Es war die Zeit der «mutigen Entscheide», wie es die kürzlich abgetretene CVP-Bundesrätin Doris Leuthard formulierte. Nur einmal in der 171-jährigen Geschichte des Bundesstaats waren die Frauen im Bundesrat in der Mehrheit: Während 14 Monaten in den Jahren 2010 und 2011 sassen vier Politikerinnen in der siebenköpfigen Regierung.
Neben Leuthard noch Micheline Calmy-Rey (SP), Eveline Widmer-Schlumpf (BDP) und Simonetta Sommaruga (SP). Just in dieser Ära bekam die Eidgenossenschaft auch erstmals eine Staatssekretärin. Im Februar 2011 wählte der Bundesrat die Diplomatin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch an die Spitze des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco).
Staatssekretäre sind die höchstrangigen Beamten und Diplomaten des Landes. Sie handeln völkerrechtliche Verträge aus, führen die wichtigsten Dossiers und können – im Gegensatz zu den Chefs eines Bundesamts – den Vertretern anderer Länder auf gleicher Stufe begegnen.
Damit unterstützen sie den Bundesrat und bilden quasi die zweite Regierungsebene, ohne aber der Regierung formell anzugehören. Die Staatssekretäre werden deshalb schon mal als «Schatten-Minister» bezeichnet.
Vorreiterin Ineichen-Fleisch führt noch immer das Seco – inzwischen sind die Frauen im erlauchten Kreis der Staatssekretäre jedoch in der Mehrheit. Vier der sechs Schlüsselposten sind in weiblicher Hand, nachdem der Bundesrat soeben Daniela Stoffel zur Staatssekretärin für internationale Finanzfragen ernannt hat.
Dazu kommen Pascale Baeriswyl, seit 2016 Staatssekretärin im Aussendepartement, und Martina Hirayama, seit Kurzem neue Staatssekretärin für Bildung, Forschung und Innovation. Die beiden verbliebenen Männer sind Mario Gattiker, Staatssekretär für Migration, und Roberto Balzaretti, Staatssekretär für europäische Angelegenheiten.
Während die angemessene Vertretung der Frauen im Bundesrat vor jeder Wahl ein grosses Thema ist und für unzählige Schlagzeilen sorgt, haben selbst Bundespolitiker noch nicht Notiz genommen von der Frauenmehrheit in den Staatssekretariaten.
Maya Graf, grüne Nationalrätin und Co-Präsidentin des Frauenverbandes Alliance F, freut sich: «Es ist Normalität geworden, dass Frauen solch wichtige Posten übernehmen.» Immer mehr weibliche Vorbilder in der obersten Führungsriege hätten Signalwirkung, sagt Graf, «sowohl für Mitarbeiterinnen wie auch für Entscheidungsträger beim Bund und in der Wirtschaft».
Als protokollarisch höhergestellte Amtsdirektoren tragen Staatssekretäre ihren Titel vornehmlich, um den Bundesrat bei internationalen Verhandlungen auf höchster Ebene vertreten zu können. Immer dann jedoch, wenn über Regierungsreformen diskutiert wird, kommt die Frage auf, ob die Staatssekretäre die Bundesräte auch bei der Arbeit mit dem Parlament entlasten sollen.
In den 2000er-Jahren scheiterte die Idee einer Zwei-Kreise-Regierung, wonach die Staatssekretäre als «Delegierte Minister» eine politische Funktion übernommen hätten. Bereits 1996 verwarf das Stimmvolk an der Urne den Vorschlag, dem Bundesrat systematisch bis zu zehn Staatssekretäre zur Seite zu stellen. Ein Komitee um SVP-Doyen Christoph Blocher kämpfte vehement dagegen.
Seit 2014 hat der Bundesrat immerhin offiziell die Möglichkeit, Amtschefs für «wichtige Aufgabenbereiche» den Titel «Staatssekretär» zu verleihen. Zuvor gab es keine explizite Gesetzesgrundlage; der Bundesrat schuf die Staatssekretariate meist dann, wenn die Wogen in einem Dossier besonders hoch gingen.
Bereits die beiden ersten Staatssekretariate für die politischen und wirtschaftlichen Aussenbeziehungen gründete er in den 1970er-Jahren vor allem deshalb, weil sich viele Probleme nicht mehr nur innenpolitisch lösen liessen.
Das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen entstand 2010 während des Steuerstreits mit dem Ausland. 2014 wertete der Bundesrat das Migrationsamt zum Staatssekretariat auf, damit dessen Chef Mario Gattiker die Verhandlungen zur Personenfreizügigkeit führen konnte. Und seit 2018 koordiniert Roberto Balzaretti im Range eines Staatssekretärs die Verhandlungen mit der EU. (aargauerzeitung.ch)