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Vermisste werden vermehrt über Soziale Medien gesucht. Macht das Sinn?
Laurent Sédano: Diese Frage kann nicht pauschal beantwortet werden. Es kommt zum Beispiel drauf an, wer es macht und mit welchem Hintergrund. Sucht die Polizei eine vermisste Person mit Hilfe von Sozialen Medien, stellt sie klare Fakten dazu und einen Kontakt, wo man sich melden kann. Das ist hilfreich. Eine solche Meldung teilen die Menschen, weil sie ihr vertrauen.
Wie sieht es aus, wenn Angehörige dasselbe über private Kanäle tun?
Davon rate ich eher ab. Kommunikation erfordert Fingerspitzengefühl und Fachwissen. Kleine Fehler können verheerende Folgen haben. Bei privaten Posts fragen sich die Leute eher: Stimmt diese Meldung? Oder könnte es sein, dass Eltern mit einer Vermisstmeldung über ihr Kind diesem schaden wollen? Könnte es sein, dass ein Sohn vielleicht einfach zu einem Konzert wollte, die Eltern ihm das verboten und ihn jetzt mittels einer Vermisstmeldung auf Facebook unter Druck setzen? Bei einem privaten Post kommen eher Spekulationen auf, es gibt Kommentare in alle Richtungen. Geschichten können sich so verändern.
Wie meinen Sie das?
Über einen privaten Post kann man rasch die Kontrolle verlieren. Eine Message kann im Extremfall gar umgedreht werden. Aus einer ursprünglichen Vermisstmeldung eines Kindes, die seine Mutter auf Facebook stellte, kann die Geschichte einer Rabenmutter werden. Oder noch schlimmer. Diese Gefahr besteht auch bei Polizeimeldungen, sie ist aber weniger wahrscheinlich.
Können Sie ein Beispiel einer noch schlimmeren Entwicklung einer Vermisstmeldung machen?
Gehen wir davon aus, dass – ähnlich wie im aktuellen Fall P – ein 16-Jähriger vermisst wird und bald herauskommt, dass er selber von zuhause wegging. Da kommen im Netz rasch Gerüchte auf, die sich nicht kontrollieren lassen. Am Schluss verbreitet sich zum Beispiel, er habe sich aufgemacht, um für den «Islamischen Staat» in den Kampf zu ziehen. Soziale Medien funktionieren, indem alle partizipieren können. Alle User geben über Kommentare oder Aufrufe einer Geschichte einen Teil von sich mit. Die Gesellschaft ist erst dabei, den Umgang mit diesen Möglichkeiten zu lernen. In solchen aktuellen Fällen wäre es besser, die Leute würden sich zurückhalten. Schliesslich geht es nicht um die Betroffenheit jedes Einzelnen, sondern um die vermisste Person.
Gibt es weitere Gefahren?
Allerdings. Stellt man das Gesicht und den Namen eines Kindes ins Netz, muss man sich bewusst sein, dass das Kind dadurch berühmt wird, die ganze Schweiz einen Teil seiner Geschichte kennt. Und da draussen gibt es Leute, die auf solche Informationen warten. Pädophile zum Beispiel. Erkennt ein Pädophiler einen Vermissten, spricht er ihn eher an, weil er von seiner Notsituation weiss. Oder er hält sich, falls der Vermisste wieder auftaucht, später in seiner Nähe auf, um ihn anzulocken. Vermisstmeldungen auf Facebook können also auch Pädophile anziehen, das sollte man nicht vergessen.
Sie raten Privaten also, nie selber, und wenn, nur in Begleitung der Polizei Vermisstmeldungen über Soziale Medien zu verbreiten?
Genau. Aus Verzweiflung etwas selber unternehmen, ist nie ratsam, oft tun Eltern dann nicht das, was am besten zum Ziel führt. Das Wohl des Kindes sollte immer im Vordergrund stehen. Es ist wichtig, gut abzuwägen, welche Massnahmen verhältnismässig sind und dem Kind nicht noch mehr schaden. Eltern oder Angehörige müssen gute Gründe haben, um Fotos von Kindern ins Netz zu stellen. Kinder haben ein Recht auf Privatsphäre. Ausserdem ist es so, dass die Polizei Spuren einfacher aus dem Netz bringt als Private.
Warum?
Die Polizei publiziert Fotos und Informationen eines Vermissten auf ihrer Homepage. Taucht der Vermisste wieder auf, wird das ebenfalls dort mitgeteilt. Die Geschichte wird somit beendet. Die Quelle, auf die Links verweisen, kann so gelöscht werden. Die Chance, dass Spuren zurückbleiben wird minimiert.Verbreiten Private solche Mitteilungen, bringt man sie nie mehr ganz aus dem Netz, sie verbreiten sich willkürlicher und werden öfter heruntergeladen. Geistern Vermisstmeldungen durchs Netz, lange nachdem jemand gefunden wurde, kann das sehr unangenehme Folgen haben.
Welche?
Nehmen wir an, ein Jugendlicher reisst von zuhause aus, wird als vermisst gemeldet und öffentlich gesucht. Bald kommt er wieder nach Hause, was vermeldet wird. Allerdings bekommen das nie alle mit. Ein Jahr später geht er in die Badi. Plötzlich wird er von Unbekannten überwältigt und festgehalten. Sie tun es, weil sie denken, er werde immer noch vermisst und sie müssten ihn nun den Behörden übergeben.
Sie reden vom Netz, das niemals vergisst?
Ja. Von der digitalen Tätowierung. Ein Vermisster, der ins Netz gestellt wird, wird rasch eine öffentliche Person. Alles, auch das Unwahre bleibt. Dies kann nicht nur bei einer späteren Bewerbung unangenehm werden. Wie eine Tätowierung wird die Geschichte mitgetragen und kann sich auch auf spätere soziale Kontakte auswirken.
Trotz allem. Vermisstmeldungen, die von Privaten verbreitet werden, scheinen stark zuzunehmen. Trügt der Schein?
Dies ist schwierig zu beantworten. Wir machen uns die uns zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel zu eigen. Passiert etwas Schlimmes, wie das Verschwinden eines Kindes, ergreifen wir alle uns zur Verfügung stehenden Mittel. Vor 20 Jahren suchten die Menschen ihre vermissten Kinder mit Zetteln, die sie überall aufhängten. Heute gibt es die Soziale Medien, dank denen die Reichweite viel höher ist. Wie zielführend das ist, wissen wir nicht.