Das Milizsystem ist ein Pfeiler der Schweiz, doch er wankt schon seit einiger Zeit bedenklich. Laut einer neuen Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Chur hat jede dritte Schweizer Gemeinde Mühe, ihre Exekutive zu besetzen. Besonders grosse Sorgen bereiten dabei die Jungen: 70 Prozent der Gemeinden haben Probleme, unter 35-Jährige zu rekrutieren. Schweizweit sind derzeit nur gerade 5.6 Prozent der Gemeindepolitiker in diesem Alter.
Der Schweizerische Gemeindeverband hat das Jahr 2019 auch deshalb zum «Jahr der Milizarbeit» ausgerufen. Er will eine Debatte über die Zukunft des Milizsystems anstossen. Die HTW Chur macht 84 Vorschläge, wie man das Milizsystem reformieren und interessanter für junge Menschen machen könnte. Wir haben die 10 wichtigsten zusammengefasst.
Die Gemeinden sollen die Digitalisierung nutzen. Live-Sitzungen per Skype statt ein Treffen im Gemeindehaus, elektronische Beschlussfassung: Technisch sind die Möglichkeiten enorm. Sie können die Anwesenheitszeiten reduzieren und erhöhen die örtliche Flexibilität.
In der Regel kann heute nur Gemeinderat werden, wer auch in der Gemeinde lebt. Am liberalsten gibt sich der Kanton Schwyz: Er kennt keine kommunale Wohnsitzpflicht für Mitglieder der Gemeindeexekutive. Wenn andere Kantone diesem Beispiel folgen, würde das den Kandidatenpool vergrössern.
Eine höhere finanzielle Entschädigung, die Möglichkeit, einen Sabbatical einzulegen, eine Weiterbildung auf Kosten der Gemeinde zu machen oder einen Auslandaufenthalt: Mit solchen Anreizen sollen junge Kandidaten angelockt werden.
Die Belastung durch den Job ist ein zentraler Grund dafür, dass junge Leute vor einem Engagement in der Gemeinde zurückschrecken. Hier stellt die Studie verschiedene Massnahmen zur Diskussion. Das beginnt bei einer Entschädigung für den Arbeitgeber über die Erwerbsersatzordnung (EO), wenn der Arbeitnehmer wegen einer Sitzung fehlt. So, wie das heute etwa beim Militärdienst passiert. Weitere Vorschläge umfassen etwa Sensibilisierungsarbeit bei den Firmen. Oder den Aufbau einer Art Gemeinderats-Kita, damit die Kinder versorgt sind, wenn die jungen Eltern an der Sitzung weilen.
In der Westschweiz ist es heute schon Standard, das Ausländer auf Kantons- und Gemeindeebene nicht nur an Abstimmungen teilnehmen, sondern sich auch wählen lassen dürfen. In der Deutschschweiz ist das noch ganz anders. Ein Wahlrecht für Ausländer könnte die Personalnot der Gemeinden lindern.
Verantwortung und Gestaltungsspielraum als Anreiz: So sieht ein Vorschlag aus. Konkret sollen die Finanzkompetenzen der Gemeinden erhöht werden. Eine solche Erhöhung ist beispielsweise notwendig, wenn die Ausgabenlimiten längere Zeit nicht mehr der Teuerung angepasst worden sind. Und sich so die Finanzkompetenzen von der Exekutive zur Legislative verschoben haben.
Früher galt der Gemeinderat noch etwas, doch das hat sich vielerorts geändert. Die Studienautoren schlagen deshalb vor, das Sozialprestige der Gemeinderäte mit Imagekampagnen zu fördern. Oder die Tätigkeit im Gemeinderat gar in Form eines Zeugnisses anzuerkennen.
Politische Bildung an den Schulen, Besuche der Gemeindeexekutive, Jugendgemeindeversammlungen: Mit solchen Instrumenten soll schon bei jungen Erwachsenen das Interesse an der Gemeindepolitik geweckt werden.
Zum Beispiel mit einer Findungskommission. Oder dem frühzeitigen Aufbau eines Netzwerks von potenziellen Kandidaten.
Der so genannte Bürgerdienst ist eine Idee der Denkfabrik Avenir Suisse. Sie sieht vor, dass Schweizer und niedergelassene Ausländer eine Dienstpflicht zu erfüllen haben, wobei das Einsatzgebiet frei gewählt werden kann. Neben Militär und Zivildienst soll künftig etwa auch ein Einsatz für die kommunale Politik angerechnet werden können. (aargauerzeitung.ch)