In der Schweizer Europapolitik gab es bisher zwei sakrosankte Wahrheiten. Erstens: Christoph Blocher dominiert jede Diskussion darüber. Zweitens: Noch immer geht der bald 77-jährige SVP-Übervater dabei als Sieger vom Feld. Schliesslich gibt es keinen Schweizer Politiker, der zu diesem Thema häufiger debattiert hat als er – und keinen, der es mit soviel Verve tut.
Die erste dieser Wahrheiten bestätigte sich auch in der Arena mit dem Titel «Blocher gegen alle». Die Sendung befasste sich aus Anlass der Wahl des neuen EDA-Chefs Ignazio Cassis mit der Zukunft der Beziehungen zur EU. Der SVP-Strategiechef war ihr Mittelpunkt. Sein Husarenstück – das Verhindern des EWR-Beitritts der Schweiz im Jahr 1992 quasi im Alleingang – wirkt bis heute nach und lenkt die europapolitischen Diskussionen in immer gleiche Bahnen zwischen Öffnung und Abschottung.
Die zweite Wahrheit geriet ins Wanken. Christoph Blocher diskutierte zwar wie üblich beherzt und voller Überzeugung, hatte den einen oder anderen Lacher auf seiner Seite und verwies genüsslich auf die nicht eingetroffenen Untergangsszenarien der EWR-Befürworter von dazumals. Bisweilen aber wirkte er fahrig und verlor den Faden. Als Punktesieger vom Platz gingen am Freitagabend andere.
Moderator Jonas Projer hatte einen denkbar schwierigen Job. Blocher und sein Nebenmann, der parteilose Schaffhauser Ständerat Thomas Minder, hatten die Samthandschuhe zu Hause gelassen. Mithilfe einer symbolischen «Delete»-Taste forderte Minder bereits nach 3 Minuten den Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU. Damit spielte Minder auf den «Reset»-Knopf, den der neue Aussenminister Ignazio Cassis im Bezug auf dieses Abkommen drücken will.
Bei Minder selber hätte im Verlauf der Sendung manchmal eine «Mute»-Taste gute Dienste geleistet. Immer wieder musste ihn Projer dazu ermahnen, anderen nicht ins Wort zu fallen – mit mässigem Erfolg. Noch vor Halbzeit der Sendung sprach Projer die im Nachhinein prophetisch wirkenden Worte: «Es gewinnt nicht automatisch, wer am lautesten ist.»
Erstmals die Zornesröte ins Gesicht trieben Thomas Minder und Christoph Blocher die Aussagen von Publikumsgast Rolf Sonderegger. Der CEO des Winterthurer Sensor-Herstellers Kistler machte unmissverständlich klar: Für ihn als Unternehmer sei eine gute Beziehung mit der EU von überragender Bedeutung, ein Ende der Personenfreizügigkeit nicht akzeptabel und die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) ein Fehler gewesen.
Zuviel des Guten für Blocher und Minder, die Sonderegger von ihren Stehpulten aus in die Mangel nahmen. Der jedoch blieb cool. Als Blocher sagte, er habe als Unternehmer einen Exportanteil von 96 Prozent gehabt und lehne die Personenfreizügigkeit trotzdem ab, konterte Sonderegger: «Ich habe 98 Prozent Exporte.»
Nach diesem Schlagabtausch konnten sich erstmals die als Gegner Blochers eingeladenen Politiker in Szene setzen. GLP-Fraktionschefin Tiana Moser tat dies, indem sie dafür plädierte, die Chancen einer globalisierten Welt zu sehen. «Sie haben einfach Angst vor Veränderung», warf sie Blocher vor.
Die 38-jährige Moser war mit ihrer sachlich-ruhigen Art ein angenehmer Kontrast zu den emotional und lautstark agierenden älteren Herren auf der rechten Seite. Auch wenn ihr Blocher und Minder wiederholt ins Wort fielen, blieb sie souverän und verlangte die nötige Redezeit, um ihre Argumente zu Ende zu bringen.
Ihr Verbündeter, SP-Nationalrat Eric Nussbaumer, wirkte eher belustigt angesichts der zürnenden Volkstribune Blocher und Minder. Er ging im Vergleich zu Moser etwas unter, konnte vereinzelt jedoch seine Fachkenntnisse als langjähriges Mitglied der aussenpolitischen Kommission ausspielen.
Dies gelang zum Teil auch Thomas Minder. Der Vater der «Abzocker-Initiative» hatte dann seine stärksten Momente, wenn er mit Zahlen und Fakten statt mit der Wut im Bauch argumentierte.
Der denkwürdigste Moment des Abends gehörte jedoch Michael Hengartner, Rektor der Universität Zürich. Im Publikum sitzend, war seine erste Wortmeldung zu Beginn der Sendung noch verhalten und von Allgemeinplätzen geprägt.
Er taute auf, als es um die Zukunft des europäischen Studentenaustauschprogramms Erasmus ging. Den Zugang dazu verweigerte die EU der Schweiz als Reaktion auf das Ja zur MEI. Nur durch eine Geldspritze des Bundes und das Aushandeln von über hundert bilateraler Abkommen zwischen Schweizer Universitäten und Hochschulen in der EU konnte eine Übergangslösung gefunden werden – die Schweiz simuliert momentan eine Vollmitgliedschaft am Erasmus-Programm. Biochemiker Hengartner forderte eine Rückkehr zum Status als vollwertiges Mitglied.
Hengartners grosser Moment kam kurz vor Ende der Sendung. Christoph Blocher setzte zu einem Angriff auf die Forschungsgelder an, welche der Schweizer Staat alljährlich ausgibt. Seiner nicht ganz eindeutigen Argumentation zufolge müssten diese jährlichen Ausgaben eigentlich überflüssig sein, wenn die Schweiz so viel Geld aus gemeinsamen europäischen Forschungsmitteln erhalte, wie immer behauptet werde.
Hengartner schleuderte Blocher daraufhin Zahlen zur Wertschöpfung entgegen, welche die jährlichen Ausgaben für Bildung und Forschung generierten: «Wenn Sie meinen, Wissen ist teuer, dann versuchen sie mal Ignoranz.» Für diesen Satz erntete der Rektor den lautesten Applaus des Abends.