Es herrschen hochsommerliche Temperaturen in Washington – und auch in der Schweizer Botschaft: Die Klimaanlage funktioniere gerade nicht, sagt Martin Dahinden, als wir ihn in seinem Büro zum Interview treffen, das dann ziemlich schweisstreibend wird.
Seit vier Jahren vertritt er die Schweiz in der Hauptstadt der USA. Normalerweise ziehen Botschafter nach dieser Zeit weiter, doch der 63-Jährige bleibt länger, bis zu seiner Pensionierung in der zweiten Jahreshälfte 2019. Dahinden ist kein staubtrockener Diplomat und hat auch ganz andere Talente: Kochen und Kulinarik sind seine Leidenschaft.
Gibt es Ihr Buch «Schweizer Küchengeheimnisse» eigentlich auch auf Englisch?
Martin Dahinden: Ich bin daran, es zu übersetzen, das wird dann eine Art Abschiedsgeschenk. Es wird vor allem Geschichten enthalten, die für Amerikaner interessant sind.
Zum Beispiel?
Sie handeln von Schweizern, die in den USA Geschichte geschrieben haben – beispielsweise von Oscar von Waldorf, dem ersten Koch des Waldorf Astoria, oder von Henry Haller, der unter fünf Präsidenten Chefkoch im Weissen Haus war.
Was tischen Sie Ihren Gästen in der Botschaft auf?
Einerseits die traditionelle Schweizer Küche wie Raclette, Fondue oder Rösti. Das erwartet man von uns. Andererseits möchte ich den Gästen zeigen, dass unser Land sehr innovativ ist, auch in der Kulinarik. Darum gibt's oft Ausgefalleneres. Schweizer waren in vielerlei Hinsicht Pioniere: Julius Maggi hat den Brühwürfel erfunden, die Delmonicos aus dem Tessin gründeten in New York das erste Luxusrestaurant und führten die «Haute Cuisine» ein.
Und wenn Sie für Donald Trump kochen müssten?
Da würde ich ein Menü von César Ritz kochen. Der Schweizer Hotel-Pionier erfand das Franchising-System in der Hotellerie. Ritz hat als erster gemerkt, dass es ein Geschäft sein kann, Hotels nicht selber zu besitzen, sondern Business-Modelle zu verkaufen. Ein erfolgreicher Unternehmer: Ich glaube, das würde den US-Präsidenten interessieren. Ich merke, dass man Amerikanern über solche Storys die Schweiz, unseren Pioniergeist und die Internationalität sehr gut vermitteln kann.
In den USA haben zurzeit nicht Kochbücher Konjunktur, sondern Bücher, die sich über den Zustand der US-Demokratie Sorgen machen. Sie tragen Titel wie «How Democracies Die» oder «Can It Happen here». Teilen Sie diese Sorgen?
Ich schaue mir diese Literatur natürlich an, sie gehört zur öffentlichen Debatte. Ich habe aber grosses Vertrauen in die amerikanischen Institutionen. Sie haben schon vieles überstanden, seit die Verfassung 1789 in Kraft trat – auch zwei Weltkriege. Die US-Institutionen sind derart solide, dass sie die aktuellen Spannungen aushalten.
Aushalten ist das eine. Aber sind die USA als Demokratie noch ein Vorbild, so wie sie das für den Schweizer Bundesstaat und unsere Verfassung von 1848 waren?
Nicht, was das politische Tagesgeschäft angeht. Die Polarisierung in den USA ist ausgeprägt, in einem Ausmass, wie ich es zuvor noch nicht beobachtet habe. Aber wenn man sich auf die Grundelemente der US-Demokratie bezieht, dann ist sie nach wie vor vorbildlich: Ein starker Rechtsstaat mit Checks and Balances, eine liberale Wirtschaftsordnung und Werte, die den Schweizer Werten durchaus ähnlich sind.
Von aussen betrachtet, ist es zwischen den USA und der Schweiz zurzeit ausgesprochen ruhig. Vor 20 Jahren trat der damalige Botschafter Carlo Jagmetti zurück, weil er im Zusammenhang mit nachrichtenlosen jüdischen Vermögen von einem «Krieg» der USA gegen die Schweiz gesprochen hatte. Sind Bank- und Steueraffären nun überwunden?
Wir hatten schwierige Zeiten. Es gab auch noch Konflikte um Steuern und Bankgeheimnis, als ich 2014 hier anfing. Inzwischen hat sich die Lage entspannt, obwohl es bezüglich einzelner Finanzinstitute noch einzelne offene Verfahren gibt. Die Schweiz als Ganzes ist keine Zielscheibe der USA mehr.
Die Zölle, die Trump auf Stahl und Aluminium plant, treffen in einem kleinen Ausmass auch die Schweiz.
Ja. Aber sie sind nicht spezifisch gegen unser Land gerichtet, sondern gelten generell. Wie andere Staaten versucht auch die Schweiz, eine Ausnahme zu erwirken. Wir haben bei den US-Behörden ein Gesuch eingereicht und begründet, warum die Schweiz von den Zöllen ausgenommen werden sollte. Bundesrat Johann Schneider-Ammann hat bei seinem Besuch im US-Handelsministerium dieses Anliegen persönlich vorgebracht.
Zur besonderen Beziehung der Schweiz zu den USA gehört, dass sie die Interessen der Vereinigten Staaten im Iran vertritt. Donald Trump hat vergangene Woche angekündigt, das Atomabkommen mit dem Iran aufzulösen. Beeinträchtigt dieser Schritt das Schweizer Schutzmandat?
Wir bekamen dieses Mandat 1980, als die USA die diplomatischen Beziehungen zum Iran abgebrochen haben. Dieses Mandat macht unseren Austausch mit den USA intensiver, was in vielerlei Hinsicht wertvoll ist. Dass unsere Dienste geschätzt werden, sah man insbesondere bei der Freilassung von amerikanischen Geiseln vor zwei Jahren. Die Schweiz befürwortet das Atomabkommen nach wie vor. Der Rückzug der Amerikaner ändert nichts an unserem Mandat, denn es gibt weiterhin keine diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Iran.
Warum hat die Schweiz als neutrales Land überhaupt eine Haltung zum Atomabkommen? Ist das nicht eine Sache der USA und des Iran?
Wir wollen den Amerikanern nicht vorschreiben, was sie tun oder lassen sollen. Aber es handelt sich um ein Abkommen zwischen den ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrats, Deutschland, der EU und dem Iran, und da unterstützen wir die Haltung des UNO-Sicherheitsrats. Das Nuklearabkommen ist ein bedeutendes Non-Proliferations-Abkommen, dessen Abschluss von der Schweiz begrüsst wurde und für dessen volle Umsetzung sie sich einsetzt.
Das andere grosse diplomatische Thema ist die Korea-Frage. Man hat darüber spekuliert, dass das Treffen zwischen Trump und Nordkoreas Diktator Kim Jong Un in der Schweiz stattfinden könnte. Offenbar kommt nun Singapur zum Zug. Bedauern Sie das?
Die Schweiz ist bereit, wenn es gewünscht ist, solche Treffen zu beherbergen. Das wissen die Akteure, zugleich wollen wir uns nie aufdrängen. Die Diskussionen darüber, wo man sich trifft, laufen direkt zwischen den verhandelnden Ländern. Die Schweiz war auf einer Shortlist, aber der ganze Prozess ändert sich laufend.
Sind stabile Kontakte in die Regierung Trump momentan überhaupt möglich, wo offenbar ein Drittel der Stellen im Aussendepartement vakant sind und Spitzenposten laufend neu besetzt werden?
Die Fluktuation ist unterschiedlich. Im für uns wichtigen Finanzministerium ist sie kleiner als im Aussenministerium. Dort werden viele Stellen bewusst nicht mehr besetzt. Es gab viele Büros mit Sonderbeauftragten und thematischen Schwerpunkten aus der früheren Regierung, die jetzt an Bedeutung verlieren oder aufgelöst werden. Es gehört zur Strategie der neuen Regierung, die Verwaltung abzubauen.
Als Diplomat muss Sie ein so undiplomatischer und unberechenbarer Präsident irritieren. Wie hat Donald Trump Ihren Job verändert?
Es ist eine interessante Zeit. Nicht nur die Inhalte der Politik ändern sich, sondern auch die Art und das Vorgehen. Für uns hat das zur Folge, dass wir uns mehr auf Fakten konzentrieren müssen, um die Prioritäten der Regierung zu erkennen. Wir studieren zum Beispiel Budgetentwürfe oder Verordnungen sehr intensiv.
Weil man dem, was der Präsident sagt, nicht glauben kann?
Man kann sich weniger auf Erklärungen verlassen, sondern muss die Fakten selber zusammenstellen. Das bedeutet einen grösseren Analyseaufwand. Wir haben einen Mitarbeiter, der Finanzvorlagen systematisch untersucht.
Ihre Botschaft betreibt Fact-Checking wie eine Zeitung?
Sozusagen. Dann gibt es noch eine zweite Folge: Unsere Berichterstattung an die Zentrale in Bern ist wichtiger geworden. Es kommen mehr Rückfragen, nicht nur aus dem Aussendepartement, auch aus anderen Teilen der Bundesverwaltung. Man will wissen, wie gewisse Entwicklungen zu verstehen sind. Von besonderem Interesse war die US-Steuerreform, auch weil sie Folgen hat für die Schweiz.
War das unter Obama anders?
Es ist in der neuen Regierung alles viel schneller geworden. Die Dinge kommen in einer unwahrscheinlichen Kadenz. Was in der Schweiz oft nicht gesehen wird: wie massiv in den USA dereguliert worden ist. Da will man in Bern wissen, was das bedeutet.
Müssen Sie für Bern auch Trumps Tweets interpretieren?
Das nicht (lacht).
Aber Sie folgen dem Präsidenten auf Twitter?
Sicher. Ich schaue seine Tweets jeden Morgen an, wir wachen gewissermassen mit ihnen auf.
Die Schweiz hat er, abgesehen vom WEF, bislang auf Twitter nicht erwähnt. Aber das könnte sich täglich ändern. Wären Sie darauf vorbereitet, wenn er eine Twitter-Attacke starten würde?
Da muss man bereit sein. Es ist interessant, wie es Präsident Trump gelingt, mit seinen Tweets den Nachrichtenzyklus zu beeinflussen. Die wichtigsten Tweets kommen in der Regel am Morgen, und dann steigen die TV-Sender sofort auf diese Themen ein. Trump verschafft sich so oft die Deutungshoheit über die News.
Bei Ihrem Amtsantritt sagten Sie, in den USA herrsche ein einseitiges Bild von der Schweiz: Berge, Schokolade, Heidi. Hat sich das seither verändert?
Dieses Bild ist vorteilhaft für die Schweiz, aber mir ist wichtig, den Amerikanern auch andere Seiten zu zeigen: unsere Innovationskraft. Nicht zuletzt deshalb, weil die USA die grössten Auslandinvestoren in der Schweiz sind. Und weil diese für unsere Wirtschaft eine grosse Chance sind. Es wäre nicht gut, wenn uns die Amerikaner einseitig wahrnehmen würden. Heidi und Hightech ist für mich die Devise.
Hat das Image wegen des Bank- und Steuerstreits gelitten?
Ausserhalb der Washingtoner und New Yorker Zirkel haben diese Schlagzeilen kaum Spuren hinterlassen. Unser Image ist hervorragend. Man sieht es auch daran, dass die Zahl der US-Touristen, die in die Schweiz reisen, in den letzten zehn Jahren stark zugenommen hat. Sie sind nach den Deutschen die zweitgrösste Besuchergruppe.
Was hat sich für Sie eigentlich geändert, seit die Schweiz einen neuen Aussenminister hat?
Bundesrat Cassis war als Parlamentarier in den USA und hat sich immer für dieses Land interessiert, ich hatte deswegen auch schon frühere Kontakte mit ihm, und das ist positiv für uns. Die Aussenpolitik gegenüber den USA ist konstant, ein Kurswechsel kein Thema. Es liegt auf der Hand, dass das Verhältnis zur EU momentan im Zentrum der Schweizer Aussenpolitik steht.
Könnten Sie sich vorstellen, nach Ihrer Pensionierung als Botschafter hier in Washington zu bleiben?
Die USA und Washington bieten eine hohe Lebensqualität und ich mag auch die Mentalität der Amerikaner. Aber es war immer klar, dass ich wieder nach Bern zurückkehren würde. Ich interessiere mich für Themen – etwa Fragen der Demografie –, mit denen ich mich in der Schweiz intensiv beschäftigen möchte, wenn ich Zeit dafür haben werde.