Der Appenzeller Fabio Zgraggen ist Mitgründer der humanitären Piloteninitiative. Seine Mission: Dem Sterben vor der europäischen Küste nicht länger zuzuschauen. Im Sommer 2016 flog er mit seinem Team den ersten Seenotrettungsflug über dem Mittelmeer. Doch nun stellen sich dem 33-Jährigen die maltesischen Behörden in den Weg. Sie hindern den Piloten an weiteren Rettungsflügen.
Fabio Zgraggen, Ihrer humanitären
Piloteninitiative wurde die Startbewilligung für Rettungsflüge vor
der libyschen Küste entzogen. Warum?
Fabio Zgraggen: Das kam von einem Tag
auf den nächsten und ohne eine Erklärung. Zwei Jahre lang konnten
wir unsere Suchaktionen vor der libyschen Küste problemlos
durchführen. Vor zwei Wochen intervenierte die maltesische Behörde.
Woher rührt das
plötzliche Umdenken?
Darüber können wir nur spekulieren.
Ich vermute aber, dass politischer Druck dahinter steckt.
Worauf stützen sich die Malteser in
ihrem Entscheid?
In einem Brief schreiben die Behörden,
Such- und Rettungsflüge würden nicht bewilligt, sofern es dafür
keine Aufforderung von Malta oder Italien gibt. Das Absurde daran
ist, dass es für solche Rettungsflüge gar keine Bewilligung
braucht. Wir sind privat organisiert und finanziert. Wir brauchen
keine Aufforderung von einem Land für unsere Einsätze.
Also handelt die maltesische Behörde
unrechtmässig?
Aus unserer Sicht schon. Wir besitzen
sämtliche nötigen Papiere, haben ausgebildete Piloten und erfüllen alle
Anforderungen, um unser Flugzeug zu betreiben. Von den Behörden
haben wir Antworten gefordert, doch wir werden total abgeblockt. Man
kommuniziert nicht mit uns.
Tun Sie etwas gegen den Entzug der
Startbewilligung?
Wir haben einen Anwalt eingeschaltet.
Seit zwei Wochen fliegen Sie also
keine Einsätze mehr im Mittelmeer. Hat das Konsequenzen für die
Situation vor der libyschen Küste?
Ein grosses Problem ist, dass nun
niemand mehr weiss, was dort passiert. Es entsteht ein riesiger
blinder Fleck auf dem Meer. Das Einzige, das wir beobachten können, ist, wie die Zahl der Toten ansteigt. Und das massiv.
Was heisst das?
Die internationale Organisation für Migration zählte im Juni auf der zentralen Mittelmeerroute bereits 564 Tote. In
den Vormonaten waren es zwischen zehn und zwanzig Toten.
Vor etwas mehr als einem Jahr
konnte ich mit den humanitären Piloten mitfliegen und war bei
mehreren Such- und Rettungsaktionen vor der libyschen Küste dabei.
Was hat sich seither an der Situation auf dem Mittelmeer
verändert?
Die Situation unten im Wasser hat sich massiv
verändert. Die italienische Küstenwache hat sich komplett
zurückgezogen, die Schiffe von Nichtregierungsorganisationen dürfen zum Teil nicht mehr auf Rettungsmission gehen und werden im Hafen blockiert. Auf der anderen Seite dürfen die wenigen Schiffe, die vor Ort noch retten, nicht mehr in den
italienischen Häfen anlegen. Das Schiff der NGO «Open Arms» beispielsweise musste bis nach Spanien fahren, um die geretteten
Personen abzuladen. So verstreicht wertvolle Zeit – Zeit, in der
Menschen ertrinken.
Die NGOs, die im Mittelmeer agieren, gerieten in der
Vergangenheit zunehmend in die Kritik. Ihnen wurde vorgeworfen, ein
Pull-Faktor zu sein, der die Flüchtlinge auf das gefährliche Meer
treibt.
Die Zahlen der ertrunkenen Menschen vom
letzten Monat sind die traurige Bestätigung, dass das nicht
stimmt. Die Leute steigen in die Boote wegen der Situation in ihren
Ländern und der Situation in Libyen. Sie steigen in die Boote, weil
sie keine andere Option haben. Und jetzt liess man sie voll ins
Messer laufen.
Sie klingen wütend.
Es macht
mich tatsächlich wütend. Momentan werden wir daran gehindert,
Menschenleben zu retten. Es ist, als würde ein Rettungsfahrzeug
nicht zu einem Unfall gelassen. In der Schweiz wäre das eine
strafbare Handlung.
Sie schätzen das Verhalten der
Behörden als strafbar ein?
Diese Frage müsste ein Gericht
beurteilen. Was ich dazu sagen kann, ist: Momentan werden aktiv
Rettungskapazitäten zurückgehalten, die in den letzten Jahren einen
unglaublichen Job geleistet haben und so die Zahl der Toten massiv
eindämmen konnten. Dass jetzt mehr Menschen sterben, sehe ich als Folge des Verhaltens der Behörden.
Muss jetzt die libysche Küstenwache
aufgestockt werden?
Sie bekommt dieser Tage ja bereits
sieben neuen Patrouillenboote von der italienischen Regierung. Doch
ich möchte auf die humanitäre Situation in Libyen aufmerksam
machen, die nach wie vor schlimm ist. Flüchtlinge nach Libyen
zurückzuschaffen, verstösst gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Eine
Aufstockung der libyschen Küstenwache ist also nicht in unserem
Interesse.
Sie standen in den vergangenen
Jahren pausenlos im Einsatz mit Ihrem Flugzeug über dem Mittelmeer.
Wie geht es Ihnen jetzt dabei, tatenlos herumzusitzen?
Von
früheren Rettungseinsätzen weiss ich, wie es aussieht, wenn die
Hilfe zu spät kommt. Ich kann mir also im Ansatz vorstellen, was für
Szenen sich gerade dort auf dem Meer abspielen. Das macht mich
unglaublich betroffen.
Wie geht es jetzt weiter?
Wir setzen alles daran, so schnell wie möglich wieder in die Luft
zu kommen. Wir ziehen auch andere Standorte in Erwägung. Solange wir
Menschenleben retten können, wollen wir weiterfliegen. Doch etwas
möchte ich hier noch anfügen: Die beste Luftaufklärung nützt
nichts, wenn die Rettung unten auf dem Meer fehlt. Es ist ein ganzes
System, das derzeit umgestellt wird. Das muss aufgehalten werden.