Alles wird teurer in der Schweiz: Mieten, Krankenkassenprämien und auch die Elektrizität. Im nächsten Jahr werden die Strompreise für den Durchschnittshaushalt um 18 Prozent ansteigen, teilte die Eidgenössische Elektrizitätskommission (ElCom) am Dienstag mit. Bei den rund 600 Stromversorgern sind die Unterschiede jedoch teilweise beträchtlich.
Am härtesten trifft es die Bewohnerinnen und Bewohner von Braunau im Thurgau. Die Stadtzürcher hingegen kommen glimpflich davon, weil ihr Elektrizitätswerk EWZ seinen Strom fast gänzlich selbst produziert. Das illustriert einen Teil des Problems: je grösser die Abhängigkeit eines Versorgers vom Strommarkt, umso grösser das Risiko hoher Tarife.
ElCom-Präsident Werner Luginbühl illustrierte dies vor den Medien mit einem Beispiel: Eine Streikdrohung in einer Flüssiggasanlage in Australien habe genügt, um die Gaspreise in Europa im August in die Höhe zu treiben. Und damit die Schweizer Strompreise, denn diese werden zu einem erheblichen Teil von den Gaskraftwerken im Ausland bestimmt.
Je mehr Strom die Schweiz produziert, umso weniger ist sie abhängig von den Launen der internationalen Märkte. Denn eine Rückkehr zum Zustand vor dem Ukraine-Krieg mit Tiefstpreisen in Europa wird es so schnell nicht geben. Und die Dekarbonisierung sorgt für einen deutlich höheren Strombedarf. Die Schweiz hat folglich alles Interesse, die einheimische Produktion zu stärken.
Für den SVP-Gemeindepräsidenten von Braunau liegt die Lösung im Bau eines neuen Atomkraftwerks. Was den heutigen Stromkonsumenten nichts bringen würde, denn laut einer ETH-Studie könnte ein solches AKW frühestens 2050 in Betrieb gehen. Viel sinnvoller ist ein Zubau der erneuerbaren Energien, vor allem von Solarstrom.
Das Parlament hat dazu im letzten Herbst den «Solarexpress» verabschiedet, der den Bau alpiner Anlagen zur Produktion von Winterstrom beschleunigen will. Im Wallis wird am Sonntag über die kantonale Umsetzung abgestimmt, nachdem Grüne und Umweltverbände das Referendum ergriffen hatten. Der Ausgang der Abstimmung ist ein Indikator für die Akzeptanz solcher Anlagen.
Weitaus gewichtiger allerdings ist das Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, kurz Mantelerlass genannt. In der Herbstsession kommt es zum «Showdown», denn die Mammutvorlage soll noch vor den Wahlen ins Ziel gebracht werden. Am Montag beginnt der Nationalrat mit der Bereinigung der Differenzen zum Ständerat.
Die Schlussabstimmung ist für den 30. September vorgesehen. GLP-Präsident Jürg Grossen zeigte sich auf Anfrage zuversichtlich. Die bisherigen Beratungen in der Differenzbereinigung seien konstruktiv verlaufen: «So etwas habe ich in meinen zwölf Jahren im Nationalrat kaum erlebt.» In zwei Punkten allerdings besteht nach wie vor ein Konfliktpotenzial.
Ein Antrag von bürgerlicher Seite will die Restwasservorschriften für Wasserkraftwerke lockern, wenn eine Strommangellage droht. Die Umweltverbände wehren sich vehement dagegen. Sie verweisen darauf, dass die Restwassermengen auf einem Kompromiss basieren, der 2010 zum Rückzug der Volksinitiative «Lebendiges Wasser» geführt hatte.
Der WWF rechnete am Dienstag an einer Medienkonferenz vor, dass die Produktion von Winterstrom bei einer Sistierung der heutigen Bestimmungen um nur 0,05 Terawattstunden zunehmen würde. Der Schaden für die Biodiversität wäre jedoch beträchtlich. Dabei sei die Schweiz im Vergleich mit den drei grossen Nachbarländern schon heute das Schlusslicht.
Von bürgerlicher Seite bekämpft wird die Vorschrift, bei Neubauten und Dachsanierungen eine Photovoltaik- oder Solarthermieanlage zu installieren. Auch grössere Parkplätze sollen ein «Solardach» erhalten. Beim WWF äussert man die Vermutung, dass die Solarpflicht für Parkplätze als Kompromisslösung bleiben und jene auf Dächern gekippt werden könnte.
Jürg Grossen, der auch Präsident von Swisssolar ist, könnte am Ende damit leben, sofern man den Anliegen der Umweltorganisationen beim Restwasser angemessen Rechnung trägt. Eine Solarpflicht auf Dächern, die die Grünen mit einer Volksinitiative fordern, sei in den Kantonen schneller umsetzbar: «Sie fällt ohnehin in ihren Zuständigkeitsbereich.» Der Berner Nationalrat rechnet auch in diesem Jahr mit einem Rekordzubau auf Gebäuden, «ganz ohne neue Vorschriften und Gesetze».
Die Chancen auf eine breit akzeptierte Vorlage sind intakt. Ein Referendum ist dennoch nicht ausgeschlossen. Kleinere Umweltverbände könnten es wegen des Restwassers ergreifen, und die SVP droht damit für den Fall einer Solarpflicht auf Gebäuden. Allerdings wird sich die Volkspartei gut überlegen, ob sie den Mantelerlass mit dem Referendum bekämpfen will.
Sie müsste schon wieder gegen ihren eigenen Bundesrat Albert Rösti antreten, für den der Mantelerlass sehr viel wichtiger ist als das Klimaschutzgesetz. Und vor allem müsste sich die SVP die Frage gefallen lassen, warum sie eine Vorlage ablehnt, die die Souveränität und Unabhängigkeit der Schweiz bei der Energieversorgung stärken will.
Ohne Stromimporte wird es auch in Zukunft nicht gehen, sind Experten überzeugt. Zu einem gewissen Grad wird die Schweiz vom Ausland abhängig bleiben. Dennoch stellt sich mit Blick auf den Strompreis die Frage, ob für ihn die einheimische Produktion aus Solar-, Wasser- und Windkraft massgebend sein soll. Oder australisches Flüssiggas.