Eugenia Senik ist 38 Jahre alt und sitzt in ihrer hellen Wohnung in Basel. Senik hat braune, lockige Haare und ein freundliches Gesicht. Früher war sie Deutschlehrerin. Jetzt kümmert sie sich um ihren einjährigen Sohn, der soeben von der Babysitterin abgeholt wurde. Und sie schreibt als Autorin über den Krieg.
Denn Senik ist eine von fast 60’000 Ukrainerinnen und Ukrainern, die dauerhaft in der Schweiz leben. 2021 zog sie wegen der Liebe nach Basel, ein halbes Jahr später griff Russland die Ukraine an.
Seither schaut sie Nachrichten, wann immer sie Zeit hat, besucht Demonstrationen für die Ukraine und verfolgt den Krieg in ihrer Heimat per Sprachnachrichten. watson hat sie zum Gespräch getroffen.
Frau Senik, vor gut einer Woche kam es in Washington zum Eklat: Donald Trump und sein Vize J.D. Vance stellten den ukrainischen Präsidenten vor laufenden Kameras bloss. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie diese Szenen sahen?
Eugenia Senik: Dieses Gespräch war ein Schlag ins Gesicht. Es war eine Aggression ohne Panzer oder Raketen. Einige, darunter auch ich, hatten vorher noch eine leise Hoffnung, dass Trump die Ukraine militärisch unterstützen würde. In der Ukraine dachte man, dass er in seiner unberechenbaren Art mehr Druck auf Putin ausüben könnte als Biden. Jetzt ist klar: Trump hat mehr Gemeinsamkeit mit Putin als mit Selenskyj und Europa.
Die Ereignisse überschlagen sich seither. Die USA haben Waffenhilfen und den Informationsaustausch eingestellt. Wie reagieren Ihre Bekannten in der Ukraine auf die veränderte Lage?
Ich habe mit vielen Freunden darüber gesprochen, wir waren alle erschüttert. Die Menschen in der Ukraine reagieren unterschiedlich auf die veränderte Situation: Viele hat das Ereignis mobilisiert, um weiterzukämpfen. Einige, zum Beispiel eine Freundin von mir, die ihren Mann an der Front verloren hat und die ihren autistischen Sohn pflegt, haben aber grosse Angst davor, was passiert, wenn prorussische Kräfte an die Macht kommen.
Zu welcher Gruppe gehören Sie?
Nach dem Skandal im Oval Office fühlte ich mich einen Tag lang wie benommen. Danach haben mich viele Nachrichten erreicht, auch von meinen Schweizer Freunden. Sie haben mir geschrieben: «Wir denken an dich, wir sind da und es ist schrecklich, was passiert.» Diese Unterstützung macht mich dankbar, sie zeigt mir, dass die Ukraine nicht alleine ist. Besonders wichtig ist es, nicht nur Stimmen aus der ukrainischen Diaspora zu hören, sondern auch Menschen in Europa, die sich dazu äussern.
Warum ist das besonders wichtig?
Es hat eine andere Wirkung, wenn Menschen aus der Schweiz ihre Stimme erheben und sagen: Nein, nicht Selenskyj ist der Diktator und die Ukraine hat auch nicht den Krieg angefangen. Es ist wichtig, dass die Leute verstehen: Falls prorussische Kräfte an die Macht kommen, werden Menschen mit einer klaren proukrainischen Haltung vergewaltigt, gefoltert und getötet, wie wir es in den Städten gesehen haben, die besetzt und dann befreit wurden. Ich und viele andere sehen es so: Wenn man jetzt einen Frieden nach Trumps Vorstellungen unterzeichnet, wird Putin in ein paar Jahren mit neuen Kräften zurückkommen.
Sie wissen aus eigener Erfahrung, wie es ist, wenn Russland angreift. Sie stammen aus dem Donbass, Russland besetzte diese Region bereits 2014. Wie erlebten Sie diese Zeit?
Ich bin in Luhansk aufgewachsen, für mich begann der Krieg bereits 2014. Ich lebte damals zwar in der Westukraine, aber meine Eltern waren noch im Donbass. Meine Mutter floh zu mir, mein Vater wollte nicht weg. Ich habe durch den Krieg den Ort meiner Kindheit, mein Zuhause, verloren. Auch meinen Vater habe ich seither nie mehr gesehen, wir konnten nicht zu ihm, blieben aber telefonisch in Kontakt. Er ist während der Coronapandemie verstorben, er war krank, aber wir werden nie wissen, was mit ihm passiert ist. Den Schock, den viele Menschen in der Ukraine 2022 erlebt haben, durchlebte ich 2014. Damals fühlte es sich so an, als würde man jede Stütze verlieren, die einen hält. Das Bild, das ich von der Welt hatte, ist seither nicht mehr dasselbe.
Wie hat der Krieg Sie verändert?
Früher dachte ich, wenn ich nett zu den Menschen bin, dann sind sie auch nett zu mir. Heute weiss ich, dass das naiv ist. Ich kann nett zu meinem Nachbarn sein und er greift mich trotzdem an. Es dauerte mehrere Jahre, bis ich begriff, wie ich weiter in dieser Welt leben konnte, ich war wie gelähmt. Als Russland 2022 den Angriffskrieg gegen die Ukraine startete, war ich mental stärker darauf vorbereitet.
Sie stehen mit Ihrer Schwester und Bekannten in der Ukraine in engem Kontakt. Wie beeinflusst der Krieg Ihren Alltag in der Schweiz?
Meine Schwester ist in Sumy, das ist momentan ein gefährliches Gebiet im Nordosten der Ukraine. Manchmal schickt sie mir Sprachnachrichten. Sie nimmt auf, wie die Drohnen fliegen oder wenn Bomben fallen. Kürzlich schickte sie mir eine Sprachnachricht, als eine Drohne in Richtung ihres Hauses geflogen ist, ich hörte sie schreien. Es ist erschreckend, diese Aufnahmen zu hören.
Die Nachrichten aus dem Kriegsgebiet erreichen Sie in Ihrer Wohnung in Basel, Sie sind in Sicherheit. Wie halten Sie diesen Kontrast aus?
Physisch lebe ich zwar hier in dieser friedlichen Umgebung, aber manchmal denke ich, ich könnte genauso gut in einer Wohnung in Kiew sein. Denn der Krieg ist auch hier immer in meinen Gedanken: tagsüber durch die Nachrichten, nachts in meinen Träumen. Nur den Alarm und die Explosionen höre ich nicht. Früher habe ich mich deswegen schuldig gefühlt. Heute weiss ich, dass Schuld mich nicht weiterbringt. Obwohl das manchmal so dargestellt wird: Es gibt keinen Graben zwischen denen, die geblieben sind, und denen, die gegangen sind. Beide sind aufeinander angewiesen.
Inwiefern?
Meine Freundinnen und Freunde in der Ukraine brauchen das Gefühl, dass man sie nicht vergisst. Und ich brauche das Gefühl, dass ich mit meinem Land und mit den Menschen, die mir nahe stehen, in Kontakt bin. Ich brauche diesen Kontakt genauso wie sie. Gleichzeitig unterstützen mein Mann und ich Freundinnen und Freunde in der Ukraine finanziell und spenden an verschiedene Organisationen.
Der Krieg dauert bereits drei Jahre an und die weltpolitischen Ereignisse der vergangenen Wochen stimmen nicht unbedingt optimistisch. Wie behalten Sie in dieser Situation dennoch die Hoffnung?
Hoffnung ist das Einzige, was bleibt. Und ohne Hoffnung kann man nicht weiterkämpfen. Die Hoffnung von uns Ukrainerinnen und Ukrainern hat sich nun aber stärker auf Europa verschoben. Dass Europa versteht, dass wir uns jetzt einigen müssen. Denn wir haben es bereits nach 2014 gesehen: Die Krim und der Donbass waren nicht genug, Putin hat weitergemacht.
Die Schweiz hat sich bisher nicht als grösste Unterstützerin der Ukraine hervorgetan. Sind Sie von Ihrer Wahlheimat enttäuscht?
Die Schweiz hat viele Flüchtlinge aufgenommen, dafür bin ich unendlich dankbar. Aber in der Ukraine leben immer noch 40 Millionen Menschen – ist man auch bereit, diese aufzunehmen? Ich verstehe, dass man sich in der Schweiz wegen des Krieges weniger sorgt als in Polen oder in den baltischen Staaten, man fühlt sich hier sicherer. Ich bin keine Politikerin oder Expertin, ich weiss nicht, wie und ob die Schweiz die Ukraine beim Kämpfen unterstützen kann. Mir ist bewusst, dass die Schweiz die Ukraine teilweise unterstützt, zum Beispiel durch UN-Resolutionen gegen Russland oder humanitäre Hilfe. Aber das ist einfach nicht genug. Es braucht mehr Unterstützung sowie starke, eindeutige Stimmen.
Was wünschen Sie sich konkret von der Schweizer Regierung?
Vor allem eine proaktive Positionierung. Dass sie sich hinstellt und laut sagt: Was Trump macht, ist nicht in Ordnung und wir sind bereit, die Ukraine zu unterstützen. Dafür braucht es aber auch Stimmen aus der Bevölkerung. Manchmal habe ich das Gefühl, den Menschen in Europa und insbesondere in der Schweiz ist nicht bewusst, wie stark sie eigentlich sind.
Sie sind vor einem Jahr Mutter eines Sohnes geworden. Wie hat sich Ihr Blick auf den Krieg damit verändert?
Ich weine häufiger. Und ich fühle eine starke Verantwortung für ihn, aber auch für die Welt, in die wir ihn gebracht haben. Mein Sohn zeigt mir, dass ich nicht wegschauen darf, auch wenn ich in der Schweiz bin. Ich kämpfe mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, mit Worten und Demonstrationen und finanziell, damit er diesen Krieg nicht erleben muss. Wenn dieser Krieg nicht zu Ende geht, könnte es sein, dass auch mein Sohn eines Tages in den Kampf zieht. Mir ist klar geworden: Man kann nicht mehr passiv bleiben, weil sonst unsere Kinder kämpfen müssen. Und das ist das Letzte, was Eltern für ihr Kind wollen, ob in der Ukraine oder in der Schweiz.
Der Bundesrat hat dies mit dem dürren Communiqué bestätigt. Vor ein paar Tagen gab es einen hier auf Watson einen Artikel, den die Schweiz als parasitärer dargestellt hat. Leider ist dies die Wahrheit. Die Schweizer Politiker verstecken sich hinter der Neutralität und hoffen dadurch alle zu beschwichtigen, damit das Geschäftemachen mit allen involvierten Akteuren nicht gestört wird.
Der Auftritt der offiziellen Schweiz in Sache Ukraine ist eine Schande.
"Da war diese eine Ukrainerin, lief im Laden am Telephon die längste Zeit auf und ab. Ich und meine Chefin haben sie misstrauisch überwacht"
Ich: "Ja gut, eventuell ist ihr Mann an der Front und hat grad Strom für ein Telephon. Würdest Du nicht abnehmen? Ich glaube Du hast keine Vorstellung von Krieg"
"Dochdoch, sicher. Aber die kann doch nicht im Laden telefonieren und so nervös hin und her rennen?"
Ich: "ok, Du hast keine Vorstellung"
(War natürlich etwas ausführlicher, aber Zeichen)
Leider fehlt dieses Bewusstsein vielen
ENDLICH
WAFFEN!!!