Der türkische Staatspräsident Erdogan hofft darauf, dass die Wähler am Ostersonntag einer umstrittenen Verfassungsreform ihren Segen geben, welche seine Machtfülle deutlich ausbauen würde.
Weil mit einem knappen Ergebnis gerechnet wird, kommt es auch auf die Stimmen der Auslandstürken an. In der Schweiz konnten sie während rund zwei Wochen in den türkischen Konsulaten in Genf und Zürich sowie in der Botschaft in Bern ihre Stimme abgeben. Seit 9. April sind die Urnen hierzulande geschlossen.
Die kurdische Nachrichtenagentur «Firat News» berichtet nun über einen Vorfall vom letzten Donnerstag im Wahllokal in der Botschaft in Bern. Ein in der Schweiz wohnhafter kurdischer Oppositioneller, der anonym bleiben will, bestätigt den Vorfall gegenüber watson. Zwei Botschaftsmitarbeiter, darunter der Attaché für Arbeit und Soziale Sicherheit, seien dabei negativ aufgefallen.
Die beiden Diplomaten, die mit der Begleitung des Wahlprozesses in der Botschaft beauftragt waren, hätten sich an den zahlreichen Erdogan-Gegnern gestört, die zu den Urnen strömten. Mit einem dieser Wähler hätten sie eine lautstarke Diskussion begonnen. Diesem Nein-Stimmenden hätten sie damit gedroht, seine Personalien an die Behörden in der Türkei zu melden.
Eine Vertreterin der oppositionellen, pro-kurdischen Partei HDP berichtete gegenüber «Firat News», dass die beiden Diplomaten gezielt HDP-Wähler und andere Erdogan-Gegner provozierten und störten. Die beiden Botschaftsmitarbeiter sollen Erdogans regierender AKP-Partei nahestehen. Die Agentur «Firat News» ihrerseits steht der von der Türkei und anderen Staaten als Terrorgruppe betrachteten, bewaffneten kurdischen Arbeiterpartei PKK nahe.
Botschaftsrat Umut Öztürk, die Nummer 2 in der türkischen Botschaft, spricht von «komplett fabrizierten Nachrichten einer mit Terroristen verbundenen Nachrichtenagentur». Ein solcher Vorfall habe nie stattgefunden. Der Abstimmungsprozess in der Schweiz sei offen, transparent und unter Einbezug aller Parteien, verlaufen: «Uns sind keine Berichte über irgendwelche Vorfälle bekannt.»
Gemäss Zahlen der Botschaft haben 50’938 türkische Bürgerinnen und Bürger an der Abstimmung teilgenommen – das entspricht einer Wahlbeteiligung von 50,43 Prozent. Sie nahm damit gegenüber den letzten Parlamentswahlen vom Herbst 2015 um knapp 9 Prozent zu.
Der Urner FDP-Ständerat Josef Dittli beobachtet die politischen Entwicklungen innerhalb der türkischen Gemeinde in der Schweiz schon länger intensiv. Im März 2017 reichte er bei der Bundesanwaltschaft eine Strafanzeige gegen Unbekannt wegen «verbotenem Nachrichtendienst und politischem Nachrichtendienst» ein. Sein Ziel: die Spionagetätigkeiten von türkischen Organisationen gegen hier lebende türkische Staatsbürger und Doppelbürger sollen strafrechtlich belangt werden.
Von der angeblichen Drohung im Wahllokal in der türkischen Botschaft in Bern hatte Dittli bisher keine Kenntnis. Er könne sich im gegenwärtig aufgeheizten Klima vor der Referendumsabstimmung aber durchaus vorstellen, dass so etwas passiert sei: «Sollte es zu einem Verstoss gegen Schweizer Gesetze gekommen sein, müssen die Behörden ermitteln», sagt der langjährige Urner Sicherheitsdirektor.
Er gehe davon aus, dass der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) entsprechenden Hinweisen mit grösster Sorgfalt nachgehe und den Sachverhalt abkläre. Dass es sich bei den Beschuldigten um Botschaftsangehörige handle, dürfe dabei keine Rolle spielen. «Auch Personen mit diplomatischer Immunität müssen sich an die Schweizer Gesetze halten», so Dittli.
Der Bundesrat verfüge auch in solchen Fällen über Handlungsmöglichkeiten, etwa durch die Einbestellung des türkischen Botschafters oder dem Entzug der Akkreditierung: «Bei eindeutigen Verstössen gegen Schweizer Gesetze muss hier ein Zeichen gesetzt werden.»
Die Bundesanwaltschaft lässt auf Anfrage lediglich verlauten, was sie schon Mitte März bei Aufnahme der Ermittlungen mitteilte: Ihr liege «der
konkrete Tatverdacht vor, dass im Umfeld der türkischen Gemeinde in der
Schweiz mutmasslich politischer Nachrichtendienst betrieben wird». Details zur laufenden Ermittlungen werden keine bekannt gegeben.