Roberto Balzaretti ist nicht zu beneiden: Seit einem Jahr hat der Schweizer Staatssekretär die Verhandlung über das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU geführt. Seit die Ergebnisse im Dezember veröffentlich wurde, reisst die Kritik am Verhandlungs-Ergebnis nicht ab.
«Ich habe erwartet, dass es eine Debatte über die verschiedenen Aspekte dieses Vertrags geben würde. Und ich erlebe die Kritik bisher als ziemlich konstruktiv. […] Ich finde die Diskussion über das institutionelle Abkommen notwendig und spannend.»
Staatssekretär Roberto Balzaretti.Bild: KEYSTONE
… seinem grössten Verhandlungserfolg
«Der Textentwurf ist ausgewogen und entspricht in hohem Masse unseren Anliegen. […] Künftig kann die Schweiz – und das ist neu – bei der Erarbeitung von EU-Normen mitwirken. Sobald diese definitiv sind, muss uns die EU dies mitteilen. Dann wird man im Gemischten Ausschuss darüber diskutieren, welche Normen ins bilaterale Recht überführt werden. Falls hier keine Einigung gelingt, können beide Seiten ein Schiedsgericht anrufen. Und selbst wenn dieses gegen die Schweiz entscheidet, behält sie das Recht, zu neuen EU-Normen Nein zu sagen.»
… das Schiedsgericht
«Die meisten Experten äussern sich positiv zum Schiedsgericht. Es ist eine Instanz, die paritätisch ist und eigenständig entscheidet. Die EU wollte es zuerst nicht, doch schliesslich lenkte sie ein. Das ist ein Verhandlungserfolg.»
«Gemäss den bilateralen Verträgen sind die Schweizer Behörden inklusive des Bundesgerichts schon heute verpflichtet, sich bei der Auslegung der bilateralen Verträge am EuGH zu orientieren. Dieses Prinzip ist 20 Jahre alt. Hat es uns je grössere Probleme beschert? Nein. [… Wir sollten nicht vergessen,] dass der EuGH, wie jedes Gericht, dem Recht verpflichtet ist, nicht der EU-Kommission.»
… die flankierenden Massnahmen (Flam)
«[Das Angebot der EU] sieht vor, dass wir zwei neuere EU-Rechtsakte ins bilaterale Freizügigkeitsabkommen integrieren, die neue Entsende- und die Durchsetzungsrichtlinie. Dafür gesteht uns die EU Ausnahmen zu: Weiterhin dürfen wir von EU-Firmen eine Voranmeldefrist und in bestimmten Fällen eine Kaution verlangen. […] Nun muss die Schweiz die Frage beantworten, ob dieses Angebot gut genug ist.»
«Die EU kann uns zu nichts zwingen. […] Selbst wenn [das Schiedsgericht] im Sinn der EU entscheidet, kann die Schweiz die Übernahme verweigern. Wir müssen dann einfach mit Ausgleichsmassnahmen rechnen. […] Allerdings ist die Frage offen, ob es jemals dazu kommt. Verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen bilden den letzten Schritt in einem langen Prozess. […] Nach Annahme des Rahmenabkommens würde es mindestens sieben bis acht Jahre dauern, bis es zu einem Schiedsgerichtsentscheid zur Unionsbürgerrichtlinie kommen könnte – vielleicht aber auch überhaupt nie.»
… die Unionsbürgerrichtlinie II
«Die einfachste Lösung wäre gewesen, in einem Zusatzprotokoll festzuhalten, dass die Schweiz die Unionsbürgerrichtlinie nicht übernimmt. [Dass die EU das nicht akzeptierte zeigt,] dass die EU nicht bereit war, diese Frage im Voraus und kategorisch mit Ja oder Nein zu beantworten. Ihre Unterhändler hatten das Mandat festzuschreiben, dass die Schweiz die Richtlinie in einigen Jahren übernimmt. Wir, ein Nein der Schweiz festzuhalten. Der Kompromiss war, nichts aufzuschreiben.»
«Der verantwortliche EU-Kommissar hat gesagt, die Tür für die Schweiz gehe nach einem Nein zu, werde aber nicht verschlossen. Will die Schweiz die Verhandlungen danach wieder aufnehmen, dürfte das Jahre dauern. Und der Knackpunkt wäre der gleiche. […] In den für das institutionelle Abkommen relevanten Fragen steht die EU nicht unter Druck, namentlich beim Marktzugang, bei der Homogenität des EU-Rechts und der Streitschlichtung. Im Gegenteil: Sie ist in diesen Fragen so bestimmt und geschlossen wie nie. Und diese Prinzipien werden für die EU unabdingbar bleiben, solange sie existiert.»
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Die beliebtesten Kommentare
dorfne
15.02.2019 10:57registriert Februar 2017
Die EU sollte endlich für alle 27 (28) Mitgliedstaaten einheitliche Sozialstandarts einrichten. Erst dann kann man über die Unionsbürgerschaft mit sofortigem Zugang zu unseren Sozialkassen sprechen. Entweder sagt man, das ist Sache der einzelnen Länder und verzichtet wegen des grossen Ungleichgewichts auf die Unionsbürgerschaft, oder man vereinheitlicht und führt erst dann die Unionsbürgerschaft ein.
Die Schweiz könne nein sagen zu neuen EU-Normen, sagt Herr Balzaretti. Er sagt uns aber nicht deutlich, was die Konsequenz wäre. Beispiel neues Waffenrecht: Bei einem Nein fliegen wir raus aus Schengen-Dublin; bei einem Nein zum Rahmenabkommen haben die bilateralen Verträge keine Gültigkeit mehr. So zumindest die Ankündigung aus Brüssel. Das als "angemessene Ausgleichsmassnahmen" zu bezeichnen ist ja Selbstbetrug pur.
mir gefällt hier die laue Umschreibung des Problems zu den FlaM nicht.
Es geht ja darum, dass wir die Anmeldefrist verkürzen und gleichzeitig die Kontrollkadenz reduzieren. Das heisst im Klartext immer noch genau gleich wir vor einem Monat: "wir erlauben es zwar aber wir hindern euch faktisch an der Umsetzung".
Ich hoffe die SP und die Gewerkschaften bleiben hier dran.
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