Adolf Ogi, wenn Sie früher hochrangige Politiker trafen, schenkten Sie dem einen oder anderen einen Bergkristall, um das Eis zu brechen. Bekäme Donald Trump auch einen Kristall von Ihnen?
Adolf Ogi: Sicher nicht gleich am Anfang. Ich würde das vom Ausgang der Diskussion abhängig machen. Ich habe die Kristalle sehr zurückhaltend verschenkt. Bill Clinton bekam einen, der Papst ebenso. George W. Bush und Barack Obama hingegen nicht – schliesslich statteten sie der Schweiz nie einen Besuch ab. Dass Donald Trump nun gleich in seinem ersten Amtsjahr ans WEF kommt, ist eine grosse Chance für die Schweiz. Ich finde es falsch, wenn nun gleich wieder aus allen Ecken gezetert und kritisiert wird.
Inwiefern profitiert die Schweiz von seinem Besuch?
Ich gehe jetzt einmal davon aus, dass Trump die Schweiz schlecht kennt. Wenn sich unser Bundesrat geschickt anstellt, kann er beim US-Präsidenten einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Er kann zeigen, über welche Wirtschaftskraft und politische Stabilität wir verfügen, wie unsere direkte Demokratie funktioniert und wie tief die Arbeitslosenquote bei uns ist. Bundesrat Johann Schneider-Ammann hat bei seiner Begegnung mit Trumps Tochter Ivanka bereits wertvolle Vorarbeit geleistet. Darauf lässt sich aufbauen. Nachdem ich mich im Jahr 2000 am WEF mit Bill Clinton ausgetauscht hatte, konnte ich ihn jederzeit anrufen. Das war viel wert.
Wie haben Sie das Vertrauen von Clinton gewonnen?
Ich hatte den Vorteil, dass ich Bill Clinton schon im Jahr davor an einer Konferenz mit anschliessendem Nachtessen getroffen hatte. Ich war damals lediglich Vizepräsident, protokollarisch der Rangniedrigste aller Teilnehmer. Daher kam auch das Auto, das mich ins Hotel zurückbringen sollte, ganz am Schluss. Als ich mich verabschieden wollte, sagte Bill: «Dolfi, please stay». Dann haben wir noch ein paar Gläser gemeinsam getrunken. Das war eine gute Basis für das Gespräch in Davos. Wir begegneten uns absolut auf Augenhöhe.
Was würden Sie Donald Trump sagen, wenn Sie ihn am WEF treffen würden?
Wichtig ist, dass man in einer solchen Situation die Aufmerksamkeit des Gesprächspartners sehr rasch gewinnt. Wie man auf Englisch sagt: «Catch the speaker’s eye.» Wenn sich das Gegenüber nach einer Minute langweilt, hat man schon verloren. Der richtige Gesprächseinstieg ist entscheidend, genauso wie Mimik und Gestik. Da Donald Trump eine gewisse Unberechenbarkeit nachgesagt wird, dürfte das allerdings nicht einfach werden.
SP-Vertreter haben bereits die Hoffnung geäussert, dass Bundespräsident Alain Berset bei einem allfälligen Treffen mit Trump «kritische Dinge wie das Versagen der USA beim Klimaschutz und die Diskriminierung der Muslime mit dem Einreisebann» anspricht. Halten Sie das für realistisch?
Das muss er natürlich tun, aber es ist ein heikles Unterfangen. Man muss wissen, wann und wie man ein solches Thema anspricht, damit der Schuss nicht hinten losgeht. Bekanntlich wäre uns der damalige chinesische Präsident Jiang Zemin 1999 fast davongerannt, weil meine Kollegin Ruth Dreifuss bezüglich des Menschenrechts-Themas nicht locker liess. Ich konnte ihn mit Mühe und Not davon abhalten. Auch damals spielte ein Bergkristall eine Rolle.
Der Vorzeige-Protektionist Trump im «Epizentrum der Globalisierung»: Ist das Konfliktpotenzial da nicht ohnehin ziemlich gross?
Wichtig ist, dass die Schweiz sich minutiös darauf vorbereitet und sich keine Fehler erlaubt. Ab der Sekunde des Empfangs will alles genau geplant sein, jedes Glied der Kette muss halten. Zum Glück haben wir in Davos einen Joker: Die Natur. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich die Leute in diesem Umfeld ganz anders verhalten als in einem geheizten Sitzungszimmer in Washington oder London. Die Teilnehmer lassen sich von der Natur ergreifen, vom Schnee zähmen.
In den Schweizer Bergen soll Hitzkopf Trump also zum sanftmütigen Wesen mutieren?
Das werden wir dann sehen. Klar ist, dass Trump in Davos seine Ideen vortragen will, Stichwort «America first». Er hat gesehen, wie Chinas Präsident Xi Jinping diese Bühne vergangenes Jahr nutzen konnte.
Sie hielten im Jahr 2000 sogar die Eröffnungsrede am WEF. Darin sagten Sie: «Es geht nicht darum, wer zuerst auf dem Gipfel ist, sondern dass alle dort oben ankommen.» Wenn Sie die weltweite Situation heute betrachten: Wie gut haben ihnen die Mächtigen damals zugehört?
Wichtig ist nicht nur, dass man gemeinsam hochgeht, sondern dass man auch den Weg ins Tal gemeinsam meistert. Wir müssen jene mitnehmen, die müde sind, die Angst haben, denen es schwindelt. Niemand darf zurückgelassen werden. Ich finde meine Rede von damals immer noch gelungen. Sie hat heute noch mindestens genauso viel Relevanz wie damals.