Zehn Prozent der Frauen in der Schweiz leiden still. Sie alle haben dieselbe Krankheit: Endometriose. Eine von ihnen ist Flawia Visetti. Die 30-jährige Polygrafin erhielt die Diagnose vor rund vier Jahren, nachdem sie 14 Jahre lang unter dieser Krankheit gelitten hatte.
Bei ihr – wie bei vielen anderen Betroffenen – bagatellisierten Fachpersonen die Schmerzen lange. «Etwas stärkere Periodenschmerzen», habe es lange geheissen. Trotzdem suchte Visetti dutzende Spezialistinnen und Gynäkologen auf. Die Schmerzen hätten «psychosomatische Ursachen», habe es dann geheissen.
«Als Teenager hatte ich schon extrem starke Schmerzen und Blutungen. Meine Mutter hat mich damals zum Hausarzt gebracht, aber damals konnte man das nicht einordnen», sagt Visetti im Gespräch mit watson. Das Ganze habe sie verunsichert, weil sie schon in einem jungen Alter – mit 12 Jahren – mit grossen Problemen, stechenden Schmerzen und Migräne konfrontiert war.
Visetti hat die Schmerzen 14 Jahre lang mit Schmerzmedikamenten unterdrückt. Diese sind noch heute ihre ständigen Begleiter: Ohne übersteht sie den Arbeitsalltag während ihrer Periode nicht.
Auch zwischenmenschlich setzte Visetti die Krankheit zu. «Oft musste ich Treffen mit Freunden wegen der Schmerzen absagen. Oder ich konnte nicht zur Schule gehen, weil mir die Energie fehlte.» Aber auch Partnerschaften seien eine Herausforderung, wenn es einem stetig schlechtgehe und man selbst nicht wisse, was man habe.
Visetti plagten jahrelang Selbstzweifel. Von aussen habe es schliesslich immer geheissen: «Da ist nichts.» Ab einem gewissen Punkt glaube man das auch.
Vor vier Jahren wies eine Bekannte Visetti auf die Endometriose hin. Daraufhin suchte sie einen Spezialisten auf. Sie erklärt, dass man sie operieren musste, um in ihrem Fall die Diagnose stellen zu können. Bei der Operation wurden zudem die Wucherungen entfernt. Nach der Operation hatte sie Gewissheit: Visetti hat Endometriose.
«Nur anhand der Ultraschallbilder konnte man bei mir nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, ob es sich um Endometriose handelt», erklärt Visetti. Heutzutage wird nicht in jedem Fall zu einer Operation geraten. Wenn man die Diagnose anders stellen kann, beispielsweise per Ultraschall, MRI oder mit Tastuntersuchungen, werden diese Methoden vorgezogen.
Doch auch nach der Diagnose kam sich Visetti noch immer «verloren» vor. Sie informierte sich im Internet über die Krankheit. Schliesslich liess sich Visetti die Hormonspirale einsetzen. Für sie sei das die passende Option, während andere Betroffene beispielsweise auf Hormonpräparate, jene mit dem Hormon Gestagen wirken bei Endometriose schmerzlindernd, setzen.
Auch entzündungshemmende Schmerzmittel oder andere Therapieformen, wie Komplementärmedizin, helfen Betroffenen oft. Ein Medikament, das Endometriose heilen könnte, existiert bisher nicht.
Seit anderthalb Jahren ist Visetti Mitglied der Schweizerischen Endometriose-Vereinigung «Endo-Help», die bereits mehrere Hundert Mitglieder hat. Die Vereinigung besteht aus verschiedenen Frauen, die Endometriose haben und auf die Krankheit aufmerksam machen wollen. «Das ist auch eine Stütze für uns, weil wir alle ähnliche Erfahrungen gemacht haben», so Visetti. Für mehr Sichtbarkeit starten die Frauen nächste Woche auch die erste «EndoWeek».
«Wir wollen laut werden und die Menschen über die Krankheit aufklären», sagt Visetti. «Denn auch ich habe mich lange Zeit hilflos und alleine mit meiner Krankheit gefühlt. Jetzt kommen immer mehr Leute auf mich zu und sagen mir, dass sie vermuten, ebenfalls betroffen zu sein», fügt sie hinzu.
Visetti begrüsst den Entscheid des Nationalrates, künftig mehr finanzielle Mittel für Endometriose-Forschung freizugeben. Nun muss auch der Ständerat den Entscheid absegnen, bevor weitere Massnahmen ergriffen werden können.
Sie sagt: «Wir benötigen dringend mehr Forschung zu dieser Krankheit, das ist der erste Schritt. Es wird noch lange dauern, bis ein Medikament, welches die Endometriose komplett heilt, auf den Markt kommt. Und vielleicht wird durch diese Forschung endlich eine Erklärung dafür gefunden, wie diese Krankheit überhaupt entsteht.» Für die Betroffenen sei es wichtig, endlich mehr Sichtbarkeit zu erhalten – vor allem auf nationaler Ebene.
Der Bundesrat sieht das anders: Forschungsminister Guy Parmelin beantragte im Namen des Bundesrats die Ablehnung der Motion. Er verwies darauf, dass der Nationalfonds bereits einzelne Forschungsprojekte zur Endometriose oder damit verwandten Themen fördere. Forschende hätten jederzeit die Möglichkeit, weitere Mittel für die Durchführung wissenschaftlicher Projekte zu beantragen. Er erachte es nicht als sinnvoll, das Forschungsthema der Endometriose politisch vorzugeben.
Toll, danke🤦♀️ Als würde es in der geschlechtsspezifischen Medizin und in puncto Frauengesundheit nicht bereits enormen Nachholbedarf geben.
Diagnose ist der Schlüssel zur Reduktion der Gesundheitskosten; Ist anscheinend bei den bürgerlichen Politikern nicht erwünscht.