Schweiz
Gesellschaft & Politik

Ignazio Cassis: Unser Aussenminister fliegt gern von Bern nach Lugano

Swiss Federal Councillor Ignazio Cassis disembarks the jet of the Swiss Federal Council after his return journey from Jordan to Switzerland, in Bern Belp, on Tuesday, May 15, 2018. (KEYSTONE/Ti-Press/ ...
Ignazio Cassis nutzte den Bundesratsjet im vergangenen Jahr regelmässig.Bild: KEYSTONE/TI-PRESS

«Taxi Ticino» in Zeiten des Klimawandels – Cassis fliegt gern von Bern nach Lugano

19.03.2025, 20:0219.03.2025, 20:02
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Mit dem Auto dauert die Fahrt vom Bundeshaus bis nach Lugano ohne Stau etwas mehr als drei Stunden. Zu viel für Ignazio Cassis. Der FDP-Bundesrat nahm im vergangenen Jahr für die Strecke Bern-Lugano oder umgekehrt 13 Mal das Flugzeug. Am Dienstag haben die Departemente ihre aktuellsten Flugdaten veröffentlicht, CH Media hat als Erstes darüber berichtet.

Cassis nutzt den Bundesratsjet so oft, dass dieser auch schon den Übernamen «Taxi Ticino» erhalten hat. Dass er von allen Bundesratsmitgliedern am meisten fliegt, ist mit seinem Amt als Aussenminister zu erklären. Die Inlandflüge – Cassis liess sich regelmässig am Montag vom Tessin nach Bern fliegen – sind eine andere Geschichte.

watson möchte von Parteikollegen des Aussenministers wissen, ob es im Zeitalter des Klimawandels vertretbar ist, im Schnitt einmal pro Monat eine Strecke von rund 300 Autokilometern mit dem Bundesratsjet zu absolvieren. Von mehreren kontaktierten FDP-Parlamentariern möchte sich jedoch niemand zum Flugverhalten von Cassis äussern. Ein Nationalrat sagt: «Ich kann dazu nichts sagen, da müssen Sie Ignazio Cassis selbst fragen.»

Die Anfrage ist bereits erfolgt. Für die Beantwortung mehrerer konkreter Fragen – etwa, ob es angebracht ist, in Zeiten des Klimawandels vom Tessin nach Bern zu fliegen – lässt sich das Aussendepartement rund einen Arbeitstag Zeit. Dann heisst es knapp:

«Innerhalb der Schweiz reist Bundesrat Cassis in erster Linie mit dem Auto oder dem Zug. Wenn diese Verkehrsmittel aus Termingründen nicht in Frage kommen, wird je nach Strecke, Planung und Wetter auf das Flugzeug oder den Helikopter zurückgegriffen. Dies aber nur in Ausnahmefällen. (...) Die Entscheidung, welche Transportmittel Mitglieder des Bundesrates benutzen möchten, ist abhängig von ihren Agenden und Möglichkeiten. Die Kosten für Flüge mit dem Bundesratsjet werden von der Gruppe Verteidigung übernommen.»

Am Telefon teilt das Aussendepartement zudem mit, der Weg von Arbeits- zu Wohnort betrage im Falle von Ignazio Cassis rund vier Stunden.

Ist es angebracht, von Bern nach Lugano zu fliegen?
An dieser Umfrage haben insgesamt 4195 Personen teilgenommen

Bequemlichkeit und Heuchelei

SVP-Nationalrat Benjamin Fischer sagt zu Cassis' Inlandflügen: «Ich nehme nicht an, dass die Flüge von Bern nach Lugano und umgekehrt wirklich notwendig waren. Das hat sicher auch mit Bequemlichkeit zu tun.» Ein Skandal sei das Flugverhalten des Aussenministers aber nicht. Dass sich die angefragten FDP-Politiker nicht äussern möchten, sei «schwach».

Fischer sagt jedoch auch, die ganze Debatte rund ums Fliegen sei ohnehin nur Heuchelei.

«Es fliegt überhaupt gar niemand weniger. Es gehen Menschen nach London shoppen. Das finde ich jenseits, aber es ist die Realität.»
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SVP-Nationalrat Benjamin Fischer.Bild: keystone

Tatsächlich scheint die Flugscham auch bei der Schweizer Bevölkerung nicht mehr allzu ausgeprägt zu sein. Vor zwei Wochen hat die Fluggesellschaft Swiss hervorragende Zahlen präsentieren können.

Swiss auf Wolke 7

2024 erzielte die Airline 684 Millionen Franken Gewinn, es ist das zweitbeste Ergebnis der Geschichte. Satte 18 Millionen Passagiere hat die Swiss im vergangenen Jahr befördert, knapp 10 Prozent mehr als im Vorjahr.

In diesem Kontext mit dem Finger auf ein Mitglied der Regierung zu zeigen, hält Fischer für «nicht nötig». Es werde auch in der Privatwirtschaft trotz der Option von Online-Meetings in der ganzen Welt herumgeflogen.

«Nicht zum Normalfall werden»

Grünen-Nationalrat Balthasar Glättli sagt auf Anfrage: «In Einzelfällen kann es notwendig sein, innerhalb der Schweiz zu fliegen. Es sollte aber sicher nicht zum Normalfall werden, nur um schneller im Wochenende oder in Bern zu sein.»

Zwar hänge die Klimabilanz der Schweiz nicht nur von Flügen der Bundesräte ab. Der CO₂-Ausstoss pro Kopf falle bei Flügen mit Privatjets wie dem Bundesratsjet jedoch viel stärker ins Gewicht als bei einem normalen Linienflug.

Balthasar Glaettli, president sortant des Verts suisses, reagit lors de l'assemblee des delegues des Verts ce samedi 6 avril 2024 a Renens. (KEYSTONE/Valentin Flauraud)
Grünen-Nationalrat Balthasar Glättli.Bild: keystone

Insgesamt, also inklusive Ausland, hat Ignazio Cassis im letzten Jahr 75 Flüge absolviert, knapp die Hälfte davon waren Inlandflüge. Einmal nutzte Cassis den Bundesratsjet, um nach einem Eishockey-Match von Fribourg-Gottéron nach Hause zu fliegen. Hinzu kommen ein Dutzend Flüge mit dem Helikopter.

Am zweitmeisten flog die abtretende Verteidigungsministerin Viola Amherd. Sie kommt auf 66 Flüge mit dem Jet, davon ein Drittel im Inland. Am wenigsten geflogen sind die beiden SVP-Bundesräte. Guy Parmelin (Wohnort Bursins, Waadt) kommt auf 12 Flüge, Albert Rösti (Wohnort Uetendorf, Bern) auf deren 13.

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124 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Haarspalter
19.03.2025 20:39registriert Oktober 2020
So eine kleinkarierte Bünzli-Diskussion kann jetzt wirklich nur in der biederen und bigotten Schweiz stattfinden!

Ich bin seit Jahren in kein Flugzeug mehr gestiegen - nicht aus Scham sondern aus Überzeugung.

Aber wenn jemand Anspruch auf einen Flug hat, dann sicher ein Bundesrat welcher 24/7 on call ist, und nicht Harry Hasler für die Thailandferien oder das Ehepaar Müller für die Namibia-Safari.
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Firefly
19.03.2025 20:32registriert April 2016
Von Cassis habe ich schon lange nichts mehr gehört. Existiert der überhaupt noch als Bundesrat?
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Fondue
19.03.2025 20:56registriert Januar 2015
Yo, die Alternative wäre wohl mit Auto. (Chauffeur + Bodyguard + BR Limousine + wenns spät wird noch Übernachtungen). Dann lieber schnell mit dem Heli oder Flugzeug. Es muss aber auch irgendwie Sinn ergeben. Einfach aus Freude an einen Match und dann noch spät schnell nach Hause wollen, ist halt nicht so cool.
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