Als Markus Seiler, Chef des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB), im November seinen Posten räumte, setzten sich drei alte Freunde zusammen. Sie sagten sich: Wir lassen nicht zu, dass der NDB in falsche Hände gerät. Sie beschlossen: Jeder von uns bewirbt sich.
Das ist die Geschichte, die man sich in Bern erzählt.
Einer aus dem Trio hat es geschafft. Gestern ernannte der Bundesrat auf Antrag von Verteidigungsminister Guy Parmelin (SVP) den Waadtländer Divisionär Jean-Philippe Gaudin (55) per 1. Juli zum neuen Chef des NDB.
Derzeit ist Gaudin Verteidigungsattaché in Paris. Zuvor war er während acht Jahren Chef des Militärnachrichtendienstes. «Er hat langjährige Erfahrung in verschiedenen Bereichen im In- und Ausland. Internationale Kontakte, die er nutzen kann», sagte Parmelin vor den Medien. Gaudin verfüge zwar über «profunde Kenntnisse der Nachrichtendienstwelt». Aber: «Ein grosser Vorteil ist, dass er von aussen kommt.» Von aussen heisst: Gaudin arbeitete nicht beim zuletzt krisenanfälligen NDB, ist also unbelastet.
Für Gaudin ist es Rückkehr und Genugtuung: Der frühere Armeechef André Blattmann, der auf Deutschschweizer setzte, hatte den als offen und direkt geltenden Romand gemäss verschiedenen Quellen nach Paris abgeschoben.
Gaudin, Mann mit militärisch lauter Stimme, sagte gestern: «Für einen Patrioten wie mich ist das ein sehr bewegender Moment.» Allerdings fällt ihm der Wechsel aus dem Militär zum zivilen Nachrichtendienst nicht leicht. «Ich bin seit 32 Jahren Soldat. Nur werde ich den Dienst in den nächsten Jahren ohne meine Uniform ausüben.»
49 Personen – 46 Männer und 3 Frauen – hatten sich laut Parmelin um die Stelle beworben. Zuletzt waren drei Personen auf der Shortlist, und die beiden anderen waren gemäss Beobachtern die eingangs erwähnten Freunde Gaudins: der Neuenburger Polizeikommandant Pascal Luthi und der Walliser Jacques Pitteloud, ehemaliger Nachrichtenkoordinator des Bundes und heutiger EDA-Personalchef. Parmelin entschied sich letztlich für seinen Kantonskollegen. Die beiden kennen sich seit Jahren.
Gaudin bezeichnete sich selbst als «Mann des Operativen». Er kommandierte im Jahr 2000 eine Versorgungseinheit der OSZE in Bosnien-Herzegowina. Das habe ihn geprägt, «Ich hatte riesige Freude am Führen». Und so wollte der Einheitsinstruktor seine Zeit nicht mehr als Ausbildner in Kasernen verbringen. Er absolvierte einen Studienaufenthalt am Nato Defence College in Rom, wurde zunächst Vize-Chef des Militärgeheimdienstes.
«Ich bin kein Mann der Macht, sondern ein Mann der Verantwortung», sagte Gaudin. Die Herausforderung, die er jetzt übernehme, sei «enorm», so die Umsetzung des neuen Nachrichtendienstgesetzes, das dem NDB mehr Schnüffelspielraum gibt. Der Dienst müsse sich ohne Wenn und Aber an die Gesetze halten, betonte Gaudin.
Zu jüngsten Problemen des NDB wie der Spionageaffäre um Daniel Moser und Konsequenzen daraus wollte sich der neue Chef noch nicht äussern. Erst wolle er sich ein Bild machen, sagte Gaudin, der den islamistischen Terror als derzeit grösste Gefahr einstuft. Aber er betonte: «Nachrichtendienst ist ein Metier, das mit viel Demut und Diskretion ausgeübt werden muss.» Der Dienst müsse besser kommunizieren, was er eigentlich tue, und zu Fehlern stehen: «Wir sind nicht Weltmeister, wir können auch Fehler machen.»
Das Wort «Geheimdienst» mag Gaudin nicht: «Wir sind ein Nachrichtendienst.» Auf Nachfrage, ob er als «Mann des Operativen» auch selbst spionieren werde, lacht er: «Ich werde führen, und ich mag das Wort spionieren nicht.» Aber da der NDB «auf allen Stufen Informationen beschaffe», werde er das selbst natürlich auch tun: auf höchster Stufe bei seinen ausländischen Partnern.