vor allem dank milder Temperaturen verhindert werden. Dennoch mussten die Stromkunden je nach Versorger teilweise happige Preiserhöhungen verkraften. Die offizielle Energiepolitik der Schweiz stösst trotzdem oder gerade deshalb nach wie vor auf grosse Zustimmung.
Dies zeigt eine am Mittwoch veröffentlichte Umfrage des Instituts GFS Bern im Auftrag des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). Demnach sind 59 Prozent der Bevölkerung mit der aktuellen Energiepolitik eher oder sehr einverstanden. Das sind sogar drei Prozent mehr als bei der identischen Befragung, die vor einem Jahr durchgeführt wurde.
Dieser Befund stützt die offizielle Stossrichtung, die einheimische Stromversorgung mit erneuerbaren Energien zu fördern und die Abhängigkeit vom Ausland zu reduzieren (rund 70 Prozent des Schweizer Energiebedarfs werden importiert, vor allem in Form von Erdöl und Erdgas). Für 68 Prozent der Befragten geht die Energiewende in der Schweiz viel zu langsam.
Dies bedeutet Rückenwind für den Mantelerlass, der sich derzeit in der parlamentarischen Beratung befindet und einen massiven Ausbau der Stromproduktion aus Sonne, Wasser und Wind anstrebt. Allerdings zeigen sich hier auch gewisse Widersprüche: 63 Prozent glauben, dass die Erneuerbaren «bei Weitem» nicht ausreichen, um den Strombedarf zu decken.
Besonders skeptisch ist nicht überraschend die Anhängerschaft der SVP unter den rund 1000 Stimmberechtigten, die an der Umfrage teilgenommen haben. 53 Prozent lehnen die energiepolitische Stossrichtung der Schweiz ab. Die SVP bekämpft derzeit auch das Klimagesetz, über das am 18. Juni abgestimmt wird, als «Stromfresser-Gesetz».
Damit trifft sie einen Nerv, denn die Versorgungssicherheit geniesst bei der Bevölkerung absolute Priorität. Strompreis und Klimaschutz sind sekundär. 63 Prozent der Befragten wollen Natur und Landschaft nicht kompromisslos dem Ausbau der erneuerbaren Energien opfern, doch 59 Prozent sind zu «deutlichen Abstrichen» beim Umweltschutz bereit.
Die weitaus grösste Akzeptanz geniessen Solaranlagen auf Gebäuden und Fassaden, sie werden von 97 Prozent befürwortet. Selbst Windkraft kommt auf 76 Prozent Zustimmung. Auch die SVP-Anhänger sind zu 65 Prozent dafür, und 56 Prozent aller Befragten wären grundsätzlich bereit, ein Windrad auf einem Hügel vor dem eigenen Haus zu akzeptieren.
Der Verdacht drängt sich auf, dass dies vor allem auf Stadt- und Agglobewohner zutrifft. Auf dem Land dürfte der Widerstand grösser sein. Das zeigte sich in Hagenbuch, einer SVP-Hochburg in der Region Winterthur. Letzte Woche stimmte die Gemeindeversammlung für einen Mindestabstand von 1000 Metern zwischen Wohnhäusern und Windrädern. Der Gemeinderat wollte «nur» 700 Meter.
Das zeigt, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien leichter gesagt als getan ist. Das betrifft auch alpine Solaranlagen oder neue Stauseen im Rückzugsgebiet der Gletscher, die in der Umfrage klar befürwortet werden. Der Bau neuer AKW aber ist nicht mehrheitsfähig, trotz des in letzter Zeit verstärkten Lobbying vonseiten der Befürworter.
Im Prinzip wäre die Bevölkerung bereit, sich die Energiewende etwas kosten zu lassen. Allerdings hat ein bezahlbarer Strompreis für signifikante Minderheiten unter den Anhängern der bürgerlichen Parteien sowie den Bewohnern ländlicher Regionen Priorität. Und das Nein zum CO₂-Gesetz belegte, dass im Zweifelsfall oft die Rappenspalter-Mentalität gewinnt.
Ähnlich widersprüchlich ist die Haltung zu einem Stromabkommen mit der EU. Satte 73 Prozent der Befragten würden ein solches begrüssen. Wenn die Schweiz dafür jedoch Kompromisse – etwa ein Rahmenabkommen – eingehen muss, sinkt die Zustimmung auf 54 Prozent. Vor allem die FDP- und SVP-Anhängerschaft ist in diesem Fall klar dagegen.
Die im April durchgeführte GFS-Umfrage zeigt insgesamt ein zwiespältiges Bild. Die Schweizer Bevölkerung will die Energiewende, und zwar schneller als bisher. Aber sobald es konkret wird, drohen Stolpersteine aller Art. Die Schmerzgrenze sei «noch nicht erreicht», liess sich VSE-Direktor Michael Frank in der Medienmitteilung zur Umfrage zitieren.
Dabei zeigt ein «Whitepaper» des Energy Science Center an der ETH Zürich, dass eine klimaneutrale Energieversorgung bis 2050 in der Schweiz technisch mach- und bezahlbar ist. Zwar werde der Strombedarf ansteigen, doch er könne durch einen raschen Ausbau erneuerbarer Energiequellen und eine Integration in den europäischen Strommarkt gedeckt werden.
Die ETH-Forscher verschweigen nicht, dass die Herausforderungen gross sind. Den Befürwortern der Kernenergie aber machen sie wenig Hoffnung. Sie sei eine Option, doch neue Reaktoren könnten aufgrund fehlender politischer Rahmenbedingungen sowie unkalkulierbarer Baukosten und -zeiten wohl «erst nach 2050 in Betrieb gehen».
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