Mit dem Auto dauert die Fahrt vom Bundeshaus bis nach Lugano ohne Stau etwas mehr als drei Stunden. Zu viel für Ignazio Cassis. Der FDP-Bundesrat nahm im vergangenen Jahr für die Strecke Bern-Lugano oder umgekehrt 13 Mal das Flugzeug. Am Dienstag haben die Departemente ihre aktuellsten Flugdaten veröffentlicht, CH Media hat als Erstes darüber berichtet.
Cassis nutzt den Bundesratsjet so oft, dass dieser auch schon den Übernamen «Taxi Ticino» erhalten hat. Dass er von allen Bundesratsmitgliedern am meisten fliegt, ist mit seinem Amt als Aussenminister zu erklären. Die Inlandflüge – Cassis liess sich regelmässig am Montag vom Tessin nach Bern fliegen – sind eine andere Geschichte.
watson möchte von Parteikollegen des Aussenministers wissen, ob es im Zeitalter des Klimawandels vertretbar ist, im Schnitt einmal pro Monat eine Strecke von rund 300 Autokilometern mit dem Bundesratsjet zu absolvieren. Von mehreren kontaktierten FDP-Parlamentariern möchte sich jedoch niemand zum Flugverhalten von Cassis äussern. Ein Nationalrat sagt: «Ich kann dazu nichts sagen, da müssen Sie Ignazio Cassis selbst fragen.»
Die Anfrage ist bereits erfolgt. Für die Beantwortung mehrerer konkreter Fragen – etwa, ob es angebracht ist, in Zeiten des Klimawandels vom Tessin nach Bern zu fliegen – lässt sich das Aussendepartement rund einen Arbeitstag Zeit. Dann heisst es knapp:
Am Telefon teilt das Aussendepartement zudem mit, der Weg von Arbeits- zu Wohnort betrage im Falle von Ignazio Cassis rund vier Stunden.
SVP-Nationalrat Benjamin Fischer sagt zu Cassis' Inlandflügen: «Ich nehme nicht an, dass die Flüge von Bern nach Lugano und umgekehrt wirklich notwendig waren. Das hat sicher auch mit Bequemlichkeit zu tun.» Ein Skandal sei das Flugverhalten des Aussenministers aber nicht. Dass sich die angefragten FDP-Politiker nicht äussern möchten, sei «schwach».
Fischer sagt jedoch auch, die ganze Debatte rund ums Fliegen sei ohnehin nur Heuchelei.
Tatsächlich scheint die Flugscham auch bei der Schweizer Bevölkerung nicht mehr allzu ausgeprägt zu sein. Vor zwei Wochen hat die Fluggesellschaft Swiss hervorragende Zahlen präsentieren können.
2024 erzielte die Airline 684 Millionen Franken Gewinn, es ist das zweitbeste Ergebnis der Geschichte. Satte 18 Millionen Passagiere hat die Swiss im vergangenen Jahr befördert, knapp 10 Prozent mehr als im Vorjahr.
In diesem Kontext mit dem Finger auf ein Mitglied der Regierung zu zeigen, hält Fischer für «nicht nötig». Es werde auch in der Privatwirtschaft trotz der Option von Online-Meetings in der ganzen Welt herumgeflogen.
Grünen-Nationalrat Balthasar Glättli sagt auf Anfrage: «In Einzelfällen kann es notwendig sein, innerhalb der Schweiz zu fliegen. Es sollte aber sicher nicht zum Normalfall werden, nur um schneller im Wochenende oder in Bern zu sein.»
Zwar hänge die Klimabilanz der Schweiz nicht nur von Flügen der Bundesräte ab. Der CO₂-Ausstoss pro Kopf falle bei Flügen mit Privatjets wie dem Bundesratsjet jedoch viel stärker ins Gewicht als bei einem normalen Linienflug.
Insgesamt, also inklusive Ausland, hat Ignazio Cassis im letzten Jahr 75 Flüge absolviert, knapp die Hälfte davon waren Inlandflüge. Einmal nutzte Cassis den Bundesratsjet, um nach einem Eishockey-Match von Fribourg-Gottéron nach Hause zu fliegen. Hinzu kommen ein Dutzend Flüge mit dem Helikopter.
Am zweitmeisten flog die abtretende Verteidigungsministerin Viola Amherd. Sie kommt auf 66 Flüge mit dem Jet, davon ein Drittel im Inland. Am wenigsten geflogen sind die beiden SVP-Bundesräte. Guy Parmelin (Wohnort Bursins, Waadt) kommt auf 12 Flüge, Albert Rösti (Wohnort Uetendorf, Bern) auf deren 13.
Ich bin seit Jahren in kein Flugzeug mehr gestiegen - nicht aus Scham sondern aus Überzeugung.
Aber wenn jemand Anspruch auf einen Flug hat, dann sicher ein Bundesrat welcher 24/7 on call ist, und nicht Harry Hasler für die Thailandferien oder das Ehepaar Müller für die Namibia-Safari.