Kanadas Premierminister Justin Trudeau und unser Neo-Bundesrat Ignazio Cassis haben eines gemeinsam: Beide haben in der heissen Phase ihres Wahlkampfs zugegeben, schon einmal gekifft zu haben. Und beide stehen für eine liberale Drogenpolitik ein. Trudeau macht nun Nägel mit Köpfen: Voraussichtlich ab Mitte Jahr ist der Konsum von Cannabis in Kanada straffrei – allerdings unter strengen Auflagen.
Auch in der Schweiz mehren sich die Stimmen, die darauf drängen, dass die schätzungsweise 300’000 Kiffer im Land entkriminalisiert werden. Im April beginnt der Verein Legalize it, Unterschriften für eine Volksinitiative zu sammeln, die den Konsum und den Anbau von Cannabis für den Eigenbedarf erlauben will.
Parallel dazu berät die zuständige Kommission des Nationalrats voraussichtlich im Sommer erstmals über eine parlamentarische Initiative der Grünen, die ein neues Schweizer Hanfgesetz verlangt. Ziel: Eine umfassende Regulierung – vom Anbau über den Handel und Konsum bis hin zur Besteuerung.
Nun klinken sich auch die Grünliberalen in die Debatte ein. In einem Arbeitspapier, das watson vorliegt, skizziert das parteieigene Politlabor GLP Lab seine Vorstellungen von einer Cannabis-Regulierung. Geht es nach den Autoren, soll die Schweiz auf den «Canadian Way» einschwenken und nach dem Vorbild Trudeaus folgende Massnahmen beschliessen:
Das GLP Lab verkauft seine Idee als typisch schweizerischen Kompromiss. Ziel sei keine vollständige Liberalisierung, wie sie einige US-Bundesstaaten kennen. Stattdessen soll der Fokus auf dem «Gesundheits- und Sicherheitsschutz» liegen, sagt Corina Gredig, Zürcher Gemeinderätin und Leiterin des Politlabors.
Sie hält die repressive Schweizer Drogenpolitik für gescheitert. «Wenn Kanadas Premier Justin Trudeau sagt, dass es für einen Teenager heute einfacher sei, an einen Joint zu kommen als an ein Bier, dann trifft das teilweise auch in der Schweiz zu.» Würde der Staat den Verkauf von Cannabis regeln, könnte der Schwarzmarkt ausgetrocknet und der Jugendschutz verbessert werden, ist Gredig überzeugt.
«Ausserdem wüsste der Konsument, wie stark das Produkt ist, das er raucht – und dass es nicht gestreckt oder Pestizide verunreinigt ist.» Eine Studie der Universität Bern kam vergangenes Jahr zum Schluss, dass wohl die meisten Kiffer in der Schweiz «mikrobiologisch kontaminiertes Material» konsumieren. So war nur eine von zwölf untersuchten Hanf-Proben unbelastet, der Rest enthielt Pestizide oder Schwermetalle wie Chrom, Cobalt, oder Aluminium.
Für das kanadische Modell spricht laut Gredig schliesslich auch, dass es in den einzelnen Bundesstaaten unterschiedliche Handhabungen zulässt. So können Grenzstaaten striktere Regeln erlassen, um so einen Cannabis-Tourismus zu verhindern. «Es passt zur förderalistischen Schweiz, wenn die Kantone hier ebenfalls einen gewissen Handlungsspielraum behalten.»
Zuletzt konnte sich das Schweizer Stimmvolk vor zehn Jahren zur Frage der Cannabislegalisierung äussern. Es erteilte dem straffreien Kiffen mit 63 Prozent Nein-Stimmen eine klare Abfuhr. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass sich die Mehrheiten seither verschoben haben. So kam eine repräsentative Umfrage des Forschungsinstituts GFS-Zürich letzten August zum Schluss, dass zwei Drittel der Bevölkerung eine Aufhebung des Cannabis-Verbots unter bestimmten Bedingungen befürworten würden.
Auch im Parlament geniesst das Anliegen deutlich mehr Rückhalt als noch vor einigen Jahren, wie ein Blick in die Online-Wahlhilfe Smartvote zeigt. 103 der 246 Parlamentarier drückten vor den letzten Wahlen bei der Frage nach der Cannabis-Legalisierung den Button «Ja» oder «eher Ja». Darunter auch zahlreiche Exponenten des bürgerlichen Lagers, etwa die Zürcher SVP-Nationalräte wie Natalie Rickli und Hans-Ueli Vogt – oder eben der heutige FDP-Bundesrat Cassis.
Gredig führt das Umdenken auf die positiven Erfahrungen im Ausland zurück. Zudem werde immer offensichtlicher, dass die repressive Cannabispolitik wirkungslos geblieben sei und nur hohe Kosten verursache. «Eine Cannabissteuer hingegen brächte Steuereinnahmen in dreistelliger Millionenhöhe»
Allerdings sind im Parlament auch die Gegner einer Liberalisierung immer noch stark vertreten. Andrea Geissbühler, Berner SVP-Nationalrätin und Co-Präsidentin des Dachverbands Drogenabstinenz Schweiz, findet es «verwerflich und unverständlich», wenn sich die Befürworter von einer Cannabis-Legalisierung zusätzliche Steuereinnahmen versprechen. Damit setze man nicht nur die Gesundheit der Bürger aufs Spiel, auch die Gesundheitskosten drohten anzusteigen, warnt sie.
Die negativen Folgen des Kiffens, «vor allem auf das Gehirn und die Psyche», würden in der Legalisierungsdebatte ausgeklammert. «Wir sprechen hier nicht nur von einem erhöhten Lungenkrebsrisiko, sondern von der berauschenden Wirkung. So nehmen unter THC-Einfluss die Autounfälle und Gewalttaten erwiesenermassen zu».
Auch dass Minderjährige dank staatlicher Regulierung vom Kiffen abgehalten würden, bezweifelt Geissbühler. «Eine Legalisierung signalisiert, dass eine Substanz harmlos ist.» Zudem funktioniere der Jugendschutz heute schon bei legalen Suchtmitteln wie Alkohol oder Zigaretten schlecht.
Dass auch Kollegen aus den eigenen Reihen mit einer Liberalisierung liebäugeln, kann die SVP-Frau zu einem gewissen Grad nachvollziehen – schliesslich halte man die Eigenverantwortung in der SVP hoch. «Die Sache hat jedoch einen Haken: Im Rausch kann meist nicht mehr eigenverantwortlich gehandelt werden. Und während Drogensüchtige in anderen Ländern auf der Strasse landen, muss in der Schweiz der Sozialstaat diese Leute mit Millionen von Steuergeldern auffangen.»
Wichtig sei, dass die Stimmbürger in der Frage das letzte Wort haben. Geissbühler ist bereit, notfalls in den Kampf zu ziehen – so wie bereits 2008, als sie die Legalisierungsinitiative an vorderster Front bekämpfte.