Über eine deutsche Politikerin der Sozialdemokraten fegte am Wochenende ein Shitstorm. Ein Facebook-User postete eine Fotomontage der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli mit Verweis auf die 8400 Franken teure Rolex-Uhr, die sie am Handgelenk trägt. Unter dem Bild kommentierte er: «Alles was man zum Zustand der deutschen Sozialdemokratie 2018 wissen muss.»
In Windeseile verbreitete sich das Bild in den Sozialen Medien. Kritisiert wurde die SPD-Politikerin dafür, dass sie sich politisch für sozial schlechter Gestellte einsetzt, selbst aber mit Luxusgütern protze. Damit predige sie Wasser, trinke aber Wein.
Via Twitter schalteten sich Tausende in die Debatte ein um die Frage: Darf eine Sozialdemokratin eine Rolex tragen?
Was sagen Schweizer SP-Politiker zum Rolex-Gate? Nationalrat Fabian Molina sagt: «Es ist ein grosser Fehler unserer Zeit, dass man denkt, wir können über unseren persönlichen Konsum die Welt verändern. Man muss politisch vorgehen.»
Jeder müsse für sich selbst entscheiden, welche Güter oder Dienstleistungen er konsumieren wolle. Natürlich sei auch die Eigenverantwortung der Einzelnen gefragt. Tatsache aber sei: «Wir können gar nicht so leben, dass wir nicht ausbeuten. Um das zu ändern, müssen wir das System ändern.»
«Das meiste Geld gebe ich für meinen persönlichen Hedonismus aus. Ich kaufe mir schöne Kleidung, ich esse gerne in netten Restaurants», sagt Molina. Seine Uhr habe jedoch nur 200 Franken gekostet.
Auch Molinas Ratskollegin Mattea Meyer findet: «Die Diskussion ist völlig absurd, ein Nicht-Thema, während über relevante Themen wie den aufgedeckten Milliarden-Steuerskandal in Deutschland kaum diskutiert wird.»
Spannender als die Frage, ob Sozialdemokraten Rolex-Uhren tragen dürfen, findet Meyer das, worum es bei dieser Debatte im Kern eigentlich gehe. «Es ist kaum Zufall, dass eine junge Frau mit Migrationshintergrund Mittelpunkt dieser unsinnigen Diskussion ist. Im Grunde haben wir es hier mit Fremdenfeindlichkeit und Sexismus zu tun.»
Cheblis Eltern flohen 1948 aus Palästina in den Libanon und lebten dort 20 Jahre in einem Flüchtlingslager. Dann machte sich der Vater nach Deutschland auf, beantragte Asyl, holte Frau und elf Kinder zu sich. Die heute 40-jährige Sawsan Chebli kam als zwölftes von 13 Kindern in Berlin zur Welt. Als Kind von Analphabeten kämpfte sie sich hoch, machte Abitur, studierte Politik und trat der SPD bei. Zum Shitstorm um ihre Person äusserte sich Chebli denn auch:
Wer von Euch Hatern hat mit 12 Geschwistern in 2 Zimmern gewohnt, auf dem Boden geschlafen&gegessen, am Wochenende Holz gehackt, weil Kohle zu teuer war? Wer musste Monate für Holzbuntstifte warten? Mir sagt keiner, was Armut ist. #Rolex
— Sawsan Chebli (@SawsanChebli) 20. Oktober 2018
Juso-Präsidentin Tamara Funiciello sagt: «Wichtig ist, dass Sozialdemokraten wissen, wie es der Bevölkerung geht, dass sie sich dafür einsetzen, dass alle einen fairen Lohn haben, dass die Produkte unter fairen Bedingungen hergestellt werden und nachhaltig. Ob sie dabei eine Rolex am Handgelenk tragen, ist doch völlig egal.»
Links zu sein bedeute für sie, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen, sagt Funiciello. Ob sie beim Einkaufen nun einen Plastiksack oder einen Stoffsack benutze, mache sie nicht zu einer schlechteren oder besseren Linken. «Solche moralische Fragen blockieren uns. Reden wir über das Relevante.»
(sar)