Drei Jahre nach Beginn des russischen Überfalls sieht es für die Ukraine düster aus. An der Front stehen die Streitkräfte unter enormem Druck. Kiew tut sich schwer damit, Soldaten zu mobilisieren. Gleichzeitig finden Luftangriffe auf die Energie-Infrastruktur und andere Ziele statt, mit denen der Aggressor die Zivilbevölkerung zermürben will.
Und als wäre die militärische Lage nicht belastend genug, mussten die Ukrainer in den letzten Tagen erleben, wie ihnen ihr bislang wichtigster Verbündeter eiskalt in den Rücken fällt. US-Präsident Donald Trump beschimpft den ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj als «Diktator» und strebt über dessen Kopf ein Abkommen mit Russland an.
Der «Verrat» der USA hat die Ukraine und Europa auf dem falschen Fuss erwischt. Sie tun sich schwer mit einer Reaktion. Trump aber scheint den «Kuschelkurs» mit Wladimir Putin durchziehen zu wollen. Das zeigte sich beim Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und anhand der moskaufreundlichen US-Resolution im UNO-Sicherheitsrat.
Trump möchte der Ukraine ein Rohstoff-Abkommen «abpressen» und den Krieg «innerhalb von Wochen» beenden, wie er nach dem Treffen mit Macron sagte. Für den US-Präsidenten geht es um Grundsätzliches: «Ich mache Deals. Mein ganzes Leben besteht aus Deals.» Fragt sich nur, ob Putin wirklich dazu bereit ist. Und was ein solcher Deal wert wäre.
Im russischen Staatsfernsehen deutete der Machthaber am Montag eine gewisse Bereitschaft an, indem er amerikanischen Unternehmen seinerseits die gemeinsame Ausbeutung von Rohstoffen wie seltenen Erden anbot. Dabei schloss er die «neuen Territorien», also die der Ukraine entrissenen Gebiete, ausdrücklich ein.
Zu einem möglichen Kriegsende äusserte sich Putin zurückhaltend. Beim Treffen der Aussenminister letzte Woche in Saudi-Arabien habe man sich darauf geeinigt, die «Ukraine-Krise» weiterzuverfolgen. Bei genauer Betrachtung gibt es durchaus Gründe, warum auch die Russen zumindest an einem «Einfrieren» des Konflikts interessiert sein könnten:
Russlands Wirtschaft geht es prächtig, und die westlichen Sanktionen sind ein Flop. So lautet ein von «Putin-Verstehern» verbreitetes Narrativ. In Wirklichkeit sieht es keineswegs rosig aus. Der «Erfolg» basiert in erster Linie auf der Umstellung auf Kriegswirtschaft und dem Arbeitskräftemangel, auch wegen der Massenflucht hunderttausender junger Russinnen und Russen.
Der Preis dafür ist hoch. Der durch Öl- und Gasverkäufe einst üppig gefüllte Staatsfonds ist weitgehend leer. Die Inflation beträgt offiziell knapp 10 Prozent, in Wirklichkeit dürfte sie rund dreimal so hoch sein. Die Zentralbank hat den Leitzins auf 21 Prozent erhöht, was Investitionen abwürgt. Trotz Teuerungsausgleich sinkt der Lebensstandard vieler Menschen.
Der Ökonom Andrei Jakowlew, der im März 2022 in den Westen emigrierte und heute an der Freien Universität Berlin tätig ist, hält einen Kollaps der russischen Wirtschaft für möglich, wie er im NZZ-Interview sagte. Alles hänge von den finanziellen Möglichkeiten des Staates ab, und noch immer verkauft Russland viel Öl und Gas, selbst nach Europa.
Doch ewig könne sich Moskau die Umverteilung begrenzter Ressourcen in unproduktive Bereiche wie die Rüstungsindustrie nicht leisten, zeigte sich Oleg Wjugin, ein ehemaliger Vizechef der russischen Zentralbank, gegenüber Reuters überzeugt: «Aus wirtschaftlichen Gründen ist Russland an einer diplomatischen Lösung des Konflikts interessiert.»
Aus NATO-Kreisen hört man immer wieder Warnungen, Russland werde nach der Ukraine neue Ziele ins Visier nehmen, etwa die baltischen Staaten. An der Ostsee nimmt man die Bedrohung ernst, auch aufgrund mutmasslicher Sabotage an Unterseekabeln. Länder wie Polen, Estland und Finnland geben im Vergleich besonders viel Geld für Verteidigung aus.
Wie konkret aber ist die Bedrohung? Russland führt in der Ukraine einen Zermürbungskrieg mit hohen Verlusten an Mensch und Material. Für die Rekrutierung von Soldaten muss Putin immer höhere Prämien anbieten. Und seit Kriegsbeginn hat Russland laut dem ZDF in der Ukraine mehr Panzer verloren, als der gesamte aktive Bestand im Februar 2022 umfasste.
Zwar produzieren die Fabriken fleissig Nachschub, sie liefern pro Monat bis 120 Panzer an die Front. Doch höchstens 20 sind neue Modelle, der Rest sind aufgemotzte Sowjetpanzer. Westliche Beobachter halten einen Grossangriff auf NATO-Länder aus solchen Gründen für unwahrscheinlich. Doch mit der hybriden Kriegsführung hat Russland weitere Möglichkeiten.
Und mit einem konkreten Szenario könnte Putin den Westen provozieren. Er könnte die russische Armee in die estnische Grenzstadt Narwa einmarschieren lassen. Sie wird zu rund 95 Prozent von ethnischen Russen bewohnt. Längst nicht alle sind kremlfreundlich, aber eine solche «Invasion» wäre der ultimative Test für die NATO-Beistandsverpflichtung.
Trotzdem könnte Putin einen Ukraine-Deal anstreben. Kyrylo Budanow, der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, kennt offenbar die strategische Planung der Russischen Föderation bis 2045. Demnach müsse Russland bis 2026 den Konflikt lösen, sonst verliere es «definitiv» die Möglichkeit, «in naher Zukunft eine Supermacht oder nur eine regionale Führungsmacht zu werden», sagte er laut ukrainischen Medien.
Putin ist ein miserabler Schachspieler, aber pokern kann er. Und vor allem versteht er es, Donald Trump um den Finger zu wickeln, ob mit «Kompromat» oder weil er die Schwäche des US-Präsidenten für starke Männer ausnutzt. Ein Deal «innerhalb von Wochen» ist möglich, aber die russische Bedrohung für Europa wird nicht verschwinden.
Weiss man bei Putin schon länger.
Selbiges gilt auch für the USA, für die nächsten 4 Jahre.
Geduld und Weitblick sind aber definitiv nicht seine Kernkompetenzen.
Hmm … und es kommt eine neue Bedrohung hinzu.