224 Jugendliche wurden letztes Jahr wegen dem Besitz von Pornografie verurteilt. 2011 lag diese Zahl noch bei 47. Damit hat sich die Anzahl fast verfünffacht, schreibt die «SonntagsZeitung» in ihrer letzten Ausgabe. Der jüngste Angeklagte war noch nicht einmal zehn Jahre alt.
Sexualpädagoge Bruno Bühlmann erklärt im Interview mit watson, was ein solcher Fall für das Kind und die Eltern bedeuten kann und was das Problem des Umgangs der Jugendlichen mit Pornografie ist.
Herr Bühlmann, die Anzahl von Anklagen wegen Pornografie ist in den letzten Jahren stark gestiegen, was hat sich verändert?
Bruno Bühlmann: Der grosse Unterschied zu vor sechs Jahren ist das Smartphone. Früher war es für
junge Menschen schwieriger, an abgebildete Sexualität zu gelangen. Die Handys waren weniger
leistungsfähig und hatten kaum Internetzugang. Das hat sich sehr schnell sehr stark verändert.
Mittlerweile besitzt fast jeder Jugendliche ein Smartphone mit grossem Bildschirm und
unbegrenztem Internet.
Hat sich auch unser Bewusstsein für Sexualität bei Jugendlichen verändert?
Das Interesse von Jugendlich an der Sexualität in all ihren Facetten hat sich kaum gewandelt. Es ist
unverändert hoch. Auch das Bewusstsein der Eltern und Lehrpersonen, dass Jugendliche Pornografie
konsumieren könnten und dass man da etwas tun sollte, hat sich kaum verändert. Wäre dem so,
hätten wir wohl mehr als 224 Fälle pro Jahr.
Sehen Sie denn in der Pornografie keine Gefahr für Jugendliche?
Es ist schwierig, den Effekt von
Bildern auf die Entwicklung des Menschen zu messen. Bei Kindern und Jugendlichen ist eher das
Problem, dass sie nicht recht wissen, wie sie solche Bilder einschätzen sollen. Gefährlich sind nicht
die Pornos, sondern dass wir die Kinder mit dem Thema alleine lassen.
Also sehen Sie kein Problem darin, dass Jugendliche Pornos schauen?
Der Effekt von Pornografie ist, dass die Menschen unter sexuellen Leistungsdruck geraten.
Jugendliche, die persönlich noch keine konkreten Erfahrungen mit Sex gemacht haben, könnten
durch die hochstilisierten Filme den Blick für die Realität verlieren. Sie orientieren sich dann bei ihren
eigenen sexuellen Erfahrungen an dem, was sie im Internet sehen. Das gilt auch für Erwachsene. Bei
harter und illegaler Pornografie wird dieser Druck noch verstärkt. Die Jugendlichen könnten den
Eindruck erhalten, dass das Gesehene normal ist, obwohl das nicht stimmt.
Schauen Jugendliche ihrer Erfahrung nach auch harte, illegale Pornos?
Bei Jugendlichen ist der Reiz für das Extreme stets höher als bei Erwachsenen. In den 80er-Jahren
waren es z.B. Gewaltfilme, die ja auch heute noch Thema sind. Solche Dynamiken sind eher als eine
Art Mutprobe zu betrachten. Wer hat sowas schon gesehen? Wer traut sich, diese Videos
herumzuzeigen? Jugendliche sind daran ihre eigene Sexualität zu entdecken. Wenn sie versuchen
auch an illegale Pornografie heranzukommen ist dies nicht Ausdruck ihrer Präferenzen.
Trotzdem wird der Besitz von illegaler Pornografie vor Gericht härter bestraft als bei «normalen» Pornos.
Eine juristische Lösung dieses gesellschaftlichen Phänomens erscheint mir da bei Jugendlichen nicht
erfolgsversprechend. Egal, ob es sich um harte oder softe Pornografie handelt.
Warum?
Sexualität ist im Privaten ein eher tabuisiertes Thema. Pornografie stellt ein tabuisiertes Thema in
einem ein tabuisierten Thema dar. Ein Kind oder eine Familie in diesem Zusammenhang an die
Öffentlichkeit zu zerren, ist einfach nicht richtig. Ein Gerichtsverfahren kann mehr Schaden anrichten
als die Pornografie selbst. Die Betroffenen werden eingeschüchtert und öffentlich stigmatisiert.
Wie könnte besser damit umgegangen werden?
Es braucht eine Institutionalisierung von sexualpädagogischen Angeboten in den Schulen und die
Lehrpersonen müssen besser auf den Sexualkundeunterricht und den Umgang mit Sexualität bei
Kindern vorbereitet werden. Ein Schnellkurs ist da zu wenig. Wir dürfen Kinder und Jugendliche nicht
mit dem Thema Pornografie alleine lassen. Es braucht geeignete Plattformen der Information und
der Auseinandersetzung auch zu diesem sensiblen Thema.
Man könnte auch argumentieren, es sei Sache der Eltern, mit ihren Kindern über Sexualität zu sprechen.
Dem stimme ich völlig zu. Doch es wird oft nicht gemacht. Man braucht sich nur an die Gespräche mit
den eigenen Eltern über Sex zurück zu erinnern. Das ist eine schöne Vorstellung, gelingt oft nicht wie
man es sich wünschen würde. Vielleicht müssten auch die Eltern durch flankierende Massnahmen
unterstützt werden. Wichtig ist, dass wir mit Kindern und Jugendlichen über Sexualität und
Pornografie sprechen und ihnen helfen zu verstehen, was solche Bilder bedeuten.