«Powerplay von Rösti ist der falsche Weg»: Naturschützer von Wasserkraftplänen überrumpelt
Stauseen sind die Lebensversicherung der Schweiz: Fast 60 Prozent des produzierten Stroms stammt aus der Wasserkraft. Diesen Anteil weiter zu steigern, ist jedoch alles andere als einfach. Von den angepeilten, zusätzlichen 2 Terawattstunden Strom bis 2040 könne nur rund die Hälfte realisiert werden, sagte Energieminister Albert Rösti im Interview mit der «Schweiz am Wochenende». Grund dafür seien nicht Einsprachen, sondern «technische und wirtschaftliche Hürden».
Für Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone sind solche Aussagen ungewohnt: «Sonst wird immer das Narrativ bemüht, dass Naturschützerinnen und Naturschützer schuld am stockenden Ausbau seien.» Nun liegt der schwarze Peter bei den Stromunternehmen.
Darüber freuen mag sich Mazzone nicht. Sie befürchtet, dass der Naturschutz nun unter die Räder kommt. Hintergrund ist eine Liste von Wasserkraftprojekten. 2021 wählte der runde Tisch Wasserkraft von 33 Projekten deren 15 mit einem guten Verhältnis zwischen Naturverträglichkeit und Stromproduktion aus. Eines kam später in der parlamentarischen Beratung dazu. Die Liste soll nun mit neuen Vorhaben ergänzt werden. So will Bundesrat Rösti das Ausbauziel doch noch erreichen. In seinem Fokus stehen Projekte, die es 2021 nicht auf die 15er-Liste schafften. Anders gesagt: Vorhaben mit schlechterer Umweltbilanz.
Finanzielle Unterstützung als Ausweg
Pro Natura und WWF waren mit Bund, Kantonen und der Stromwirtschaft Teil des runden Tischs. Die Naturschutzorganisationen hielten sich an den Kompromiss, bei den ausgewählten Wasserkraftwerkprojekten keine Beschwerden einzulegen. Über die Ankündigung von Albert Rösti zeigen sie sich «überrascht». Umso mehr, als das Stromgesetz erst Anfang Jahr in Kraft trat. Es wurde vom Stimmvolk letzten Sommer angenommen und führt im Anhang die 16 Wasserkraftwerke namentlich auf.
«Die Halbwertszeit dieses Gesetzes wirkt irritierend kurz», sagt WWF-Sprecher Jonas Schmid. Für die Naturschutzorganisation sei klar, dass nicht einfach andere Projekte bevorzugt werden dürften, nur weil die ausgewählten weniger Gewinn versprächen oder weil es bei den Konzessionen zwischen Betreibern und Kantonen hapere.
Tatsächlich dürften widerständige Standortgemeinden und gesunkene Wirtschaftlichkeit zu einem Teil erklären, weshalb Projekte ins Stocken gerieten – wie jenes am Bündner Marmorera-Stausee. Die Stromkonzerne kommunizieren zuhanden der Öffentlichkeit jedoch zurückhaltend.
Lisa Mazzone wirft Bundesrat Albert Rösti mangelnde Transparenz vor. «Das Stimmvolk hat das Recht, zu wissen, welche Projekte nicht realisiert werden und wieso», sagt die Grünen-Präsidentin.
Auch der WWF und Pro Natura zeigen sich offen für eine gezielte finanzielle Unterstützung, sofern sich einige Projekte als wirtschaftlich nicht tragfähig erweisen.
Absichtserklärung wirft Fragen auf
Gleichzeitig pochen die Naturschutzorganisationen darauf, dass der runde Tisch wieder einberufen wird – so wie es die Absichtserklärung vorsieht. Darin heisst es: Wenn Projekte nicht realisiert werden können, trifft sich der runde Tisch erneut, «um die Frage der Notwendigkeit zusätzlicher Wasserkraftprojekte zu beurteilen und allenfalls weitere Projekte zu empfehlen».
Das Dokument hat rechtlich keine bindende Wirkung. Und unterzeichnet wurde es im Namen des Bundesrates noch von der früheren Energieministerin Simonetta Sommaruga – nicht von Albert Rösti. Dieser setzte seine Unterschrift damals als Präsident des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbands.
Jetzt will der SVP-Bundesrat darauf verzichten, die Akteure an den runden Tisch zu bestellen. Vielmehr beabsichtigt er, die interessierten Kreise im Rahmen einer Vernehmlassung zu seinen Vorschlägen für neue Wasserkraftwerkprojekte anzuhören.
Lisa Mazzone sieht darin einen «Vertrauensbruch». «Das Powerplay von Albert Rösti ist der falsche Weg: Dass die Umweltverbände vor vollendete Tatsachen gestellt werden, ist etwas ganz anderes, als wenn sie im Rahmen des runden Tischs aktiv mitdiskutieren können.» Jonas Schmid vom WWF ergänzt: «Weitere Projekte einfach ins Gesetz zu schreiben, entspricht nicht unserem Verständnis der Abmachung – und auch nicht dem Geist der konstruktiven Zusammenarbeit am runden Tisch.»