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Donald Trump gewinnt Wahlen: SP-Politikerin Tamara Funiciello trauert

Tamara Funiciello, SP-BE, und ihre Kolleginnen und Kollegen der SP sitzen hinter "Gleichstellung jetzt!" Plakaten, die sie auf ihren Computern montiert haben, waehrend der ausserordentlichen ...
Tamara Funiciello ist der Kopf des Frauenstreiks in der Schweiz.Bild: KEYSTONE
Interview

«Wegen dieser Wahl werden Frauen sterben. Wegen Trump sterben heute schon Frauen»

SP-Nationalrätin Tamara Funiciello setzt sich seit Beginn ihrer Polit-Karriere für die Gleichstellung von Mann und Frau ein. Für sie ist heute mit Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten ein schwarzer Tag. Mit Folgen für Frauen in der Schweiz. Im Interview sagt sie, warum.
06.11.2024, 12:0506.11.2024, 19:09
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Donald Trump hat die Wahl zum US-Präsidenten gewonnen. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie diese Nachricht heute gehört haben?
Tamara Funiciello:
Ich war erst mal sprachlos. Und bin es teilweise noch immer. Es ist eine Schande! Es ist einfach so schlimm. Donald Trump ist ein verurteilter Sexualstraftäter, ein Mann, der einen Putschversuch unternommen hat, der neofaschistische Tendenzen hat. Und die Leute wählen ihn trotzdem zum Präsidenten.

«Es ist unglaublich, auf welchem Niveau wir uns befinden.»

Und nicht Kamala Harris.
Ja! Es soll mir niemand mehr sagen, so etwas wie Sexismus gibt es nicht. Dieser Wahlkampf hat eklatant gezeigt, mit welchen unterschiedlichen Ellen eine Frau und ein Mann gemessen werden. Bei Kamala Harris hiess es schnell, sie sei in dieser und jener Debatte nicht ganz so stark gewesen. Und Trump? Der hat einmal an einer Rally einfach 40 Minuten lang Musik laufen lassen und dazu getanzt. Es ist unglaublich, auf welchem Niveau wir uns befinden.

Trotzdem haben nachweislich auch viele Frauen Donald Trump gewählt.
Dass Frau-Sein nicht gleichbedeutend mit Feministin-Sein ist, wissen wir inzwischen. Genauso wie Mann-Sein nicht gleichbedeutend ist für Männer, die ein frauenfeindliches System unterstützen.

Was bedeutet aus Ihrer Sicht Trumps Wahl für die Weltpolitik?
Das ist ja das Problem bei Trump. Bei ihm kann alles und nichts passieren. Und dieser Bub bekommt Zugang zu einer Atombombe. Eines ist klar: Die Situation für Minderheiten in den USA, aber auch auf der Welt wird sich massiv verschlechtern.

«Dieser Bub bekommt Zugang zu einer Atombombe.»
Zur Person
Tamara Funiciello ist Co-Präsidentin der SP Frauen Schweiz. Drei Jahre lang präsidierte sie die Juso Schweiz, bis sie 2019 für den Kanton Bern in den Nationalrat gewählt wurde. Sie selbst beschreibt sich als «Feministin von Kopf bis Fuss und Sozialistin mit Leib und Seele». 2019 war sie das Gesicht des Frauenstreiks und nimmt seither jedes Jahr öffentlichkeitswirksam daran teil.
Ihr Einsatz für die Revision des Sexualstrafrechts gilt als Funiciellos bisher längster und härtester Kampf für ein politisches Anliegen. Ursprünglich forderte sie die Einverständnislösung «Ja heisst Ja», also dass sexuelle Handlungen nur dann nicht strafbar sind, wenn alle Beteiligten zustimmen. Schlussendlich kam die Widerspruchslösung «Nein heisst Nein» zustande. Für Funiciello trotzdem ein Erfolg, wie sie sagt.

Und was bedeutet die Wahl für Frauen?
Wegen dieser Wahl werden Frauen sterben. Wegen Trump sterben heute schon Frauen. Er hat das Recht auf Abtreibung gekippt. Er hat im Vorfeld zu diesen Wahlen offen zugegeben, darüber nachzudenken, Frauen den Zugang zu Verhütungsmitteln wie der Pille zu verbieten. Er hat den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan angeordnet. Seinetwegen können Frauen in Afghanistan nicht einmal mehr miteinander sprechen.

Glauben Sie, der Ausgang dieser Wahl wird auch die Schweizer Politik beeinflussen?
Auf jeden Fall. Bereits 2016, als Trump das erste Mal Präsident wurde, waren die Auswirkungen spürbar. Die Polarisierung nahm zu. Die Stimmung verrohte. Unsagbares wurde plötzlich wieder sagbar. Wir dürfen nicht glauben, dass das, was in den USA passiert, nichts mit uns zu tun hat. In unserem Parlament sitzen Leute wie Andreas Glarner, die den Sieg von Trump in aller Öffentlichkeit bejubeln, die dieselbe frauenfeindliche Ideologie haben. Das dürfen wir nicht akzeptieren. Diese US-Wahl sind der Beweis dafür, was wir verlieren, wenn wir aufhören für die Rechte von Frauen zu kämpfen, weil wir glauben, wir sind bereits am Ziel angelangt. Heute dürfen wir trauern. Morgen müssen wir wieder kämpfen.

Wie werden Sie diesen Kampf führen?
In der Schweiz haben wir zum Glück viele Möglichkeiten, uns gegen menschenfeindliche Politik zu wehren. Wir haben Abstimmungen, wir haben Kantons- und Gemeindewahlen, wir können auf die Strasse gehen. Letzteres werde ich am 23. November machen. Dann findet ein Protest gegen Gewalt an Frauen statt. Dort wird die Wahl von Donald Trump ganz sicher Thema sein.

«Heute dürfen wir trauern. Morgen müssen wir wieder kämpfen.»

Gleichzeitig sitzt im Schweizer Bundesrat mit Albert Rösti eine Person, die vergangene Woche öffentlich zugegeben hat, dass sie sich eher Donald Trump als US-Präsident wünscht.
Ja, diese Aussage von Rösti zeigt für mich den massiven Rechtsrutsch, den wir in der Schweiz gemacht haben. Ich verstehe nicht, wie er einen Mann, der die Rechte von Frauen weiter beschneiden möchte und neofaschistische Tendenzen hat, unterstützen kann. Rösti würde mir wahrscheinlich widersprechen und sagen, dass er das damit nicht gemeint habe, als er sagte, er wünsche sich «eher Trump». Aber was hat er denn dann gemeint? Wenn einer wie Trump gewählt wird, bekommen wir das ganze Päckli. Und damit auch die frauenfeindliche Politik. Es kann einfach nicht sein, dass ein Schweizer Bundesrat so etwas unterstützt.

Was wünschen Sie sich vom Bundesrat in den nächsten vier Jahren in Bezug auf die USA?
Ich wünsche mir, dass sich der Bundesrat aktiv für Frauenrechte, Menschenrechte, Frieden, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie einsetzt. Und ich hoffe, das wird er machen.

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334 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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NihonjinYurian
06.11.2024 12:26registriert März 2019
Vielleicht ist diese Argumentationsweise genau der Grund, wieso die Republikaner auch in den USA so massiv gewonnen haben. Wenn man alles halt immer nur auf Identitätspolitik und Geschlechter schiebt, muss man sich nicht wundern, wenn man über das breite Band an Zuspruch verliert (nicht nur in den USA, auch in Europa das gleiche Bild).

Und das sage ich als eher linker Wähler.
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Jazz Guitarero
06.11.2024 12:30registriert September 2021
Ich bin auch konsterniert über das Ergebnis der Wahl, aber nicht überrascht. Was allerdings Frau Funiciello hier vom Stapel lässt, ist auch grenzwertig. Es war immerhin eine demokratische Wahl, und die Amis haben so entschieden. Dass sie nicht mehr den Weltpolizisten spielen wollen ist nachvollziehbar. An der Situation in Afghanistan sind die Taliban verantwortlich und sonst niemand. Trump ist für vieles verantwortlich, dafür aber bestimmt nicht.
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Haarspalter
06.11.2024 12:30registriert Oktober 2020
Die Mehrheit der US-Frauen will es aber offensichtlich genau so.

Sie hätten Harris locker ins Amt bringen können.

US-Frauen ticken offenbar doch nicht so, wie man dies im 21. Jht. erwarten und wünschen würde.

Zurück in die 50er Jahre.
Übrigens auch für die People of Colour.

Eine erstaunliche und verstörende Erkenntnis.
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