Schweiz
Gesellschaft & Politik

Gerhard Andrey und Werner Salzmann spannen für Cybersicherheit zusammen

Coup im Bundeshaus: Grüner und SVP-Mann hebeln den Bundesrat aus

Während sich die Öffentlichkeit über Nachtzüge und Taschenmunition empört, gelingt einem ungleichen Duo ein Husarenstück der laufenden Budgetdebatte. Und bringt den gesamten Nationalrat auf Linie gegen den Bundesrat.
12.12.2025, 12:1512.12.2025, 12:15
Benjamin Rosch / ch media

Diese Geschichte beginnt vor ungefähr einem Jahr im Grossen Salon des Bernerhofs an der Bundesgasse 3. Die damalige Verteidigungsministerin Viola Amherd und Bundeskanzler Viktor Rossi haben eingeladen, um mit Vertretern von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik über die Digitale Schweiz zu diskutieren. In den Wänden des ehemaligen Nobelhotels vertiefen sich der grüne Nationalrat Gerhard Andrey und SVP-Ständerat Werner Salzmann in ein Gespräch über die nationale Cybersicherheit der Schweiz.

Alle 8,5 Minuten trifft im Schnitt beim Bundesamt für Cyber eine neue Meldung ein.
Alle 8,5 Minuten trifft im Schnitt beim Bundesamt für Cyber eine neue Meldung ein.bild: Clemens Laub / VBS

Andrey ist IT-Unternehmer, war einst Sprengkandidat für einen grünen Bundesratssitz und wenn er spricht, dann mit vielen Anglizismen. Salzmann ist Oberst, Ehrenpräsident des Berner Schiesssportverbands und sein letzter Vorstoss trägt den Titel «Sicherheit statt politische Pseudo-Korrektheit».

Die beiden teilen im Parlament wenig Gemeinsamkeiten, doch jetzt sind sie sich in mehreren Punkten einig. Im Misstrauen gegenüber grossen Tech-Konzernen als verlängerter Arm von US-Präsident Donald Trump. In der Überzeugung, dass das Bundesamt für Cybersicherheit zwar gute Arbeit leiste, im Kampf gegen Hackerangriffe gegen zivile Institutionen aber zunehmend auf verlorenem Posten stehe. Und dass es dafür dringend mehr Geld brauche, viel mehr Geld.

Nationalrat Gerhard Andrey, GP-FR, spricht waehrend der Debatte um den Voranschlag 2026 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2027-2029, waehrend der Wintersession der Eidgenoessischen Raete, am D ...
Nationalrat Gerhard Andrey.Bild: KEYSTONE

Alle 8,5 Minuten ein Angriff

Das Bundesamt für Cybersicherheit – kurz BACS – hat eine spezielle Geschichte. Die ehemalige Verteidigungsministerin Viola Amherd hat es per 1. Januar 2024 vom Finanz- ins Verteidigungsdepartement gezügelt, um der Cyberabwehr mehr Gewicht zu geben. Es war ein politisches Manöver ohne finanzielle Schützenhilfe. Gerade einmal 800'000 Franken betrug die Budgeterhöhung.

Im Widerspruch dazu steht die Arbeitslast. In einer Halbjahresbilanz 2024 verzeichnete das Amt doppelt so viele Cyber-Vorfälle wie im Vorjahreszeitraum. Alle 8,5 Minuten trifft im Schnitt eine neue Meldung ein. Darunter betrügerische Telefonanrufe, Phishing-Angriffe und andere Hacker-Attacken. Nicht nur, aber vor allem die Finanzbranche ist bedroht. «Man hat dem BACS Aufgaben gestellt, die es nie erfüllen konnte», sagt Salzmann.

In der Wintersession treffen sich Andrey und Salzmann erneut. Im Bundeshaus-Café «Vallotton» kommt es zum Handschlag, erzählt es Andrey. «Wir beschlossen, im Frühling gleichlautende Motionen in beiden Räten einzureichen.» Darin fordern der Grüne und der SVP-Mann, den Etat des Cyberamts aufzustocken. Um 10 Millionen Franken per 2026, um 15 Millionen Franken für die Folgejahre. Das kommt ungefähr einer Verdoppelung gleich. Wichtig ist dabei der letzte Satz: «Diese zusätzlichen Mittel für das BACS sind innerhalb der IT-Budgets der Armee zu kompensieren.»

Bereits in der Sommersession beugt sich der Ständerat über Salzmanns Vorstoss. Verteidigungsminister Martin Pfister wehrt sich ein erstes Mal vergeblich: Er befürchtet empfindliche Kompensationen bei der Armee und plädiert deshalb für ein Nein. Nur sechs Ständeräte stimmen mit Pfisters Argumentation überein.

Der harsche Brief des Armeechefs

Es folgt der vielleicht letzte Akt des scheidenden Armeechefs. Am 18. September schreibt Thomas Süssli einen geharnischten Brief an die Adresse von Daniel Markwalder, Delegierter des Bundesrats für digitale Transformation. «M365 – Unausgewogenes Kosten-Leistungs-Verhältnis», steht darüber. Der Armeekommandant stemmt sich darin gegen die Softwarelösung von Microsoft. Diese sei für die Gruppe Verteidigung «zu weiten Teilen nicht nutzbar».

Der Grund dafür ist der sogenannte Cloud Act. Dieser besagt, dass US-Behörden wie das FBI oder die CIA auf Daten amerikanischer Firmen zugreifen dürfen, egal von wo auf der Welt diese stammen. Werden also vertrauliche Daten mit M365 bearbeitet, besteht die Gefahr, dass US-Behörden mitlesen.

«Der Grossteil der militärischen Dokumente sind jedoch klassifiziert», schreibt Süssli, «was die Anwendung entscheidend einschränkt». Angesichts des steigenden Drucks auf die Betriebskosten der Armee könne er diese Aufwendungen ohne erkennbaren Nutzen nicht verantworten. Süssli weiss, wovon er schreibt: Er war im Berufsleben jahrelang in der IT-Branche tätig. Der Brief gelangt durch das Öffentlichkeitsgesetz an die «Republik».

Ausgerechnet Pfisters wichtigster Mann entfacht damit eine neue Dynamik um das Amt für Cybersicherheit. «Dieser Brief war ein Steilpass», sagt Andrey. «Plötzlich sahen wir einen Weg, wie die Armee Hand bieten könnte für eine Lösung, von der auch die Zivilgesellschaft profitieren kann.»

Prompt verbinden Andrey und Salzmann die Kompensation beim Militär mit einem konkreten Auftrag. Statt einer Kürzung soll die Armee mit 10 Millionen Franken ihres Budgets mithelfen, an der Open-Source-Alternative zu Microsoft Office zu arbeiten. Die Idee: Das Militär und die zivile Bundesverwaltung sollen gemeinsam an Lösungen arbeiten, von denen nicht nur sie, sondern auch Private profitieren können. «Es ist die geforderte Exit-Strategie des Armeechefs», sagt Andrey. «Das ist ein wichtiger Schritt für mehr digitale Souveränität und Unabhängigkeit der Schweiz».

Werner Salzmann, SVP-BE, vertritt seinen Vorstoss, den Armeeangehoerigen die Taschenmunition wieder nach Hause mitzugeben, an der Wintersession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 3. Dezember 202 ...
Sorgte für Schub im Ständerat: Werner Salzmann, SVP.Bild: KEYSTONE

Die Idee einer verwaltungseigenen Open-Source-Plattform ist nicht ganz neu. Die Bundeskanzlei hat dazu bereits eine Machbarkeitsstudie lanciert. Die Plattform soll als Notfallersatz bei einem möglichen Ausfall von Microsoft 365 dienen, aber auch für die laufende sichere Bearbeitung von Dokumenten mit schützenswerten Inhalten. Als Open-Source-Software soll sie auch Privaten zur Verfügung stehen.

Oder dem Parlamentsbetrieb: Dieser hat jüngst mit Datenschutzleaks für Schlagzeilen gesorgt. Wie diese Zeitung berichtete, wurden auch für die Sicherheit der Schweiz sensible Berichte auf zweifelhafte Weise verschickt.

Keller-Sutter wehrt sich ein letztes Mal

Jetzt geht es schnell. Weil Andrey nicht nur in der Sicherheitspolitischen sondern auch in der Finanzkommission sitzt, speist er die angepasste Forderung in die Budgetdebatte ein. Dass das VBS die zehn Millionen intern kompensieren muss, kommt nun nicht mehr vor – dafür sind sie jetzt zweckgebunden in eine neue Plattform zu investieren.

In beiden Kommissionen des Nationalrats sichert sich Andrey dafür breite Unterstützung. Dabei hilft, dass der Antrag aus so unterschiedlichen Winkeln des Bundeshauses stammt. «Wenn es um die Sicherheit der Schweiz geht, müssen wir fraktionsübergreifend zusammenarbeiten», sagt dazu Salzmann.

Zum Sessionsauftakt peitscht der Berner das Geschäft ohne namhafte Gegenwehr durch den Ständerat. Am darauffolgenden Montag ist Andrey an der Reihe. Im Nationalratssaal wehrt sich Finanzministerin Karin Keller-Sutter ein letztes Mal: Man möge das BACS doch um 7,5 Millionen Franken aufstocken, «aber nicht um 10 Millionen und dann um 15 Millionen». Das sei ein Mittelweg.

Redebedarf: Finanzministerin Karin Keller-Sutter diskutiert mit Grünen-Nationalrat Gerhard Andrey während der Budgetdebatte in der Wintersession.
Redebedarf: Finanzministerin Karin Keller-Sutter diskutiert mit Grünen-Nationalrat Gerhard Andrey während der Budgetdebatte in der Wintersession.bild: Peter Klaunzer

Der Zwischenruf der Schatzmeisterin verhallt ungehört. Eine Fraktionsspitze nach der anderen schreitet zum Rednerpult und spricht sich für das Cyberamt aus. Am Ende bringen Andrey und Salzmann das Kunststück fertig, dass sich der Nationalrat einstimmig gegen den Bundesrat durchsetzt. Der Coup zweier Gegensätze im Bundeshaus: Er ist auf breiter Linie gelungen.

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Die beliebtesten Kommentare
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El_Chorche
12.12.2025 12:29registriert März 2021
Ungewöhnlich gute Nachrichten aus dem Bundeshaus?

Das vermiest mir jetzt grad meine schlechte Stimmung.

Trotzdem, weiter so.
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Sweeney Todd
12.12.2025 12:26registriert September 2018
Und genau darum ist unser politisches System so stark. Bei einem Zweiparteien- oder Koalitionssystem wäre eine solch ungleiche Kooperation nie möglich gewesen. Und wenn man sieht, wie die Armee teils Geld verschwenden kann, dann sind diese paar Milliönchen es im minimum wert.
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baBIELon
12.12.2025 12:34registriert August 2016
gute Sache! Wenn diese Plattform dereinst steht, wäre es wirklich top das für die breite Bevölkerung zu öffnen. Wir müssen uns auf allen Ebenen von den Amis lösen.
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